Theater:Anarchie im Hinterhof

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Seit 50 Jahren ist das Tams in Schwabing eine Bühne für Querdenker, Fantasten, Experimentierer und Improvisierer

Von Petra Hallmayer

Am Anfang stand ein totaler Flop. "Die Eröffnung des neuen Theaters ist zugleich seine Beerdigung", behauptete ein Kritiker 1970 keck nach der Premiere von Fritz Hermanns "Die stummen Affen". Gründlicher kann man sich kaum irren. Tatsächlich war dies der Beginn einer fantastischen Erfolgsgeschichte. Die zweite Premiere in dem von Anette Spola und Philip Arp in einem umgebauten Brausebad gegründeten Hinterhoftheater, Handkes "Quodlibet", war drei Monate lang ausverkauft, ein Jahr später glückte mit Arps "Valentinaden" ein legendärer Triumph.

Der junge Herbert Fritsch, den, wie er meint, die Theaterarbeit von Arp und Spola "extrem beeinflusst" hat, stand hier erstmals auf der Bühne. Urs Widmer schrieb für Philip Arp und Jörg Hube "Stan und Ollie in Deutschland" und gab bei der umjubelten Uraufführung sein Regiedebüt. Peter Radtke, den George Tabori drei Jahre später an die Kammerspiele holte, zeigte im Tams die Uraufführung von "Nachricht vom Grottenolm". Auf dem Spielplan fanden sich internationale Gastspiele, anarchisch politische Inszenierungen und literarisches Theater, Stücke von Thomas Bernhard, Botho Strauß, Georges Perec und Athol Fugard, eine Polt-Uraufführung und immer wieder neue Valentinaden.

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(Foto: Felicitas Rall-Wirtz)

Annette Spola leitet das Theater am Sozialamt bis heute.

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(Foto: Wolf Jahn)

Die Bühne, welche in der Haimhauserstraße in Schwabing beheimatet ist, feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen.

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(Foto: Volker Derlath)

2016 inszenierte Anton Prestele dort "Valentin in Hallifax".

"Hiermit gebe ich nichts bekannt", verkündete Philip Arp in einer Ära der Manifeste und Pamphlete. Im Tams soll niemand belehrt werden. Einen Nachfahren Valentins und "sanften Irren" nannten die Feuilletons Arp, der so wunderliche Satzketten knüpfen konnte. Und etwas von dessen Irrsinn hat die Schauspielerin und Regisseurin Anette Spola nach dem Tod ihres Mannes 1987 weiterhin bewahrt. Seit einem halben Jahrhundert erkundet ihre winzige Schuhkartonbühne, die in einem trauerweidenbewachten Schwabinger Hinterhof daheim ist, die Narreteien der Normalität. Hier gehen Poesie, Witz und Weltwehmut, zum Kringeln komische Blödeleien und existenzielle Fragen der Menschheit selbstverständlich Hand in Hand, dürfen die Gedanken streunen und Luftsprünge machen. In diesem Biotop für realitätskundige Fantasten und bayerisches Querdenkertum, in dem man als Kritiker immer ein bisschen unglücklich ist, wenn man es kritisieren muss, werden Zuschauern die Köpfe verrückt und die Augen geöffnet für die blinden Flecken unserer Wahrnehmung.

"Die Phantasie wohnt in der Haimhauserstraße 13", erklärt Gerhard Polt in dem zum Geburtstag erschienenen Buch "Tams Theater 50", das in Bildern und Texten die "wunderbare Metamorphose eines Tröpferlbads" erzählt. Man kann unmöglich alle Künstler aufzählen, die dazu beigetragen haben, darunter: der Zauberer unter den Bühnenbildnern Eberhard Kürn, der zart versponnene Musiker und Regisseur Ruedi Häusermann, der Regisseur und Autor Rudolf Vogel, Jörg Hube, Otto Grünmandl, der hinreißend skurril als Kaiser Nero auftrumpfte, Gerd Lohmeyer, der uns mit Spola und Ulrike Arnold Theaterabende zum Juchzen und Jauchzen bescherte wie "Weltuntergang/Riesenblödsinn" mit Valentin-Dialogen in der Wüste auf Arabisch und Jelineks Robert-Walser-Hommage "er nicht als er", in der Kürn ein Zimmer wachsen und schrumpfen ließ, all die Regisseure und Schauspieler, die sich lustvoll an die Tamssche Mischung aus Experimentier- und Improvisationsfreude und künstlerischer Präzision wagten, und die Hausautoren Beate Faßnacht und Maria Peschek, die für sich und Spola das clowneske Duo Charlie und Beppi schuf. Dabei gab und gibt es natürlich Enttäuschungen, missglückte Produktionen. Aber: "Auch im Scheitern", meint Michael Wachsmann im Jubiläumsband, "scheiterte das Tams immer tamsisch, also nie falsch tönend, oder blöd, oder routiniert."

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(Foto: Hannelore Voigt)

In den Anfangstagen des Theaters am Sozialamt tanzte Jörg Hube mit Philip Arp.

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(Foto: Hilda Lobinger)

2017 brachte Lorenz Seib das "Käthchen von Heilbronn" auf die Bühne. Der Untertitel: "... hab ich mir anders vorgestellt."

Theater war und ist für Anette Spola, in deren unter chronischer Geldnot leidendem Haus jeder nebenbei auch mal etwas reparieren muss, "immer ein Abenteuer". Sie gründete mit Rudolf Vogel 1998 das Theater Apropos, in dem psychisch Kranke und Therapeuten auf der Bühne stehen, und später Münchens erstes inklusives Theaterfestival "Grenzgänger". Seit einigen Jahren leitet sie das Tams gemeinsam mit Lorenz Seib, unterstützt von einem fabelhaften künstlerischen Team. Den Geburtstag wollen sie am Montag mit einer Premiere feiern unter dem gewitzt ironischen Titel: "Trotz des großen Erfolgs. Eine Revue des Scheiterns".

Ohne den Mut zu scheitern, glaubt Spola, kann man kein oder nur mittelmäßiges Theater machen. Vielen Menschen in ihrem Alter ist die Vergangenheit näher als die Zukunft. Wenn man mit Spola spricht, spürt man nichts von gegenwartsfeindlicher Nostalgie. Sie hat noch viel vor. Auf der letzten Seite des Jubiläumsbuchs steht ein einziger Satz: "In 50 Jahren werden wir 100." Eine tamsisch irrsinnige, kühne Prognose und sachliche Feststellung: Mittlerweile ist das Theater denkmalgeschützt.

© SZ vom 25.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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