Soziale Netzwerke:Heute mit Diskurstipps

Die Influencerin Laura Sophie hat in einem Video Unsinn über einen Dritten Weltkrieg erzählt. Die Empörung war groß. Aber muss man politische Analysen in solchen Internetformaten so kritisch behandeln, als wären sie Parlamentsreden?

Von Nicolas Freund

Oft stimmen die Maßstäbe nicht. Vor ein paar Tagen dominierte die 18 Jahre alte Influencerin Laura Sophie den digitalen Diskurs. Sie hatte in einem kurzen Video auf Tiktok stark vereinfachend und mit falschen Fakten vor einem Konflikt zwischen den USA und Iran gewarnt, der, wie sie meinte, zu einem Dritten Weltkrieg führen könnte. Es folgte eine gigantische Empörungswelle, als hätte Laura Sophie nicht aus ihrem Zimmer heraus, sondern vor einem Parlament gesprochen. Daran schloss sich eine sachlichere Diskussion über die Frage der Medienkompetenz Jugendlicher und anderer Internetnutzer an.

Laura Sophie beherrscht fraglos ihr Metier: Mit ihren Videos "Tipps für die Schule", "So mache ich meine Fotos" oder einfach kurzen Tanzeinlagen erreicht sie Tausende Zuschauer. Bei Tiktok hat sie 2,2 Millionen Follower, bei Instagram mehr als 800 000. Laura Sophie weiß, wie solche Netzwerke funktionieren. Gleichzeitig scheint sie diese Zahlen unterschätzt und sich nicht klargemacht zu haben, welchen Einfluss und welche Verantwortung ein solches Publikum mit sich bringt. Und dass politische Äußerungen in der Öffentlichkeit anders funktionieren, als Anekdoten aus der Schule zu erzählen oder Styling-Tipps für Gleichaltrige zu geben. Das gilt im digitalen Raum wie in allen anderen Kontexten. Medienkompetenz umfasst nicht nur den richtigen Umgang mit der Form, sondern auch mit dem Inhalt. Und es ist eine Frage des Maßstabs: Die oft nur wenige Sekunden langen Videos auf Tiktok sind wahrscheinlich grundsätzlich der falsche Ort, um komplexe politische Zusammenhänge zu erklären und zu diskutieren. Inzwischen hat Laura Sophie das Video gelöscht und sich dafür entschuldigt.

Interessanterweise folgte der Shitstorm, mit dem sich Laura Sophie konfrontiert sah, einem ganz ähnlichen Schema. Denn grundsätzlich sollte es kein unverzeihliches Vergehen sein, wenn eine Achtzehnjährige auch mal Unsinn erzählt, selbst wenn sie es vor vielen Leuten bei Tiktok tut. Aus dem Video spricht vor allem die Angst und die Unsicherheit einer jungen Frau vor dem, was sich gerade im Nahen Osten zusammenbraut, verpackt in einem naiven Erklärungsversuch. Ihre Kritiker gaben dem Video aber ein Gewicht, als wäre es in den Abendnachrichten gesendet und nicht auf dem Account einer Schülerin zwischen Schminktipps und Tanzvideos veröffentlicht worden. Auch hier stimmte der Maßstab nicht. Viele Popstars und Prominente äußern sich ständig mit nicht immer ganz problemfreien Thesen und Aussagen zu politischen Themen. Hier ist die Unterscheidung zwischen dem, was zum Beispiel ein Musiker spontan zwischen zwei Songs verkündet, und den Abendnachrichten meist kein Problem. Online fällt diese Einordnung vielen aber schwer.

Oft gibt es im Netz nur deshalb Ärger, weil Inhalte ohne ihren Kontext kursieren

Es gehört zu den Mechanismen des Netzes, dass Inhalte wie Laura Sophies Videos oft sehr schnell kontextlos kursieren. Der Empörungsreflex ist dann stärker als die richtige Einordnung. Denn wer kritisiert, impliziert es besser zu wissen. Eine Dynamik, die soziale Netzwerke verstärken. Die Empörungswelle wird schnell zum Selbstzweck, um einen Teil der Aufmerksamkeit des Influencers abzubekommen. Das ist eine ähnliche Reaktion wie der Drang vieler Influencer, mit Harmlosigkeiten ein Millionenpublikum zu erreichen und sich dann zu jedem aktuellen und kontroversen Thema äußern zu müssen. Das kann funktionieren, aber damit muss sich auch die Darstellungsform ändern. Das wirkungsvolle Video "Die Zerstörung der CDU" des Youtubers Rezo war formal völlig anders als seine restlichen Videos.

Die sozialen Netzwerke stehen in komplexen Wechselwirkungen mit anderen Medien. Bei der Übersetzung passieren leicht Fehler, und was in einer Form funktioniert, scheitert oft in einer anderen. Niemand kann ernsthaft von einem Tiktok-Video eine Analyse des Konflikts zwischen Iran und den USA erwarten. Diese Erwartung hegen aber offenbar einige Nutzer sozialer Netzwerke und auch Influencer wie Laura Sophie. Doch meist, wie bei schlecht gemachten Fake News, ist es mit etwas Kontext offensichtlich, wenn jemand im Internet Unsinn erzählt. Auch viele Zuschauer von Laura Sophie werden ihre Aussagen, wenn sie sich damit beschäftigen, richtig einordnen können - anders als sie selbst und alle, die meinten, sie für jenes Video bedrohen und beleidigen zu müssen. Influencer müssen sich ihrer Reichweite und ihrer Verantwortung bewusst sein; die Zuschauer müssen lernen, den richtigen Maßstab anzulegen.

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