"Tatort" aus Köln:Top of the Mobs

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Die Schüler von Frau Wessel (Ines Marie Westernströer, r.) sind nicht etwa wegen der bevorstehenden Bioklausur gestresst. (Foto: dpa)
  • Der neue Tatort aus Köln wird vor allem getragen von dem so verstörenden wie überzeugenden Cast einer Abschlussklasse, die mit dem Tod eines gemobbten Schülers umgeht.
  • "Kein Mitleid, keine Gnade" ist eine Geschichte mit zu vielen Verlieren und bietet nur wenig Trost.

Von Cornelius Pollmer

Freddy Schenk hat Geburtstag, und was es bedeutet, ein jetzt noch älterer weißer Mann zu sein, das erfährt der Kommissar umgehend auf dem Schulhof des Kölner Robert-Görlinger-Gymnasiums. Die Schülerin Nadine Wilcke nutzt einen kurzen Hinterhalt, um aus selbigem mit falschen Tränen wieder hervorzutreten und vor aller Augen zu behaupten, das dicke Ekel von der Polizei habe ihr an die Brüste gefasst, einfach so.

In dieser Szene bekommt der Zuschauer eine erste Idee, was der Autor Johannes Rotter meint mit diesem sehr schönen Satz, der im Begleitheft dieses Tatorts (Regie: Felix Herzogenrath) zitiert wird. Zwar geschehe der Mord in dieser Geschichte im Schutze der Dunkelheit, sagt Rotter, jedoch: "Das meiste, was sich ihre Figuren antun, geschieht im Schutz der Öffentlichkeit."

Hass und Gewalt bahnen sich in diesen Gefällen ihre Wege

"Kein Mitleid, keine Gnade" ist ein kalter, ein trauriger Film. Getragen wird er von dem so verstörenden wie überzeugenden Cast der Abschlussklasse. Verschiedene Gefälle setzen die Schüler stärker unter Stress als die bevorstehende Bio-Klausur. Die Eltern des Dings sind reich, die Mutter der Bums ist es nicht und geht deswegen bei den Dings putzen. Der eine ist schwul und will das nicht unterdrücken müssen, der andere traut sich nicht mal, einfach nur kein Problem damit zu haben. Hass und Gewalt bahnen sich in diesen Gefällen ihre Wege, und ganz besonders treffen sie den Schüler Jan Sattler, der nackt und so reglos in nassem Laub herumliegt, dass eine Schnecke sich seelenruhig bei ihm einschleimt. Dass Jan gemobbt worden sei, habe sie aber schon mitbekommen, fragen die Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) mit leichtem Puls die Lehrerin von Sattler. Sie sagt: "So etwas passiert nicht im Klassenraum, sondern auf dem Schulweg, in den Pausen, im Internet." Überall dort also, wo Öffentlichkeit Tätern Schutz bietet.

Dieser Schutz entsteht, wo Dritte einfach nur annehmen, dass Homosexualität heute ja niemandem mehr Schwierigkeiten bereiten könne. Wo Dritte nur darauf achten, ob Einfahrten gefegt und Hecken gestutzt werden, aber niemand mehr weiß, wie kaputt die Familien dahinter sind. Dieser Schutz kann auch entstehen, weil in einer Zeit allgegenwärtiger Kameraobjektive Anschein oft wichtiger ist als Aussage. Freddy Schenk muss wegen der falschen Tränen aufs Kommissariat für Amtsdelikte. Dass wenigstens er davonkommt, bleibt ein schwacher Trost in einer Geschichte mit zu vielen Verlierern.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 11.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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