Proteste in Iran:"Unser Feind ist im Inneren, nicht die USA"

General view of the debris of the Ukraine International Airlines, flight PS752, Boeing 737-800 plane that crashed after take-off from Iran's Imam Khomeini airport, on the outskirts of Tehran

Bei dem Flugzeugabstürz am Stadtrand von Teheran am 8. Januar waren alle 176 Bordinsassen ums Leben gekommen.

(Foto: REUTERS)

Der Abschuss der Passagiermaschine ist ein Desaster für die Islamische Republik. Das Regime steht im Inland nun enorm unter Druck. Selbst aus konservativen Kreisen kommt scharfe Kritik.

Von Paul-Anton Krüger

Von psychologischer Kriegsführung gegen Iran redete Regierungssprecher Ali Rabiei. "Niemand wird die Verantwortung für eine derartig große Lüge übernehmen, wenn herauskommt, dass die Behauptung betrügerisch war", wetterte er noch am Freitag. Er meinte die Berichte westlicher Medien, die unter anderem unter Berufung auf namentlich nicht genannte US-Geheimdienstquellen meldeten, dass Flug PS752 höchstwahrscheinlich von der iranischen Luftabwehr abgeschossen worden sei. Nur Stunden später wurde klar: Gelogen hat die iranische Regierung. Und ob dafür jemand die Verantwortung übernehmen wird, ist fraglich.

Tausende Demonstranten forderten am Samstag genau das. In Teheran skandierten Studenten: "Rücktritt ist nicht genug! Strafverfolgung muss sein!" oder "Tod den Lügnern!" Es sind Sprechchöre die sich gegen den Obersten Führer Ali Chamenei und die mächtigen Revolutionsgarden richten - das sind genau jene beiden Institutionen, die in Iran für gewöhnlich jeder Kritik enthoben sind. "Unser Feind ist im Inneren, nicht die USA!", schallte es durch die Straßen. Angekündigt war eine Mahnwache für die 176 Opfer, zu der kurz auch der britische Botschafter Robert Macaire erschien. Doch bald brach sich die Wut Bahn.

Die Demonstranten wussten um das Risiko, die Polizei löste die Versammlungen mit Tränengas und Wasserwerfern auf. Aber die Staatsmacht hat erst vor wenigen Wochen demonstriert, dass sie bereit ist, Widerstand gegen das Regime auch mit brutaler Gewalt niederzuschlagen, die Revolutionsgarden und die von ihnen kontrollierte Freiwilligenmiliz der Bassidsch in führender Rolle. Hunderte Iraner haben mit dem Leben bezahlt, nach manchen Schätzungen sogar 1500, als das Regime gegen die landesweiten Proteste gegen eine drastische Erhöhung der Benzinpreise vorging.

Der Abschuss einer Passagiermaschine, die überwiegend Iraner an Bord hatte und Menschen mit iranischen Wurzeln, ist innen- wie außenpolitisch ein Desaster für die Islamische Republik. Gerade hatte die Tötung des Revolutionsgarden-Generals Qassim Soleimani der Staatsführung um Chamenei erlaubt, die Reihen zu schließen. Millionen säumten bei den Trauerzügen die Straßen, und längst nicht alle, die sich über diesen Angriff empörten, waren glühende Anhänger des Regimes. Die Revolutionsgarden demonstrierten Stärke, feuerten 22 ballistische Raketen auf Militärstützpunkte im Irak, die von den Amerikanern genutzt werden. Wehrhaftigkeit und die bedingungslose Bereitschaft, die Besten für den Schutz der Islamischen Revolution zu opfern, das ist der Mythos der Revolutionsgarden, der neues Feuer erhielt durch den Tod Soleimanis. "Schwere Rache" hatte Chamenei danach geschworen. Diese aber hätte er "an den USA üben sollen, nicht am Volk", heißt es nun in den sozialen Medien, wo Iraner noch am ehesten ihre politische Meinung öffentlich kundtun können.

Nur wenige Wochen vor einer für das Regime und Irans politische Ausrichtung bedeutenden Parlamentswahl müssen die Revolutionsgarden öffentlich schwerste Fehler eingestehen. Jene Institution, die einen Staat im Staate bildet, große Teile der iranischen Wirtschaft kontrolliert, verantwortlich nur dem Obersten Führer gegenüber ist, nicht der Regierung. Rechenschaft über ihr Tun legt sie abgesehen von seltenen Reden ihrer Kommandeure öffentlich nicht ab; ihre Offiziere leben abgeschottet in eigenen Stadtvierteln, genießen Privilegien, die viele normale Iraner als ungerechtfertigt empfinden.

"Wir sind bereit, jede Entscheidung zu akzeptieren und übernehmen die volle Verantwortung", sagt der Befehlshaber der Luftwaffe der Revolutionsgarden

Sie muss sich nun rechtfertigen, wie es der Befehlshaber der Luftwaffe der Revolutionsgarden, Brigadegeneral Amir Ali Hadschisadeh, bei einer Pressekonferenz in Teheran versucht, dem die Luftabwehr untersteht, aber auch die Raketentruppen. Von einem ungewollten Abschuss spricht er, und davon, dass er lieber gestorben wäre, als das erleben zu müssen. Höherstehende Institutionen und die Justiz würden über die Folgen bestimmen. "Wir sind bereit, jede Entscheidung zu akzeptieren und übernehmen die volle Verantwortung", sagte er.

Präsident Hassan Rohani entschuldigt sich für den "desaströsen Fehler", ruft den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij an und den kanadischem Premier Justin Trudeau. Rohani hatte mit Blick auf die Drohungen von US-Präsident Donald Trump vor wenigen Tagen noch getwittert, wer die Zahl 52 nenne - so viele Ziele hatten die USA laut Trump im Visier, so viele US-Diplomaten waren 1979 in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln genommen worden -, solle die Zahl 290 nicht vergessen. So viele Passagiere waren an Bord von Iran-Air-Flug 655, den der US-Lenkwaffenkreuzer Vincennes 1988 über dem Persischen Golf abgeschossen hatte; in der iranischen Ideologie als Beleg der moralischen Verkommenheit der USA angeführt.

Chamenei beließ es bislang bei einer Kondolenzerklärung. Iranische Staatsmedien verbreiten, er habe eine Untersuchung angeordnet und angekündigt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Er sei aber erst am Freitag informiert worden, dass die ukrainische Boeing 737-800 tatsächlich von den Revolutionsgarden abgeschossen worden sei, nachdem der Generalstab eine interne Untersuchung abgeschlossen habe. In Iran glaubt das allerdings kaum jemand, vor allem nicht nach der Aussage des Revolutionsgarden-Generals Hadschisadeh, er habe die militärische Führung bereits am Mittwochmorgen über den Abschuss unterrichtet.

Mehdi Karrubi, der immer noch ohne Urteil im Hausarrest gehaltene reformistische Anführer der 2009 niedergeschlagenen grünen Revolution, erklärte, Chamenei habe nicht mehr die moralische Qualifikation, Oberster Führer zu sein. Der Verfassung nach stellt der oberste Rechtsgelehrte sicher, dass sämtliches staatliches Handeln in der Islamischen Republik den Geboten des Islam genügt.

Der Abschuss erschüttert jene Reste an Vertrauen in das System, die Iraner vielleicht noch hatten

Selbst aus konservativen Kreisen, die eigentlich hinter Chamenei und den Revolutionsgarden stehen, kommt scharfe Kritik. Kian Abdollahi, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Tasnim, die als Sprachrohr der Garden gilt, sagte, die Öffentlichkeit zu belügen sei ebenso katastrophal wie die Flugzeugtragödie. Er forderte, alle beteiligten Regierungsmitarbeiter zu bestrafen.

Am 21. Februar wählen die Iraner ein neues Parlament. Bislang konnten sich die Ultrakonservativen Hoffnungen machen, die Mehrheit in der Madschlis zu stellen. Das Regime hoffte nach dem Tod Soleimanis auf eine hohe Wahlbeteiligung, die es jenseits der Ergebnisse als Ausweis der Legitimität des politischen Systems wertet. Nun aber ruft der Abschuss den Iranern die Inkompetenz und das Missmanagement ins Gedächtnis, die viele dem Regime auch bei der Steuerung der maroden Wirtschaft anlasten. Der Abschuss erschüttert jene Reste an Vertrauen in das System, die sie vielleicht noch hatten - etwa dass es die Sicherheit des Landes gewährleiste. Es ist denkbar, dass der Abschuss und der Umgang damit die Islamische Republik in eine Krise stürzt, die sich nicht durch die angekündigte Reform des Militärs lösen lässt.

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