Antikriegsroman aus dem Französischen:Mit den Händen der Feinde

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David Diop ist 1966 in Paris geboren, im Senegal aufgewachsten und unterrichtet Literaturwissenschaft an der Université de Pau. (Foto: AFP)

Für den Kolonialherren mussten sie die Wilden geben: Vom Schicksal der sogenannten Senegalschützen im Ersten Weltkrieg erzählt David Diop in seinem Roman "Nachts ist unser Blut schwarz".

Von Ekaterina Kel

Wenn man etwas oft genug wiederholt, gewinnt es an Gewicht. Wenn man etwas oft genug wiederholt, entsteht ein Rhythmus. Worte können poetisch werden, wenn man sie oft genug wiederholt. Oder schmerzend, wie eine offene Kriegswunde. Nach der Lektüre von David Diops kurzem, hochgradig ästhetisiertem Roman "Nachts ist unser Blut schwarz" klingen die Worte darin, die sich das Prinzip der Wiederholung zu Nutze machen, lange nach. Die eigenen Gedanken formen sich auf einmal nach einem ähnlichen Muster, man formuliert sie in Wellen immer wieder, jedes Mal leicht abgewandelt. Es schleicht sich eine Art stummer Musik ein, der friedvolle Segen dieses großartigen Romans, der sich einem durch und durch grausamen Thema widmet: dem Seelenleid eines jungen Soldaten im Schützengraben an der deutsch-französischen Front des Ersten Weltkriegs.

Der Mann, dem der senegalesisch-französische Autor Diop die schönen und grausamen Wörterwogen in den Mund legt, heißt Alfa Ndiaye und ist einer der etwa 180 000 sogenannten Senegalschützen, die von 1914 an aus Frankreichs damaligen Kolonien in West- und Zentralafrika an zahlreiche Fronten geschickt wurden. Zusammen mit seinem Kindheitsfreund Mademba, der ihm so ans Herz gewachsen ist, dass er ihn Seelenbruder nennt, und der kurioserweise den Nachnahmen des Autors trägt, verlässt Alfa sein Heimatdorf, um für die Franzosen in einem Krieg zu kämpfen, der nicht seiner ist. Dass die Deutschen der "Feind mit den blauen Augen" sind, wie Alfa erklärt, gilt wohl für alle, die die französische Uniform anhaben.

Alfa ist sich aber allemal seiner Rolle bewusst. Er weiß, dass die "Schokosoldaten", so nennt man sie, als erste aufs Schlachtfeld geschickt werden. Er durchblickt die Strategie des Hauptmanns, der den schwarzen Soldaten den Befehl gibt, auf einen Pfiff hin aus dem Graben zu klettern und die Machete schwingend "den Wilden zu geben, um den Feinden Angst einzujagen". Alfas Haltung dazu ist in ihrer Nüchternheit frappierend: "Das Frankreich des Hauptmanns braucht unsere Wildheit, und wir in unserem Gehorsam, ich und die anderen, wir geben die Wilden."

In einem inneren Monolog blickt Alfa zurück auf den Moment, der sein Leben für immer verändert hat. Sein Seelenbruder Mademba wird auf dem Schlachtfeld tödlich verwundet, der Bauch aufgeschlitzt von einem sich tot stellenden feindlichen Soldaten. Alfa liegt neben Mademba, "das Innere war außen, wie bei einem zerlegten Opferschaf", und sieht ihm stundenlang beim Sterben zu. Mademba fleht, ihn zu töten, ihm das Leid zu verkürzen. Aber Alfa bringt es nicht fertig. Es ist eine Sackgasse, egal, in welche Richtung: Tötet er ihn, wird er zum Mörder seines besten Freundes, tötet er ihn nicht, verlängert er seine Qualen.

Dieser Moment zerreißt Alfas Seele. Es ist der Beginn einer inneren Zerrüttung, die man im Roman Absatz für Absatz nachvollziehen kann. Diop macht sie so plastisch, mit seinen wellenförmigen Sätzen, dass es fast in der eigenen Seele wehtut. Die Ausweglosigkeit dieses Mannes wirkt betäubend - man kann sich der Situation nicht entziehen. Die unmittelbare Grausamkeit der Geschichte kettet einen an den Text, wie eben auch die gekonnt gewobene Satzstruktur und die wirklich fein gewählten Worte, die man als Leser in Deutschland auch auf das Konto des Übersetzers Andreas Jandl verbuchen muss.

Dies ist kein Antikriegsroman, mit einer eindeutigen Mahnung, es gibt einen universellen Schmerz

Alfa steckt fest in seinem inneren Treibsand, der Krieg und seine Unmöglichkeiten ziehen ihn ins Verderben. Der Tod des Freundes hinterlässt nur noch Wut, Rachegelüste und Wahnsinn. Dieses Gift fällt im Kriegsgemetzel auf fruchtbaren Boden. Alfa schleicht sich unbemerkt an Deutsche heran, während die schlafen, schlitzt ihnen den Bauch auf und schneidet ihnen nach einer Weile die Kehle durch - die Gnade, die er seinem Freund schuldig geblieben ist. Als Trophäe bringt er jedes Mal eine abgetrennte Hand mit. Eine Zeit lang werden Alfas nächtliche Rachezüge von den Kameraden als Heldentaten gefeiert, nach der vierten Hand aber meiden ihn die anderen Soldaten, bis sie nach und nach alle überzeugt sind, er sei ein Hexer, ein "Seelenfresser", ein wilder Fremdling, so berichtet es Alfa dem Leser. Allmählich reißt in seiner Erzählung eine Lücke auf: "Doch war es nicht wirklich ich, der da dachte. Ich hatte die Tür meines Geistes für andere Gedanken offen gelassen, von denen ich nur glaubte, sie wären meine." Nach der siebten Hand schickt ihn der Hauptmann in die Psychiatrie.

Dort erinnert sich Alfa voller Süßlichkeit und Naivität an seine geliebte Mutter, an die erste Nacht mit einer Frau, an den alten Vater, das Leben im Dorf. Immer weiter entfernt sich die Erzählung von den Hässlichkeiten des Schützengrabens. Aber der unbegreifliche Schmerz geht nicht weg, er fällt nur immer weiter ins Innere des Patienten hinein, bis nicht mal er selbst in der Lage ist, ihn zu benennen. Letztlich sind es die Erlebnisse auf dem Schlachtfeld, im "Land vom alten Niemand", wie es im Buch heißt, die Alfas Seele auffressen. Bis zum tragischsten Ende aller Tragödien, der drohenden Auslöschung des Ich.

Diop schreibt aber keinen Antikriegsroman mit eindeutiger Mahnung gegen das Kriegstreiben. Sein Anliegen ist vielschichtiger, es gelingt ihm, einen Helden im Antihelden zu erschaffen und seinen universellen Schmerz zu transportieren, Mitleid und Abscheu gegenüber dem Protagonisten gehen Hand in Hand. Wie ein Echo dieses Doppelempfindens ist der Widerspruch zwischen der Geschmeidigkeit der Sätze und der Rauheit der Geschichte auf jeder Seite spürbar.

"Nachts ist unser Blut schwarz" ist Diops zweiter und nach Angaben des Autors selbst sein "erster richtiger" Roman. Im Epilog schreibt er, dass er den kämpfenden Senegalesen, einer Randgruppe des 20. Jahrhunderts, eine Stimme geben wollte. Er tut es in einem feinfühligen, Leid besingenden Gedicht in Prosaform, dem man zuhören sollte.

David Diop: Nachts ist unser Blut schwarz. Roman. Aus dem Französischen von Andreas Jandl. Aufbau Verlag, Berlin 2019. 160 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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