Kultur in München:"Jodeln macht süchtig"

Jodlertreff Seidlvilla

Zum Offenen Jodeltreff lädt Gastgeberin Eva Becher (hier im Bild) zusammen mit Karin Sommer.

(Foto: Florian Peljak)

Beim Offenen Jodeltreff in der Münchner Seidlvilla leben knapp 50 Frauen und ein paar Männer ihre Gesangsleidenschaft aus. Trachtler sucht man hier vergebens - und auch sonst muss man von einigen Klischees verabschieden.

Von Wolfgang Görl

Zur Begrüßung lässt Karin Sommer ihre glockenhelle Stimme erklingen, den dunkel rätselhaften Text "ho-ä-riii" singt sie mit großen Intervallsprüngen, Quinten, Oktaven und solchen Sachen, und schon beim zweiten, dritten Ton stimmt die hier versammelte Jodelgemeinde ein, sodass eine vielstimmige Klangwolke den Raum füllt, die mächtig anschwillt und dem Zuhörer das Gefühl vermittelt, einem alpenländischen Stammesritual beizuwohnen. Ja, man könnte sich vorstellen, dass im nächsten Moment die Tür aufgeht und eine Kuhherde durch den Raum trottet, deren Kuhglockengebimmel einen wunderbaren Kontrapunkt zum Wohlklang des Chores setzen würde. Doch das Rindvieh bleibt aus, hier am Nikolaiplatz in Schwabing sind Kühe eher selten. Stattdessen wiederholt Karin Sommer ihr "ho-ä-riii", diesmal einen Ton höher, was der Klangwolke zusätzliche Wucht verleiht. Der Gesang endet in einem hellen Akkord, woraufhin sich der Chor selbst applaudiert.

Die Klangwolke entstieg den Kehlen von etwa 50 Jodelfreundinnen und -freunden, die zum Offenen Jodeltreff des Kulturreferats in die Seidlvilla gekommen sind. "Wir sind die Gastgeberinnen", sagt Karin Sommer, die 15 Jahre lang die Feldafinger "Villa Waldberta", das internationale Künstlerhaus der Landeshaupt, geleitet hat, und die sich in puncto Jodeln als "Quereinsteigerin" versteht. Praktisch von der Wiege auf mit dem Jodeln vertraut ist die zweite Gastgeberin Eva Becher, deren mittlerweile verstorbener Vater Kurt Becher, einst Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, ein bedeutender Freund, Förderer und Erforscher der bayerischen Volksmusik war.

Zum Jodeltreff am Donnerstagabend sind fast ausschließlich Frauen gekommen, gerade mal vier Männer bilden eine beinahe bemitleidenswerte Minderheit, der die Aufgabe, die Bassstimmen zu übernehmen, wie von selbst zufällt. Eine der Sängerinnen ist Annette Münch, eine Frau, "die allgemein sehr gerne singt", der aber beim Jodeln das Herz ganz besonders weit aufgeht: "Was mir so Spaß macht, ist, dass man sich entfalten, dass man aus sich herausgehen kann. Man muss keine Angst haben, weil die Melodien so einfach sind." Ingrid Spohn hat noch einen anderen Grund, warum sie am Jodeltreff teilnimmt: "Ich geh im Sommer für zwei Wochen auf eine Alm am Wendelstein. Da mag ich endlich mal gscheit Jodeln können."

Eigentlich hatte man erwartet, hier jede Menge Menschen in Dirndl und Lederhosen anzutreffen, doch Tracht sucht man vergebens, selbst die Gastgeberinnen sind in Alltagshose und Pullover erschienen, so als würden sie einen Yoga-Kurs leiten. Überhaupt muss man beim Urban Yodeling in Schwabing von einigen Vorurteilen Abschied nehmen, insbesondere von der Hoffnung, es würde in der Seidlvilla zugehen wie bei Loriots legendärem Jodeldiplom-Seminar. Gewiss, schön wäre es, Eva Becher würde auf eine Schiefertafel den unsterblichen Vers "Holleri du dödel di diri diri dudel dö" schreiben und diesen von jedem Kursteilnehmer nachsprechen lassen. Doch leider: Die meisten hier im "Zenzl-Mühsam-Saal" sind bereits mit allen Jodelwassern gewaschen, oder besser gesagt: Gäbe es ein Jodeldiplom, so hätten sie es längst. Als Becher fragt, wer noch nie gejodelt hat, heben allenfalls 15 Damen zögerlich die Hand. Alle übrigen, das stellt sich bald heraus, haben die Grundschule des Jodelns bereits hinter sich, sei es, dass sie bei Erich Sepp, sei es, dass sie bei Ruth Seebauer oder Traudi Siferlinger in die Geheimnisse dieser Kultur- und Sangestechnik eingeweiht wurden.

Jodlertreff Seidlvilla

Jodeln macht Spaß, aber Vorsicht: Es kann auch zur Sucht werden.

(Foto: Florian Peljak)

Weil hier vorwiegend Fachleute am Werk sind, braucht Eva Becher auch nicht lange zu fragen, welcher Jodler als nächstes exekutiert werden soll. Eine Frau schlägt den Steirer Dreier vor, was zur Folge hat, dass die Dame die Hauptstimme gleich mal selbst vorsingen darf oder muss. Textlich beginnt der steirische Dreier mit einem "ho-e ho-i-ri", was abermals den Verdacht nährt, dass der Text nicht das Wichtigste beim Jodeln ist. Das bestätigt Eva Becher insofern, als sie erzählt, dass die Volksliedersammler, die Ende des 19. Jahrhunderts mit Notenpapier und Bleistift über die Dörfer gezogen sind, genau das aufgeschrieben haben, was ihnen vom Bauern oder der Magd gerade vorgesungen wurde. Im nächsten Dorf aber könnte das Lied schon wieder anders geklungen haben, also beispielsweise "ho-i-ro" statt "ho-i-ri".

Wie auch immer: Der Steirer Dreier entfaltet in der Seidlvilla bald die Kraft und die Herrlichkeit, die man von einem steirischen Jodler erwarten darf, und als dann die Männer, wiewohl klein an der Zahl, mit erstaunlicher Phonstärke die Bassstimme ins Spiel bringen, ist Jodelmeisterin Becher entzückt: "Mei, klingt das toll!" Beim nächsten Jodler, dem Weißensteiner, dessen Lyrik mit "dje-hol-la-re-di-ri-ja" beginnt, lässt sich gut studieren, wie unterschiedlich die Formen der Hingabe sind, mit der die Akteure das Jodeln betreiben. Da gibt es die Frau, die beim Singen selig die Augen schließt, als würde sie andächtig beten; einer der Männer wiederum jodelt schmallippig und mit einer Strenge im Blick, die an übel gelaunte Dorfschullehrer erinnert; eine Dame singt mit vornehm gespitztem Mund, so wie der Hochadel Tee trinkt; ganz anders die Frau, die jede Silbe mit den Lippen feierlich formt, als gelte es, jedes "hol-la-re" und "di-ri-ja" mit einem Kuss zu entlassen. Offenbar gibt es viele Wege, die in den Jodelhimmel führen, so wie das Jodeln, auch das lernt man an diesem Abend, ein globales Phänomen ist. Gegen Ende stimmt Karin Sommer einen Jodler an, den die Pygmäen im afrikanischen Regenwald singen. Textlich ("A-ma-i-bu-o-i-e-i") ist er nicht weit vom alpenländischen Jodler entfernt, musikalisch auch nicht. Nur dass man beim Singen laufen soll - was hier unterbleibt -, ist vielleicht etwas ungewöhnlich.

Nach dem offiziellen Ende jodeln einige beim Bier im Stüberl weiter. "Jodeln macht süchtig", sagt Jodlerin Juliane Kanzler-Haseitl. Demnächst reist sie in den Kaukasus - zu einer Jodelwanderung.

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Autor Andreas Lechner im Mariandl.

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