SZ-Werkstatt:Die Kunst der Nachrufe

Johan Schloemann

Johan Schloemann ist Redakteur und Chef vom Dienst im Feuilleton. Als solcher betreut er auch die Seitenproduktion. Ab und an bringt ihm da auch mal ein trauriger Anlass in Form eines Nachrufs die Planung durcheinander.

(Foto: Natalie Neomi Isser)

Johan Schloemann über das heikle Unterfangen, vorab oder kurz nach dem Tod berühmte Leben zu kommentieren.

Wenn man absieht von großen Politikern, Sportlern und lokal bedeutenden Persönlichkeiten, ist besonders das Feuilleton für Nachrufe zuständig. Das Textarchiv schätzt, dass im vergangenen Jahr ziemlich genau 400 Personen mit einem Nachruf in der SZ bedacht wurden. (Die Zahl ist nicht ganz exakt wegen einiger mehrfacher Versionen und nicht erfasster Artikel). Von den 400 stand die Hälfte im Feuilleton. In dieser Woche waren zum Beispiel dran: der Philosophen-Stiefsohn und -Nachlassverwalter Hermann Heidegger, der Komiker Terry Jones von "Monty Python" und die Jugendbuchautorin Gudrun Pausewang.

Also hängt das Damoklesschwert der Endlichkeit ständig über diesem Ressort. Das ist zwar eigentlich überall so, aber anderswo verdrängt man es ungestrafter. Wir werden oft gefragt, ob wir die Nachrufe vorbereiten oder sie erst spontan schreiben, wenn die Nachricht des Todes bestätigt ist (und nicht "stark übertrieben", wie Mark Twain einmal über sich selbst sagte). Die Antwort entspricht der Unplanbarkeit des Todes: Manche ja, manche nicht. Es mag ungerecht erscheinen, ein Lebenswerk unter Zeitdruck in ein paar Stunden zu resümieren. Aber erstens kann man gar nicht für alles gewappnet sein, zweitens gibt es abergläubische Kollegen, die meinen, Nachrufe auf wichtige Persönlichkeiten nicht "kalt" verfassen zu können, sondern erst im Moment der heißen Dringlichkeit der Kondolenz. Belesenheit oder sonstige Sachkenntnis kann in solchen Situationen helfen.

Dennoch liegt bei uns eine Reihe vorgefertigter Nachrufe auf schon betagtere Künstler, Gelehrte, Schauspieler, Philosophen, Musiker, Schriftsteller vor. Anders als Zeitungen in anderen Ländern hat die SZ keine "Obituaries"-Seite und keinen eigenen Nachrufredakteur (ich bin es auch nicht); also helfen viele dabei mit, uns für Todesnachrichten zu rüsten. Dies wird manchen, die anderen Beschäftigungen nachgehen, makaber und pietätlos vorkommen. Aber wenn der Nachruf dann erscheint, ist er doch ein ehrwürdiges und beliebtes Genre. Ein Leben wird eben oft noch einmal besonders interessant, wenn es abgeschlossen ist.

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