FC Bayern:Müllers kleine Kampfansage

Hertha BSC v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Jubeln kann er, der Thomas Müller.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Christof Kneer, Berlin

Das erste, was sich im neuen Amt über Oliver Kahn sagen lässt, ist, dass er auf die Ernährung achtet. Einen Apfel zu essen, war eine ausgezeichnete Idee an diesem Sonntagabend, tief drunten in den Eingeweiden des Berliner Olympiastadions, es leuchtete nun ein bisschen gelb zwischen all dem bedrohlichen Dunkelgrau.

Ob das hier die Mixed-Zone sei, hatte Thomas Müller kurz zuvor grinsend wissen wollen, als er in all dem Dunkelgrau vor die Reporter trat. Nein, es war natürlich nicht die Mixed-Zone, aber in der offiziell für Befragungen vorgesehenen Gemarkung war kein Bayern-Spieler erschienen, so dass die Reporter eine für Stadtführungen vorzüglich geeignete Tour durch die Unterwelt unternahmen. Sie hetzten treppauf treppab durch die Katakomben, standen vor offenen und verschlossenen Türen, rannten gegen freundliche und feindliche Ordner, und irgendwann, nach Stunden oder Tagen, trafen sie kurz vor dem Bayern-Bus auf Thomas Müller.

Und hinter Müller lief dann irgendwann Oliver Kahn vorbei, gemeinsam mit seinem Apfel und Hasan Salihamidzic. Nee, nee, winkte Kahn ab, er wolle nix sagen, er ist ja noch neu in der Firma, und wie sähe das auch aus: Wenn die Reporter nach einem 4:0 in Berlin nur von ihm was wollen und nicht von dem kraft Amtes zuständigen Sportdirektor Salihamidzic. Und überhaupt: Mit vollem Mund spricht man nicht.

Erst Müller findet durch die zugeparkten Räume

Aber im Moment kann dem FC Bayern sowieso nichts Besseres passieren, als sich von Thomas Müller vertreten zu lassen. Es gab Zeiten, da haben die Bayern ihren Müller vorwiegend als Folklorefigur vor die Reporter geschickt, sie wussten, der Müller redet viel und redet gut, und wenn er noch was Lustiges raushaut, wie das in der Fachsprache heißt, dann haben die Reporter ihre Zeile und freuen sich und schreiben nix Böses. Manchmal hat das geklappt, manchmal nicht, manchmal war Müller auch sauer und hat auf Englisch geantwortet, und einmal hat sogar seine Frau was gepostet, worüber sich die Reporter freuten, nicht aber der zuständige Trainer Niko Kovac.

Spätestens nach dem gelungenen Rückrunden-Auftakt bei Hertha BSC lässt sich nun aber offiziell festhalten: Müller, 30, spricht jetzt wieder als Leistungsträger.

Tatsächlich folgte das Spiel in Berlin einer Dramaturgie, die man früher oft gesehen hat, beim FC Bayern oder beim DFB. Müllers Mannschaft war hoher Favorit und spielte dominant, aber der Gegner parkte die Räume so erheblich zu, dass niemand hindurch fand, außer Müller eben. Auch Hertha BSC hatte sich für massiven Spielverderberfußball entschieden, es sah so aus, als habe der Trainer Klinsmann die Lizenz fürs Offensivspiel ebenfalls in einer Schublade in Kalifornien liegen lassen.

"Das 1:0 war der klassische Knotenlöser", fand Thomas Müller, "danach haben wir mehr Freude, Spaß und Offensivgeist entwickelt, und Hertha wurde etwas müde." Das 1:0 war ein wunderbar selbstverständlicher Angriff über Robert Lewandowski, Leon Goretzka und Ivan Perisic, und am Ende stand Müller halt da, wo er früher immer stand und neuerdings wieder steht. Da, wo er sein muss und wo ihn trotzdem keiner erwartet.

Was Hansi Flick von Udo Lattek erzählt

"Es ist und bleibt Thomas' Stärke, dass er einfach nicht greifbar ist", sagt Trainer Hansi Flick, "außerdem ist er gerade topfit, er ist physisch richtig gut drauf." Müller schien irgendwie schon aus der Karriere gefallen zu sein, nun wirkt er plötzlich wieder mitten drin, was er in Berlin mit einem kleinen Jubiläum dokumentierte. Sein Tor zum 1:0 und seine Vorlage zu Perisic' 4:0 bescherten ihm die Scorerpunkte 249 und 250 in seiner Bundesligakarriere, drei Tore und acht Assists gelangen Müller allein in den acht Ligaspielen unter Hansi Flick.

Womöglich lässt sich an Thomas Müller am besten erklären, wie schwer und einfach der Fußball doch manchmal sein kann: Einerseits hat Flick das Spiel im Vergleich zu Vorgänger Kovac taktisch neu definiert, er lässt seine Elf offensiver spielen und denken und weiter vorne verteidigen. Andererseits hat er sie auch nur einer ganz simplen Wärmetherapie unterzogen. Was für die Flügelspieler Kingsley Coman und Serge Gnabry gilt, das gilt auch für Müller: Sie werden unter Flick erst mal an dem gemessen, was sie können und gerne tun und nicht daran, was sie nicht so gut können und deshalb vielleicht unterlassen.

Eine Mannschaft, "die in der Lage ist zu liefern, wenn sie muss"

Hansi Flick erzählt gerne die Geschichte von seinem ehemaligen Trainer Udo Lattek, der ihm mal sagte, man solle "Spieler lieber einen Kopf größer machen, als sie sind". Flick gefällt die Geschichte, er hat sie mit in seinen Traineralltag genommen, er will die Spieler an ihren Höhen messen. "Jeder Spieler braucht erst mal Wertschätzung", sagt er. Flick ist so etwas wie der Anti-Magath. Der ist der Meinung, jeder Spieler brauche erst mal Druck.

Wie weit dieser harmonische Ansatz die Bayern in den Härten des Wettbewerbs tragen wird, kann noch niemand abschätzen, immerhin hat der wiederauferstandene Müller in den Dunkelkammern des Olympiastadions schon mal eine kleine Kampfansage formuliert. Das Spiel habe "gezeigt, dass wir eine sehr wettkampfbezogene Mannschaft sind, die in der Lage ist zu liefern, wenn sie muss". Und das 4:0 sei demnach nicht nur eine gute, sondern "sogar eine bessere Antwort gewesen" auf die Vortagessiege von Leipzig und Dortmund, "weil wir keine Phase im Spiel hatten, wo wir zurücklagen oder zittern mussten".

Hansi Flick ist ein freundlicher Mensch, aber er wird genau darauf achten, dass dieses 4:0 intern nicht missverstanden wird. Die Lesart "Siehst du, dann brauchen wir ja gar keine neuen Spieler" wird er kaum akzeptieren, er hält seinen Kader weiterhin für sehr gut, aber auch sehr, sehr klein. Am Montag wollten sich die Bayern-Entscheider noch mal zu einer konspirativen Transferrunde zusammensetzen, die erste Entscheidung könnte schon in dieser Woche fallen. Am dringendsten wünscht sich Hansi Flick einen flexiblen Defensivspieler, am besten einen, der so kompakt steht wie ein Ordner in den Katakomben des Berliner Olympiastadions.

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