Literatur aus China:Jedes Wort ist ein Pferd

Tastende Möglichkeitsdichtung: Zang Di gilt als einer der besten zeitgenössischen Lyriker Chinas. Einige seiner Gedichte sind jetzt auf Deutsch erschienen.

Von Nico Bleutge

Gleich im ersten Gedicht dieses Bandes schneit es zu wenig - "eine einsame Warnung, / die sich durch die letzten Jahre schon zog". Es ist ein Requiem auf den Schriftsteller James Baldwin, darin gehen der Schnee, der Körper, der Tod und der Geist eine unruhige Liaison in der Sprache ein. Doch zugleich lässt sich die Verknüpfung von Schnee und Geist als Anspielung auf den großen amerikanischen Dichter Wallace Stevens lesen, der einmal geschrieben hat: "One must have a mind of winter".

Stevens' Zeile zieht sich wie eine dünne Eisspur durch Zang Dis Gedichte.

Mit einer heruntergekühlten und doch hoch sensiblen Wahrnehmung forscht der 1964 in Beijing geborene Dichter in langzeiligen Reflexionsgedichten Phänomenen wie Schmerz, Liebe, Einsamkeit oder ungerechten Strukturen nach, holt dabei auch Momente der harten chinesischen Realität in seine Verse. Immer in Form von Selbstbefragungen. Immer philosophisch grundiert. Wobei die Gedanken nicht selten ironisch unterlaufen werden, Wittgenstein ist hier ein Vogel, dazu hat Zang Di großen Spaß daran, mit Scheinschlüssen und Pseudobestimmungen zu arbeiten: "Jedes Wort ist ein Pferd. / In der Erde, die hochwirbelt, wenn es rennt, lösen sich / alle Fehler eines Lebens zwischen gelben Staubwolken auf."

Es ist eine tastende Möglichkeitsdichtung, zu deren liebsten Wörtern "manchmal", "vielleicht", "natürlich" oder "andererseits" gehören. So umkreist Zang Di die Dinge eher, als dass er sie in der Sprache festzurren würde, nähert sich, entfernt sich wieder oder hält alles mit seinen Freien Rhythmen in einer labilen Schwebe. Dong Li und Lea Schneider haben diese Versbewegung und den Parlandoton in ihren Übersetzungen sehr schön nachgebildet. Zuweilen schieben sich die Sätze regelrecht über die Seiten, wie das Ich, das hier eine Welle ist, "die knapp hinter uns rollt / oder sich auftürmt, um aus dem Schatten der Welt zu treten."

"Du bist nicht dein einziges Objekt", heißt es in einem Vers. Das stimmt leider nicht immer. Manche Gedichte haben einen Hang zur bloßen Selbstbespiegelung, an solchen Stellen kippt auch der Duktus von der Reflexion in einen etwas redseligen Plauderton. Viel stärker ist Zang Di, wenn er Motive und Sprachteilchen ausspielt und seine Verse mit Komik auflädt: "Wenn ich mit dem Hund meiner Freunde spazieren gehe / zeigt sich, er mag vor allem die Fußspuren im Schnee, / in denen er sehr lange stehen bleibt, bevor er hineinpinkelt - / wenn er mir zusieht, wie ich Wasser zu einem Teig gebe, / der fast fertig ist, dann mit genau diesem Ausdruck." Oder wenn er mit Verschiebungen arbeitet. Dann kann aus einem einfachen Pilz ein "nahrhafter kleiner Gott" werden und aus der Sprache über viele Wortspiele hinweg ein Flügel.

Zang Di: Gesellschaft für Flugversuche. Gedichte. Aus dem Chinesischen und mit einem Vorwort von Dong Li und Lea Schneider. Edition Lyrik Kabinett. Carl Hanser Verlag, München 2019. 102 Seiten, 19 Euro.

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