Kirchseeon:Mehr als nur ein Spiel

Kirchseeon: Mit fast schon kindlicher Freude im Gesicht sucht Landrat Robert Niedergesäß nach einem geeigneten Standort für das Windrad. Was im Energiespardorf wirkt wie ein simples Spiel, ist Wahrheit eine detailgenaue Projektion der Realität.

Mit fast schon kindlicher Freude im Gesicht sucht Landrat Robert Niedergesäß nach einem geeigneten Standort für das Windrad. Was im Energiespardorf wirkt wie ein simples Spiel, ist Wahrheit eine detailgenaue Projektion der Realität.

(Foto: Christian Endt)

Die Ebersberger Energieagentur hat zusammen mit dem Bund Naturschutz ein Energierspardorf entwickelt. Mit dem Modell kann der Weg von Kommunen hin zur Klimaneutralität detailgetreu nachgespielt werden

Von Andreas Junkmann, Kirchseeon

Fest entschlossen greift sich Robert Niedergesäß das kleine Windrad und will es am Dorfrand der Modellanlage platzieren. Es muss schließlich was getan werden für die Energiewende. Wie sich aber schnell herausstellt, hat sich der Ebersberger Landrat (CSU) den falschen Standort ausgesucht. Wegen der 10-H-Regelung gibt es an der vorgesehenen Stelle keinen Anschluss dafür. Also muss das Windrad eben doch weiter außerhalb des Modells im Forst aufgestellt werden, es hilft ja nichts. Was für schelmisches Lachen bei den versammelten Kreisräten und Bürgermeistern sorgt. Sie alle haben sich am Dienstagnachmittag im Kirchseeoner Berufsbildungswerk Sankt Zeno versammelt, um die Einweihung des neuen Energiespardorfes zu feiern - und müssen schnell feststellen: Was nach spaßigem Zeitvertreib aussieht, ist in Wahrheit bitterer Ernst.

In dem Modelldorf, das die Energieagentur Ebersberg zusammen mit dem Bund Naturschutz entworfen hat, scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Zumindest steht die Kirche ziemlich genau in der Mitte der rund 20 Quadratmeter großen Spielfläche. Rund herum sind mehrere Holzgebäude platziert, die zwar auf den ersten Blick an Vogelhäuschen erinnern, aber die verschiedenen Haushalte einer Gemeinde symbolisieren sollen. Eine Industriehalle komplettiert das liebevoll gestaltete Ensemble, das auf einer Grundplatte mit zahlreichen Elektroanschlüssen steht.

Das Energiespardorf ist bereits das sechste seiner Art in Bayern - und im Landkreis verspricht man sich davon eine ganze Menge. "Das Dorf soll uns helfen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz", sagt Niedergesäß. Das etwa 20 000 Euro teure Modell, das von Schülern des Berufsbildungswerks zusammengebaut worden ist, soll dem Landrat zufolge nicht nur in den Schulen zum Einsatz kommen, auch Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte sollen sich dadurch spielerisch mit dem Thema Energiewende auseinandersetzen können.

Laut Klimaschutzmanager Hans Gröbmayr sei Bildung die Grundvoraussetzung dafür, dass Klimaschutz und die Energiewende gelingen können. "Und dieses Dorf ist ein umfassendes Bildungsprojekt." Gröbmayr erhofft sich durch das Modell, das künftig mobil in den Landkreisen Ebersberg und München unterwegs sein soll, dass die Diskussion über Klimaschutz versachlicht und kompetenter geführt werden kann. Die Grundvoraussetzungen dafür beinhaltet das Energiespardorf bereits, denn es kann individuell auf die Bedürfnisse jeder Gemeinde angepasst werden.

An diesem Nachmittag in Sankt Zeno soll es eine Gemeinde mit etwa 10 000 Einwohnern - also ungefähr der Größe von Kirchseeon - darstellen. Zusammen mit Peter Satzger, dem Entwickler des Energiespardorfes, sollen die anwesenden Kreis- und Gemeinderäte nun dafür sorgen, dass die Marktgemeinde möglichst klimaneutral wird - was gar nicht so einfach ist, wie sich schnell zeigt. Denn wie Satzger sagt: "Flächenbedarf und Energiewende hängen unmittelbar zusammen." Und da wären dann natürlich auch noch die verschiedenen Interessensgruppen. Zum Spielstart werden Rollen verteilt: Vom Betreiber eines Atomkraftwerks, über Elektroverkäufer und Landwirt bis hin zum Naturschützer. Die krassen Gegensätze sind bewusst gewählt, schließlich haben alle auch eine Gemeinsamkeit: Sie Mitglieder im Gemeinderat. Und als solche gilt es nun einen gemeinsamen Weg zu finden, im fiktiven Kirchseeon die Energiewende einzuleiten.

Die Grundvoraussetzungen sehen düster aus: Der Jahresverbrauch an Strom liegt zu Beginn bei etwa 28 Millionen Kilowattstunden, was einem CO₂-Ausstoß von rund 15 000 Tonnen entspricht. Als erste Maßnahme werden zwei Windräder gebaut, natürlich erst nachdem mit den Landwirten die Grundstücksverhandlungen geführt worden sind. Nachdem die Mitspieler nach und nach auch alle Hausdächer mit Photovoltaikanlagen ausstatten, ist deutlich anhand einer Echtzeitgrafik zu sehen, wie der CO₂-Ausstoß kontinuierlich sinkt.

Um gleichzeitig auch den Energieverbrauch zu senken, stopseln die Kreis- und Gemeinderäte die symbolischen Haushaltsgeräte in ihren Häusern ab und ersetzen sie durch energieeffizientere Modelle. Nachdem auch die Beleuchtung auf LED umgestellt worden ist, hat sich das Mini-Kirchseeon in ein Vorzeige-Energiespardorf verwandelt.

Was die Kommunalpolitiker an einem Nachmittag im Schnelldurchlauf ausprobiert haben, soll zur festen Institution im Landkreis werden. Zunächst soll das Energiespardorf an seinem Standort in Sankt Zeno bleiben. Von Sommer an soll es dann in der Region auf Tour gehen. Bis dahin werden auch die dafür nötigen Experten ausgebildet sein, um Workshops veranstalten zu können. In diesen wird dann schnell die Erkenntnis reifen, dass das, was wie ein simples Spiel wirkt, eine erstaunlich genaue Projektion der Realität ist.

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