Filmkarriere:Die Schwester von Terence Hill

Gisela Hahn in ihrer Wohnung in der Augustenstraße 52

In Gisela Hahns Schlafzimmer in München hängen Bilder, die sie als junge Frau zeigen.

(Foto: Florian Peljak)

Gisela Hahn spielte die Lehrerin von Michel aus Lönneberga und ein Mormonenmädchen in einem Western mit Bud Spencer. Beides Kult. Auf ihren Durchbruch wartete sie dennoch. Dann wurde sie beinahe ein Bondgirl.

Von Gerhard Fischer

Der Michel aus Lönneberga malt ein "A" an die Tafel. Dann legt er die Kreide weg, stellt sich vor die Lehrerin hin, zieht ihre Wangen auseinander, so dass ihr Mund ganz breit ist - und küsst sie. "Aber Michel, warum hast du das getan?", fragt die Lehrerin, die eher amüsiert als verärgert ist. Michel antwortet: "Das habe ich einfach aus meiner Güte heraus getan." Von diesem Ereignis, sagt die Sprecherin des Films, habe man in Lönneberga noch lange gesprochen.

47 Jahre später steht Gisela Hahn, die Lehrerin, in ihrer Wohnung in der Augustenstraße in München. Sie steht, weil sie einen Kaffee macht. Aber Hahn steht auch später, während des Gesprächs, häufig auf, weil sie lebendig ist. Und manche Geschichten lassen sich im Stehen besser erzählen. Wegen der Gesten.

"Das war doch süß", sagt sie über die Szene aus dem Film "Michel bringt die Welt in Ordnung", der immer an Heiligabend im ZDF gezeigt wird. "Wie er mir die Bäckchen auseinander gezogen hat!" Regisseur Ole Hellbom habe sie vor den Dreharbeiten an ihrem damaligen Wohnort Rom besucht und gefragt, ob sie Lust hätte, die Lehrerin zu spielen. "Ich fand Hellbom sympathisch und ich war noch nie in Schweden, also habe ich zugesagt", erzählt sie. Gedreht wurde dann in der Provinz Småland, der Heimat der Michel-Erfinderin Astrid Lindgren. Lönneberga liegt in Småland.

Hahn, 76, sagt übrigens nicht "liegt", sondern "liecht". Sie ist in Visselhövede aufgewachsen, das liegt zwischen Hannover und Bremen, am Westrand der Lüneburger Heide. "Liecht ist hannoverisch", sagt Hahn. Sie stellt den Kaffee auf den Wohnzimmertisch und geht in einen anderen Raum, in dem sie eine Büroecke eingerichtet hat. Sie will etwas präsentieren: Bilder, die über dem Schreibtisch hängen. Hahn zeigt auf das Cover der Zeitschrift Cinema, das Freunde zu ihrem 45. Geburtstag gestaltet hatten. Darauf steht: "Von Visselhövede nach Cinecitta". Der Filmstudio-Komplex Cinecitta, der im Südosten Roms liegt, ist das Hollywood Italiens.

Daneben hängen Fotos von ihren drei Geschwistern - sie leben in Berkeley, Lissabon und Celle - und von Mario Adorf und dem Produzenten, Schauspieler und Schriftsteller Peter Berling. Hahn lernte die beiden in Rom kennen, wo sie zwischen 1968 und 1983 lebte. "Wir waren ein Kleeblatt", sagt sie. Das heißt: unzertrennlich und oft gemeinsam unterwegs.

Hahn geht zurück ins Wohnzimmer. Der Kaffee ist kalt geworden. Sie macht einen neuen. Zuletzt war sie im Münchner Polizeiruf zu sehen, der im Dezember ausgestrahlt wurde. Hahn spielte eine emeritierte Ärztin, die mit ein paar Polizisten an einer krummen Sache beteiligt ist und den angeschossenen Ermittler Wolfi Maurer (Andreas Bittl) retten soll. "Die erste Einstellung war ein Maskenball", erzählt sie, "ich stand in der Mitte neben Verena (Altenberger, die Hauptermittlerin, Anm. d. Red.), als eine Dame kam und sagte: ,Sie stehen da falsch'!" Die Dame habe sie auf der Seite platziert, ehe Dominik Graf eingeschritten sei und gerufen habe: Das ist die Gisi! "Die Dame hat mich dann ganz weit nach vorne gestellt", sagt Hahn und lacht.

Damals war ihr nicht zum Lachen zumute. Die Dame habe ihr nämlich später gesagt, sie hätte sie, Gisela Hahn, für eine Statistin gehalten. Dass sie nicht erkannt worden sei, habe sie nicht gestört, sagt Hahn; sie spiele ja bloß noch gelegentlich. "Ich habe mich vielmehr geärgert, wie mit Statisten umgegangen wird. Ich habe sie immer gut behandelt."

Gisela Hahn hat mehrere Ordner auf den Tisch gelegt. Sie holt Fotos und Artikel daraus hervor. Neben den Ordnern liegen Papiere, auf denen ihre Karriere als Schauspielerin aufgelistet ist. Auf einem Blatt steht, dass Hahn in 59 Filmen eine Haupt-, Neben- oder Gastrolle gehabt habe.

"Der zweite Film neben Michel, der jedes Jahr gezeigt wird, ist der mit Bud Spencer und Terence Hill, in dem ich mitgespielt habe", sagt sie. "Die rechte und die linke Hand des Teufels." Hahn spielt darin das Mormonenmädchen Sarah.

Roberto Palaggi, der Produktionsleiter, habe sie in Cinecitta gefragt, ob sie in einem Western mitspielen wolle. "Das war ein Traum von mir", sagt Hahn und hebt die Hände, als würde sie jubeln. "Das hätte ich auch umsonst gemacht." Palaggi nahm sie also mit zu den Studios, wo bereits die Innenaufnahmen gedreht wurden. "Als das rote Licht erlosch", erzählt Hahn, "stellte mich Palaggi dem Regisseur Barboni vor und fragte: ,Enzo, passt dir die Gisela'?" Barboni habe sie von oben bis unten angesehen und gesagt: "Bellissima, bellissima."

Es macht ihr Spaß, solche Geschichten zu erzählen. Sie wird dann lebendig, lacht und gestikuliert. Oft hebt sie die Hände. Sie habe sich mit Spencer und Hill super verstanden, sagt sie. "Terence Hill und ich sahen wie Geschwister aus: beide blond, beide ganz blaue Augen." Gisela Hahn war eine hübsche junge Frau. Sie weiß das. Sie sagt, sie sei nicht hässlich gewesen. "Ich bin deshalb von den italienischen Männern in die Mangel genommen worden."

Unvermittelt steht sie auf und zeigt auf eine goldene Bowlingkugel, die auf ihrem Fernsehschrank steht. Hahn war 1968 nach Rom gezogen, mit 25. "Damals dachte ich, es wäre eine gute Idee, Sport zu machen, um die Sprache besser zu lernen und Kontakte zu knüpfen", erzählt sie. Zunächst versuchte es sie mit Schlittschuh laufen, aber nach einem Monat war die Eishalle niedergebrannt. "Das war schon mafiös", sagt sie und lacht. Also spielte sie Bowling, sehr gut offenbar. "Wenn ich bei etwas Blut geleckt habe, muss ich es möglichst zur Perfektion bringen", sagt sie. Bald wurde sie italienische Meisterin, im Team mit zwei andern Bowlern, und sie kriegte die goldene Kugel, die jetzt in ihrem Wohnzimmer steht.

Dann kamen die Filme, und sie hatte keine Zeit mehr fürs Bowling. Zum Beispiel spielte sie in einer Serie, die ein Straßenfeger wurde, eine Baronesse. Sie wurde schon am Anfang erstochen, aber die Serie hat sie bekannt gemacht. "Da konnte ich für kurze Zeit in Italien nicht mehr auf die Straße gehen", sagt sie.

Es lief ganz gut. Aber nicht sehr gut. "Ich hatte wenige Hauptrollen und war in Italien limitiert, weil dort dunkelhaarige Italienerinnen gefragt waren", sagt Hahn. Und so habe sie ihren Freunden Mario Adorf und Peter Berling mitgeteilt: "Wenn ich bis 40 keine große Karriere als Schauspielerin habe, suche ich mir ein zweites Standbein."

Beinahe ein Bondgirl

Einmal hätte die Karriere noch Fahrt aufnehmen können. Als sie das Bondgirl hätte werden können.

Es ging um "Thunderball", Hahn wurde zu Probeaufnahmen nach London eingeladen - und wäre, erzählt sie, schon im Foyer des Hotels, in dem sie wohnen sollte, beinahe wieder umgekehrt, weil dort ihre Konkurrentinnen um die Rolle des Bonds-Girls saßen: "Lauter Gazellen", sagt Hahn, die 1,65 Meter groß ist.

Sie blieb und sie blieb lange in der Auswahl. Am Ende ging es um die Frage: Gisela Hahn oder Claudine Auger, die Französin. Hahn machte Probeaufnahmen mit Bond-Darsteller Sean Connery, und sie war begeistert. "Er war nett und cool und hat mir die Scheu genommen", sagt sie. Dann hörte sie erst mal nichts mehr.

Bud Spencer, Terence Hill, Gisela Hahn Characters: Bambino, TrinitÓ Film: Trinity Is Still My Name! (Continuavano a chia

Hahn hat auch in einem Western mit Bud Spencer und Terence Hill mitgespielt.

(Foto: imago)

"Ich fuhr nach München zurück und musste zwei Wochen auf die Entscheidung warten", sagt Hahn. "In der Zwischenzeit habe ich in Schwabing Skat gespielt und Schnäpse getrunken", sagt sie und lacht.

Schließlich kam die Nachricht: Auger habe die Rolle bekommen.

Der Wechsel hinter die Kamera

Kurz vor dem 40. Geburtstag erhielt Hahn einen Anruf. Der Filmverleiher und Produzent Dieter Geissler war dran, ein alter Freund. Ob sie nicht zusammenarbeiten wollten, fragte er. Sie sei doch geeignet, mit ihren Sprachkenntnissen, ihren Kontakten, ihrem Auftreten. "Du sprichst mir aus der Seele", habe sie geantwortet. Sie wechselte "hinter die Kamera", wie man in so einem Fall sagt.

Hahn war dann gut im Geschäft, erst mit Geissler und dem Filmvertrieb Cinevox, dann mit ihrem Lebensgefährten Bodo Scriba in der Scriba Film Holding. "Wir haben ,JFK' und ,Free Willy' mitfinanziert und mitproduziert", sagt sie. "Auch ,Sommersby' mit Richard Gere und ,Falling Down' mit Michael Douglas."

Sie geht zu einem Filmplakat, das im Flur hängt. "Heaven and Earth" steht drauf, ein Antikriegsfilm. Regisseur Oliver Stone hat eine Widmung für Gisela Hahn auf das Plakat geschrieben. "Ich bin bei Warner ein- und ausgegangen", sagt sie. "Wir haben viel verdient und viel gearbeitet." Um 17 Uhr sei nicht Feierabend gewesen; da sei das USA-Geschäft ja erst los gegangen. Sie lächelt. "Golf spielen konnte ich damals nicht."

Hahn zeigt auf ein schwarzes Porzellanschwein im Regal. In weißen Buchstaben steht "Schwarzgeld" drauf. "Da werfe ich Geld fürs Golfspielen rein", sagt sie. Hahn spielt in Egmating im Münchner Osten. "Da bin ich als Schauspielerin, oder ehemalige Schauspielerin, ein Paradiesvogel."

Als die Beziehung mit Bodo Scriba zu Ende ging, löste Hahn auch die beruflichen Bande auf. Es war offenbar ein schmerzhafter Prozess. Gisela Hahn verrät Details zur Trennung, und was bei den Anekdoten mit Michel aus Lönneberga und Terence Hill noch von Vorteil für ihre Erzählung war, das Ausschmückende, wird hier zum Nachteil, weil es zu intim ist, um es einem Fremden zu verraten.

Für die Kunst nach Ostfriesland

Sie sei 1999 aus dem Filmbusiness ausgestiegen, sagt Hahn, und mit Horst Jüssen auf Theatertournee gegangen. Jüssen starb später an einem Lungenkarzinom. Hahn hörte danach mit dem Rauchen auf. Als sie im Polizeiruf rauchen musste, übte sie mit Kräuterzigaretten, weil sie Angst vor einem Rückfall hatte. Hahn steht sie auf und zeigt, wie sie beim Rolle lernen die Zigaretten in einen Behälter mit Wasser geworfen hat. Bei den Dreharbeiten hat sie aber doch richtige Zigaretten geraucht.

Dann setzt sie sich wieder hin und sagt: "Jetzt geht man mit kleinen Schritten." Sie meint das nicht wörtlich. Es geht um ihre Arbeit. "Die Produzenten und Regisseure stehen nicht Schlange", sagt sie. "Wenn sich was ergibt, spiele ich noch." Der Polizeiruf, Aktenzeichen XY, das war es im vergangenen Jahr. Jetzt, Ende Januar, macht sie beim Debütfilm einer jungen Regisseurin mit. Drei Tage in Ostfriesland. Heino Ferch ist auch dabei. "Anreise und Hotel bekomme ich bezahlt, Gage gibt es nicht", sagt Hahn, "das mache ich für die Kunst." Außerdem war sie noch nie in Ostfriesland.

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