Profil:Johannes Masing

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(Foto: Uli Deck/dpa)

Verfassungsrichter der großen Linien - und der Details.

Von Wolfgang Janisch

Das Beratungszimmer ist das Allerheiligste im Bundesverfassungsgericht, dort kommen die Richterinnen und Richter zur streng vertraulichen Beratung zusammen. Im Ersten Senat sind die acht Stühle am quadratischen Tisch (anders als im Zweiten) präzise nach Zuständigkeiten zugeordnet. Der Platz von Johannes Masing gehörte zuvor Wolfgang Hoffmann-Riem und davor wiederum Dieter Grimm, der den Platz von Konrad Hesse übernommen hatte. Grimm und Hoffmann-Riem sind zwei (noch sehr aktive) Superstars des Gerichts; Hesse ist eine Legende.

An diesem Dienstag und Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über die Abhörbefugnisse des Bundesnachrichtendienstes, und Masing ist als "Berichterstatter" für die Vorbereitung des Verfahrens und die Formulierung des Urteils zuständig. Es wird sein letztes großes Verfahren sein, Ende April endet seine Amtszeit. Aber schon jetzt lässt sich sagen: Er hat eine ziemlich gute Figur gemacht in dem traditionsreichen Sessel.

In sein "Dezernat" gehört etwa die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, für deren großzügige Handhabung er sich entschieden einsetzt - auch zugunsten von Rechtsradikalen, die dem liberalen Feingeist ferner nicht stehen könnten. Seinen Platz in der Geschichte hat er sich aber spätestens mit zwei kürzlich veröffentlichen Beschlüssen "Recht auf Vergessen" gesichert. Dort ging es um das unerbittliche Gedächtnis des Internets und den Schutz des Einzelnen vor lebenslanger Speicherung uralter Fehltritte und Untaten. Das war schon anspruchsvoll, aber nur der einfachere Teil. Richtig kompliziert wurde es beim Europarecht - und dort gelang Masing ein Durchbruch: Erstmals ist klargestellt, dass das Verfassungsgericht europäische Grundrechte in eigener Hoheit anwendet. Die interpretationshungrige Staatsrechtslehre steht Kopf; darüber werden wichtige Professoren auf Jahre hinaus lange Aufsätze schreiben.

Der Fall illustriert, wie gründlich der vor wenigen Tagen 61 Jahre alt gewordene Freiburger Professor vorgeht, der neben Jura auch Philosophie studiert hat (und zudem über ein Klavierlehrer-Diplom verfügt). Schon 2012 warnte er vor der ausufernden Anwendung der EU-Grundrechtecharta zulasten der Staaten, 2014 kritisierte er das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum "Recht auf Vergessen". Nun hat er eine - durchaus vermittelnde - Antwort auf diese Entwicklungen formuliert, nach Jahren harter Arbeit. Selbst als er im März 2018 mal eine wirklich coole Dienstreise zu einem Symposium auf Mauritius unternehmen durfte, soll er am Pool bereits am "Recht auf Vergessen" gearbeitet haben.

Das BND-Verfahren könnte ähnlich grundsätzlich werden, denn es geht um die im doppelten Sinne grenzenlose Überwachung von Telekommunikation im Ausland. Und um die seit einem Urteil von 1999 offene Frage, ob sich der BND dabei ans deutsche Grundgesetz halten muss, obwohl die Überwachung nicht auf deutsche Staatsbürger zielt. Wieder einmal stehen also Sicherheitsfragen gegen Freiheitsansprüche, ein Spannungsverhältnis, an dem sich Masing seit seinem Amtsantritt im April 2008 abarbeitet. 2010 war es die Vorratsdatenspeicherung, 2013 die Antiterrordatei, 2016 das BKA-Gesetz - immer hat der Senat mit Masing als federführendem Richter die Befugnisse der Sicherheitsbehörden deutlich zurückgestutzt. Kaum zu erwarten also, dass man dem BND nun Carte blanche erteilen will. Die Reihe der Urteile zeigt aber auch, dass das Gericht echte Sicherheitsbedürfnisse stets akzeptiert hat - und lediglich der Maßlosigkeit beim Lauschen und Sammeln Einhalt geboten hat. Daraus sind mitunter buchdicke Urteile entstanden, denn Masing ist nicht nur der Mann der großen Linien, sondern auch der detaillierten Vorgaben. Das BKA-Urteil brachte es auf mehr als 150 mühsam erarbeitete Seiten; der beharrliche Richter, so heißt es, kämpft mit den Kollegen auch um Halbsätze.

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