Uraufführung im Wiener Volkstheater:Wiener Kraftlackel

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Killerriesenbaby: Thomas Frank auf der Volkstheater-Ausweichbühne. (Foto: Lupi Spuma/Volkstheater)

David Schalkos neuer Roman "Schwere Knochen" klingt in der Bühnenfassung etwas flotter, als er sich liest.

Von Wolfgang Kralicek

Auf dem harten Wiener Pflaster der Nachkriegszeit galt Ferdinand Krutzler als "Notwehrspezialist". Elf Mal stand der Unterweltkönig, dessen bevorzugte Methode der Halsstich war, vor Gericht, jedes Mal wurde er freigesprochen: Notwehr! Krutzler ist der Held von David Schalkos Roman "Schwere Knochen" aus dem Jahr 2018, und der Wiener Schriftsteller und Filmemacher arbeitet natürlich bereits an der TV-Serie zum Buch; das Wiener Volkstheater hat schon jetzt eine Bühnenfassung zur Uraufführung gebracht.

Das Volkstheater, wo gerade die Ära von Intendantin Anna Badora zu Ende geht, befindet sich nicht nur im übertragenen Sinn im Umbau. Wegen Sanierungsarbeiten ist das Haupthaus geschlossen, für den Rest der Spielzeit ist man ins benachbarte Museumsquartier übersiedelt. Die Bearbeitung von "Schwere Knochen", der ersten Premiere dort, war für Anita Augustin (Stückfassung) und den Regisseur Alexander Charim schon deshalb eine Herausforderung, weil der Roman konsequent in indirekter Rede geschrieben ist. Die Übersetzung in Szenen und Dialoge funktioniert über weite Strecken aber sehr gut, sie macht die Handlung sogar lebendiger als in der Vorlage. Denn bei der Lektüre des 570 Seiten starken Romans entsteht weder ein halbwegs stimmiges Bild von der Wiener Halbwelt der Nachkriegsjahre, noch kommen einem die Figuren nahe. Schalkos Erzählton bleibt stets in zynischer Distanz zum Geschehen. Zu den fragwürdigen stilistischen Mitteln gehören auch jede Menge (absichtlich?) schlechter Metaphern. Sie wurden gestrichen, und die Distanz zu den Personen der Handlung geht in der konkreten Bühnensituation bis zu einem gewissen Grad automatisch verloren.

Sechs Schauspieler und drei Schauspielerinnen übernehmen insgesamt 57 Rollen, wobei der Protagonist Thomas Frank sich als einziger auf eine Figur konzentrieren kann: Für das Riesenbaby Krutzler ist dieser Kraftlackel schon rein körperlich die perfekte Besetzung. Wobei "Verkörpern" bei diesem seelenlosen Mann - "Einer wie Krutzler hat keine Psychologie!" - schon das Äußerste ist, was man als Schauspieler leisten kann. Unmoralisch, unnahbar, unberührbar: Der Krutzler hat mit unzähligen Frauen geschlafen, aber nie eine geküsst. Und wer es wagte, seinen geliebten Kamelhaarmantel auch nur anzufassen, riskierte einen Halsstich.

Die Handlung setzt in den 1930er-Jahren ein, als der halbstarke Krutzler mit drei Freunden die "Erdberger Spedition", eine auf unerwünschte Wohnungsräumungen spezialisierte Einbrecherbande, betreibt. Nach dem Anschluss 1938 werden sie nach Dachau und Mauthausen deportiert, wo Krutzler als Kapo Karriere macht und zwei Häftlinge kennenlernt, die ihm nach dem Krieg gute Dienste leisten werden: Der Jude Grünbaum, gespielt von Sebastian Pass, kontrolliert den Schmuggel in der amerikanischen Zone, und dass der Kommunist Podgorsky (Andreas Patton) Polizeichef von Wien wird, kommt dem Notwehrspezialisten Krutzler auch entgegen.

Schalko travestiert hier einen Gründungsmythos der Zweiten Republik, den sogenannten "Geist der Lagerstraße". Der besagt, die gemeinsame Lagerhaft habe die Politiker von SPÖ und ÖVP zusammengeschweißt und so die Basis für Sozialpartnerschaft und Große Koalition geschaffen. Das auf die kriminelle Ebene zu übertragen, ist eine spannende Idee. Doch statt sich zur großen Gegengeschichte Österreichs zu entwickeln, bleibt der Roman eine spöttisch reportierte Gangstersaga, der Holocaust eine kuriose Episode. Das mulmige Gefühl, das aufkommt, versucht Regisseur Charim zu entschärfen, indem er das KZ als perversen Zirkus zeigt, mit dem Lagerkommandanten als Horrorclown.

Hier gerät die Inszenierung, die fulminant begonnen hat, etwas ins Stottern. Nach der Pause geht dem Abend, obwohl er mehr als drei Stunden dauert, die Zeit aus. Immer hektischer wird der Plot zu Ende erzählt, bis fast alle tot sind. Der Bodycount der Aufführung ist beträchtlich: 13 Menschen (und drei Tiere) kommen auf nicht natürliche Weise ums Leben. Man weiß halt nicht recht, warum. Im Zweifelsfall war es Notwehr.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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