David Calhoun:Boeings letzte Hoffnung

David Calhoun
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Was David Calhoun nun tun muss? Aus einer Dividenden-Maschine, schreibt ein Luftfahrt-Analyst, soll er wieder ein Luftfahrt-Unternehmen machen.

(Foto: Boeing)
  • Der neue Boeing-Chef David Calhoun tritt seinen Dienst an. Er soll den Konzern retten, der nicht nur wegen des 737-Max-Desasters in der Krise ist.
  • Calhoun zeigte bereits, dass er vor harten Entscheidungen nicht zurückschreckt. Als Verwaltungsratschef ist er jedoch für Fehler in der Vergangenheit mitverantwortlich.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Bei schönem Wetter hat David Calhoun einen ziemlich guten Blick über Chicago, sein neues Büro liegt im 36. Stock. In der Ferne kann er die vielen Flugzeuge sehen, die sich dem riesigen Flughafen O'Hare nähern. Und die meisten davon sind immer noch Boeing-Flugzeuge - trotz des Aufstieges des Rivalen Airbus in den vergangenen Jahrzehnten.

Calhoun, 62, hat am Montag seinen Posten als neuer Chef des amerikanischen Luftfahrtkonzerns übernommen und man spekuliert nicht zu viel, wenn man sich vorstellt, dass er kaum Zeit haben wird, die gute Aussicht zu genießen. Der Neue steht vor der Aufgabe, Boeing zu retten, vor allem die Zivilflugzeugsparte in Seattle. Es geht schon lange nicht mehr nur darum, die 737 Max wieder in die Luft zu bringen, die seit März 2019 nicht mehr fliegen darf, und die finanziellen Risiken unter Kontrolle zu halten. Calhoun leitet eine Firma, die mit dem Vorwurf klarkommen muss, dass sie über viele Jahre die Gewinnmaximierung wichtiger genommen hat als die Flugsicherheit. Er ist nun verantwortlich für einen Konzern, der dringend seinen Abwärtstrend stoppen muss, durch den Boeing gegenüber Airbus immer weiter ins Hintertreffen geraten könnte.

Calhoun hat allerdings den Ruf, vor schwierigen Entscheidungen nicht zurückzuschrecken. Und es gibt erste Anzeichen dafür, dass er diesen Ruf zu Recht genießt. Noch bevor er offiziell sein Büro bezog, veröffentlichte Boeing in der vergangenen Woche Dokumente erschütternden Inhalts. Die 737 Max sei ein Flugzeug, "entworfen von Clowns, die von Affen überwacht werden", schreiben sich da wichtige Boeing-Mitarbeiter. Einer von ihnen gibt damit an, wie er die indonesische Luftfahrtbehörde massiv unter Druck gesetzt hat, ja kein Simulatortraining von den Piloten zu verlangen, bevor diese die Max fliegen. Wenig später, im Oktober 2018, verlor die Besatzung einer Lion-Air-Max die Kontrolle über das Flugzeug. Der erste von zwei Max-Abstürzen, bei denen insgesamt 346 Menschen ums Leben gekommen sind.

Die Veröffentlichung war ein weiterer Schockmoment für den Konzern, der aber inhaltlich keine wesentlichen neuen Erkenntnisse brachte. Viel folgenreicher war dagegen Calhouns Entscheidung, nun doch exakt jenes Simulatortraining zu empfehlen, das Boeing über Jahre hinaus mit allen Mitteln verhindern wollte. Es dürfte die Rückkehr der Max deutlich verlangsamen, denn es gibt weltweit nur weniger als 40 solcher Geräte, durch die Tausende Piloten geschleust werden müssen.

Muilenburg habe "alles richtig gemacht", sagte Calhoun noch vor wenigen Wochen

Seinen Ruf als zupackender Manager hat sich Calhoun unter anderem als Chef der Flugmotorensparte von General Electric (GE) erworben. Dort sorgte er gegen viele Bedenken dafür, dass GE ein Triebwerk für die damals neue Boeing 787 entwickelt - das Programm ist ein großer Erfolg geworden. Boeing-Chef wollte Calhoun schon vor 15 Jahren einmal werden, jetzt hat er seinen Traumjob.

Allerdings begleitet ihn viel Skepsis. Seit 2009 war er Mitglied des Boeing-Verwaltungsrates, des Gremiums also, das all die Fehler zugelassen hat. Und seine Nähe zum am 23. Dezember gefeuerten Konzernchef Dennis Muilenburg, ist auch nicht gerade von Vorteil. Dieser habe "alles richtig gemacht", sagte Calhoun noch wenige Wochen vor dessen Rauswurf.

Nun muss er selbst wirklich alles richtig machen. Boeing steht vor einer Zerreißprobe - der Konzern muss angesichts der riesigen Zusatzkosten viel Geld einsparen, muss aber voraussichtlich schneller als geplant in ein Max-Nachfolgemodell investieren. Dafür, schreibt Luftfahrtanalyst Richard Aboulafia, müsse Calhoun aus einer Dividendenmaschine für die Aktionäre wieder ein Luftfahrtunternehmen machen.

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