Handball-EM:Fahrlässige Favoriten

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Nach den Franzosen scheitert auch Weltmeister Dänemark nach enttäuschenden Vorstellungen in der Vorrunde.

Von Joachim Mölter, Malmö/Wien

Die Handball-Europameisterschaft nähert sich allmählich der entscheidenden Phase, aber dem Handballprofi Mads Mensah Larsen von den Rhein-Neckar Löwen ist das jetzt egal. "Ich glaube nicht, dass ich in der Lage bin, mir das anzuschauen", sagte der Däne sichtlich enttäuscht, nachdem er mit seinem Nationalteam in Malmö gerade das letzte Vorrundenspiel gegen Russland hinter sich gebracht hatte. Das hatten die Dänen zwar gewonnen, 31:28, aber bereits vor dem Anwurf hatten sie keine Chance mehr gehabt aufs Weiterkommen in die Hauptrunde: Die letzte Hoffnung hatten die Ungarn zerstört, die zuvor die bereits qualifizierten Isländer besiegt hatten und somit auf die nächste Stufe befördert werden. Für die Dänen, die zuvor gegen Island verloren und gegen Ungarn unentschieden gespielt hatten, ist die EM zu Ende.

Damit ist schon der zweite große Titelfavorit vorzeitig ausgeschieden; Frankreich hatte es ja bereits vorher erwischt. Für die Handball-Welt ist das ein Erdbeben, wie es lange keins mehr gegeben hat. Die Teams aus Frankreich und Dänemark gehören zu den höchstdekorierten, sie standen sich im Olympiafinale 2016 gegenüber (das die Dänen gewannen), anschließend teilten sie sich die WM-Titel; Rekordchampion Frankreich triumphierte bei seinem Heim-Turnier 2017, Dänemark zwei Jahre später bei seinem. Dazwischen standen sie sich bei der EM 2018 zumindest im Spiel um Platz drei gegenüber (in dem die Franzosen siegten). Nun also der steile Absturz.

Auch lange nach Abpfiff noch fassungslos: dänische Fans nach dem vorzeitigen EM-Aus des Weltmeisters. (Foto: Petter Arvidson/imago)

Der hat auch mit dem neuen Format des Turniers zu tun. Der Kontinentalverband EHF hat die EM von 16 auf 24 Teilnehmer aufgestockt, um das Turnier zu vitalisieren. Zuletzt hatten zwölf Teams so etwas wie einen Stammplatz bei der EM, die EHF wollte mehr Ländern eine Chance gewähren. Skeptiker befürchteten Verwässerung und Niveauverlust, aber wenn es den gibt, dann nicht wegen der Neuankömmlinge. Die spielen mutig und erfrischend und mischen so das träge Establishment auf.

Die erfolgsgewohnten Franzosen und Dänen haben das Ganze offensichtlich unterschätzt. "Wir haben uns nicht gut auf dieses Turnier vorbereitet", gab Frankreichs Routinier Michael Guigou, 37, zu. Und der Rückraumspieler Larsen räumte nun ein: "Wir haben nur mit siebzig, achtzig Prozent gespielt, und das reicht halt bei Weitem nicht, um hier mit den besten Mannschaften mitzuhalten." Mag sein, dass für die großen Handball-Nationen wie Frankreich und Dänemark in diesem Jahr Olympia und die Qualifikation dafür wichtiger ist als die EM. Aber wenn sie nur mit halber Kraft unterwegs sind, kommen sie ihren Verfolgern natürlich entgegen.

Gegen die reicht im Notfall die individuelle Klasse einzelner Spieler wie die der ehemaligen Welthandballer Nikola Karabatic (Frankreich, 35) oder Mikkel Hansen (Dänemark, 32) nicht mehr aus, vor allem nicht gegen eingespielte Mannschaften wie Portugal, Frankreichs Bezwinger im Auftaktspiel. Die Portugiesen haben bereits bei Nachwuchstitelkämpfen auf sich aufmerksam gemacht und sich inzwischen auch bei den Männern internationale Härte angeeignet. In ihrem Kader stehen elf Akteure mit Champions-League-Erfahrung, nur vier EM-Teams haben mehr. Und von diesen Elf spielen neun auch noch beim FC Porto. So eine Blockbildung hilft natürlich besonders, wenn die Vorbereitung so kurz ist wie in diesem Jahr.

Auf einem ähnlichen Fundament basiert die positive Entwicklung, die Weißrussland und Slowenien gemacht haben in jüngerer Vergangenheit, und die Ungarn haben sie zumindest eingeleitet mit ihrer jungen Mannschaft: Viele Spieler bringen ihre Erfahrung aus Champions-League-Klubs ins Nationalteam ein, dazu kommen Trainer mit pfiffigen Spielideen und einer gewissen Risikobereitschaft. In Frankreich haben die Experten nach dem EM-Aus kritisiert, dass sich die Mannschaft spielerisch nicht mehr weiterentwickelt habe. Auch die Dänen wirkten müde und träge. Und wer stillsteht, wird halt irgendwann mal eingeholt - oder gar überholt.

© SZ vom 17.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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