Organspende:Widerspruch oder bewusste Entscheidung?

Organspende: Transportbox für Organe

Im internationalen Vergleich wenig: In Deutschland kommen 11,2 Spender auf eine Million Einwohner - im Bild eine Transportbox für Spenderorgane.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)
  • Der Bundestag entscheidet am Donnerstag darüber, wie die Organspende in Deutschland in Zukunft aussehen soll. Hier können Sie die Debatte im Livestream verfolgen.
  • Gesundheitsminister Spahn befürwortet die Widerspruchslösung, nach der jeder Bürger automatisch Spender ist - es sei denn er widerspricht.
  • Dem steht ein Vorschlag der Grünen-Chefin Annalena Baerbock entgegen, wonach die Organspende eine "bewusste und freiwillige Entscheidung" sein müsse.
  • Da die Fraktionsdisziplin aufgehoben ist und sich die unterschiedlichsten Unterstützer hinter die Vorschläge sammeln, ist nicht klar, wie die Entscheidung aussehen wird.

Von Christina Berndt und Henrike Roßbach, Berlin

Schon die Gesetzentwürfe sehen ungewöhnlich aus. Lange Namenslisten füllen die ersten anderthalb Seiten der Drucksachen 19/11096 und 19/11087. Aufgelistet sind die Abgeordneten, die den jeweiligen Entwurf unterstützen, und es sind nicht nur sehr viele, sie gehören auch unterschiedlichen Parteien an. Am kommenden Donnerstag wird über die Reform der Organspende abgestimmt. Ohne Fraktionszwang.

Zwei überparteiliche Entwürfe stehen zur Wahl. Die "doppelte Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz" und das Gesetz "zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende". Der erste Entwurf ist der des Gesundheitsministers. Zusammen mit seinen Mitstreitern macht sich Jens Spahn (CDU) dafür stark, dass künftig jeder als Organspender gilt - es sei denn, "es liegt ein erklärter Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vor". Für die Dokumentation der Erklärungen soll ein Register geschaffen werden. Den Angehörigen steht, außer bei Minderjährigen, "kein eigenes Entscheidungsrecht zu". Sie sollen nur gefragt werden, ob ihnen ein Widerspruch bekannt ist.

Vertreter der Ärzte bevorzugen ziemlich klar ein Konzept

Die Alternative dazu ist der Entwurf der Grünen-Abgeordneten Annalena Baerbock und ihrer Unterstützer. Die Organspende müsse, fordert die Gruppe in ihrem Entwurf, "als eine bewusste und freiwillige Entscheidung beibehalten werden, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf". Eingerichtet werden soll ein Onlineregister, in dem die Bürger ihre Erklärung abgeben können. Zudem soll jeder, der einen Personalausweis oder Pass beantragt, Informationsmaterial zur Organspende ausgehändigt bekommen und direkt vor Ort seine Erklärung abgeben können - oder später zu Hause, per Zugangscode.

Weil der Fraktionszwang aufgehoben ist, entscheiden die Abgeordneten allein nach ihrem Gewissen. Das führt zu den parteipolitisch bunten Namenslisten unter den Gesetzentwürfen. So hat der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Spahns Entwurf mit erarbeitet, während der ehemalige CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe für Baerbocks Vorschlag ist. Auch die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ist für dieses Modell. Die klare Mehrheit der amtierenden Minister mit Bundestagsmandat dagegen unterstützt Spahn: Hubertus Heil (SPD), Anja Karliczek (CDU), Helge Braun (CDU), Gerd Müller (CSU), Andreas Scheuer (CSU), Heiko Maas (SPD). Auch die Kanzlerin ist für die Widerspruchslösung. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) dagegen lehnt die Widerspruchslösung ab.

Während die Grünen ziemlich geschlossen den Baerbock-Vorschlag unterstützen, verteilen FDP und Linke sich auf beide Lager. Bundestagsalterspräsident Hermann Otto Solms (FDP) etwa will die Widerspruchslösung, FDP-Fraktionschef Christian Lindner dagegen die Stärkung der Entscheidungsbereitschaft. Linken-Parteichefin Katja Kipping steht auf der Baerbock-Liste, die Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch dagegen auf der des Gesundheitsministers. Die AfD wiederum hat einen eigenen Antrag eingebracht.

Bei Befürwortern einer Widerspruchslösung gilt Spanien als Vorbild

Jenseits des Bundestags hat Spahn viele Unterstützer im Lager der Gesundheitsexperten. Die Deutsche Transplantationsgesellschaft etwa hält die Widerspruchslösung für erfolgversprechend, ebenso wie die Fachgesellschaften der Lungenärzte, Nierenärzte, Urologen, Intensivmediziner und Notfallmediziner, die Bundesärztekammer, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), die für die Koordination der Organspenden zuständig ist, und die Stiftung Eurotransplant, die die Verteilung der Organe vornimmt.

Die beiden Bundestagslager haben in den vergangene Tagen noch einmal eindringlich bei ihren Kollegen für ihren jeweiligen Standpunkt geworben - vor allem um die noch unentschiedenen Abgeordneten. "Schweigen darf nicht als Zustimmung gewertet werden", heißt es in einem Brief der Baerbock-Gruppe. Für Angehörige könne die Widerspruchslösung noch belastender sein als der Status quo; sie hätten keinerlei Möglichkeiten, "einen Eingriff in den Körper eines geliebten Menschen zu verhindern, wenn der Verstorbene nicht explizit seinen Widerstand gegen die Organspende zeitlebens erklärt hat".

Spahn dagegen betont in seinem Brief, andere europäische Länder hätten mit der Widerspruchslösung gute Erfahrungen gemacht. Dort habe sich die gesellschaftliche Haltung "grundlegend verändert", es habe sich eine "Kultur der Organspende" entwickelt. Die Entscheidungslösung dagegen sei eine "Medizin, die schon bisher nicht wirkte". Mehr Ansprache, Aufklärung und Information alleine reichten nicht.

Als Vorzeigeland gilt den Befürwortern einer Widerspruchslösung Spanien, das heute mit etwa 48 Spendern je eine Million Einwohner zu den internationalen Spitzenreitern zählt. Aber: Die Widerspruchslösung wurde dort zwar schon 1979 eingeführt, die Spenderzahlen stiegen jedoch erst zehn Jahre später, als die Organspende in den Kliniken strukturell neu aufgestellt wurde. In Schweden wiederum gilt seit 1996 die Widerspruchslösung, woraufhin die Spenderquote erst einmal sank und auch heute mit knapp 18 Spendern pro einer Million Einwohnern im europäischen Vergleich eher gering ist. Die Gruppe um Annalena Baerbock argumentiert in ihrem Brief, der Schlüssel für höhere Spenderzahlen sei nicht die Widerspruchslösung, sondern eine reibungslose Organisation in den Kliniken.

Im europäischen Verbund steuert Deutschland im Verhältnis am wenigsten Organe bei

Die Einführung der Widerspruchslösung sei kein Allheilmittel, sagt der deutsche Herzchirurg Bruno Meiser, Aufsichtsrat von Eurotransplant, aber ein wichtiges Signal. Für die Menschen im Land, weil sie die Organspende zur Normalität mache, aber auch für die anderen europäischen Länder. "Alle anderen sieben Eurotransplant-Länder haben inzwischen die Widerspruchslösung etabliert", sagt Meiser. Deutschland ist mit seinen niedrigen Organspendezahlen von aktuell 11,2 Spendern je eine Million Einwohner Schlusslicht im Verbund. So bekamen deutsche Patienten im Jahr 2019 sieben Bauchspeicheldrüsen, 92 Nieren, 20 Herzen, 32 Lungen und 52 Lebern aus dem Ausland; Deutschland aber kann so gut wie nie mit einem Organ aushelfen.

Zusätzlich seien jedoch flankierende Maßnahmen wichtig, betont Meiser, wie sie der Bundestag im April 2019 mit der Novelle des Transplantationsgesetzes verabschiedet habe. Die zeigt bereits erste Erfolge: Anfang der Woche meldete die DSO, dass im vergangenen Jahr Krankenhäuser vermehrt Kontakt zu ihr aufgenommen hätten, um Organspenden zu realisieren. Tatsächlich wurde für den starken Rückgang der Organspenden in Deutschland in den vergangenen Jahren weniger die Zurückhaltung der Bevölkerung verantwortlich gemacht, als vielmehr die zu geringe Bereitschaft von Krankenhäusern, sich um die Organspende zu bemühen.

Spahn sagte am Dienstag der Süddeutschen Zeitung, es würden jedes Jahr so viele Patienten sterben, "die voller Hoffnung und Verzweiflung vergeblich auf ein Spenderorgan gewartet haben. Sie sterben, weil wir nicht den Mut aufbringen, neue Wege zu gehen. Ich finde, wir sind es den Kranken schuldig, dass sich jeder persönlich und verbindlich mit dem Thema Organspende auseinandersetzt." Auch Baerbock sieht Handlungsbedarf. Noch immer warteten zu viele Menschen auf ein passendes Spenderorgan, sagte sie der SZ. "Unser Vorschlag der wiederkehrenden Befragung bei Ausweisbeantragung setzt genau hier an. Er erhöht die Zahl der potenziellen Organspender, achtet unsere Verfassung und wahrt die höchstpersönliche Entscheidung jedes Einzelnen." Bei der Widerspruchsregelung gebe es große verfassungsrechtliche Bedenken. "Damit wäre niemandem geholfen."

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