Zum Tod von Kobe Bryant:Stadt ohne Engel

NBA legend Kobe Bryant killed in helicopter crash

Er ist in Los Angeles allgegenwärtig: Ein Wandgemälde mit Kobe Bryant

(Foto: AFP)

Der Tod von Kobe Bryant treibt den Bewohnern von Los Angeles die Tränen in die Augen. Der Basketballer hat die Stadt geprägt - weil er, trotz seines Talents, ein Arbeiter geblieben ist, der seine Fehler hatte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Kobe. Es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, bei denen der Vorname reicht, um sie eindeutig zu identifizieren: Marilyn, Elvis, Serena, Denzel. Der Basketballspieler Kobe Bryant hat sich ein paar Spitznamen selbst gegeben, "Black Mamba" zum Beispiel, die Schlange, wegen seiner Beweglichkeit, Aggression und Giftigkeit auf dem Parkett. Oder "Vino", weil er mit zunehmendem Alter gerne noch besser und wertvoller werden wollte, wie erlesener Rotwein. Kaum ein Mensch wäre je auf die Idee gekommen, einen dieser Spitznamen zu verwenden. Kobe war Kobe, und am Sonntag genügte dieser Vorname, um den Bewohnern von Los Angeles die Tränen in die Augen zu treiben.

Bei einem Hubschrauberabsturz in den Hügeln von Calabasas, eineinhalb Autostunden westlich des Stadtzentrums der Metropole, sind neun Menschen gestorben, darunter Bryant, 41, und seine 13 Jahre alte Tochter Gianna. Es dürfte dauern, bis die genauen Umstände des Unglücks geklärt sind. Es ist neblig gewesen, womöglich hätte dieser Flug nie stattfinden dürfen, der nun bereits als Symbol gesehen wird für dieses viel zu kurze Leben: immer in Bewegung, nie zufrieden sein, sich nicht von Widrigkeiten oder so etwas wie dem Wetter aufhalten lassen.

Einen Spitznamen bekommen viele aufgedrückt, dass aber allein der Vorname bei den Menschen ein Bild erzeugt - das muss man sich erarbeiten. Wohl nirgends wird das an diesem Sonntag so spürbar wie im Staples Center, der Arena im Stadtzentrum von Los Angeles, in der Bryant 20 Jahre lang für die Lakers gespielt hat - es ist außerordentlich selten im heutigen Profisport, dass jemand so lange einem Team treu bleibt. Am Abend wird im Staples Center jedenfalls der Musikpreis Grammy verliehen, gegen Mittag, während die Popstars Ariana Grande und Billie Eilish gerade ihre Auftritte proben, kommen die ersten Leute zur Halle, legen Kobe-Trikots ab und erzählen sich Kobe-Geschichten.

Er wollte keine Herzen gewinnen, sondern Titel

Wie er in den Playoffs 2000 diesen Lobpass auf Shaquille O'Neal gespielt hat. Wie er 2013 mit gerissener Achillessehne noch zwei Freiwürfe versenkt hat. Wie er, der alte Wein, bei der letzten Partie seiner Karriere im Frühling 2016 noch mal unfassbare 60 Zähler geschafft hat. Sie ahmen seine typischen Bewegungen nach, den gedrehten Sprungwurf, die Körpertäuschungen, den Blick. Es ist rührend und traurig zugleich. Wenn Leute über Verstorbene reden, erzählen sie immer auch ein bisschen über sich selbst. Es geht nicht so sehr um die fünf NBA-Titel von Kobe bei all den Geschichten, um die beiden olympischen Goldmedaillen, um die 33 643 Punkte, die er im Lauf seiner Karriere erzielt hat.

Zahlen sind wichtig im Sport, besonders auch im Basketball, daran lässt sich messen, wie weit es einer objektiv gebracht hat. Erinnerungen sind subjektiv, sie handeln davon, wie der Verstorbene einen begeistert, inspiriert, geprägt hat, und auch dazu passt nun, was sie drinnen im Staples Center nach der Nachricht von Kobe Bryants tragischem Unfalltod getan haben. Alle Trikots, alle Rekordbanner unter dem Dach sind verhüllt, nur die beiden von Kobe sind zu sehen und werden beleuchtet, so wie in Kirchen die Bilder von Heiligen illuminiert sind. Los Angeles hat einen seiner Engel verloren.

Die Stadt an der amerikanischen Pazifikküste ist bekannt dafür, dass Schein mindestens so wichtig ist wie Sein. Los Angeles, das ist der Ort, wo sich Leute operieren lassen, bis beim Dauerlächeln keine Falten mehr zu sehen sind. Wo jeder ein Gewinner sein muss, das Gewinnen aber keinesfalls schwer fallen darf, sondern locker und leicht und lächelnd passieren sollte. Die L. A. Lakers haben diesen Showtime-Gedanken wie kaum ein anderer Sportklub verinnerlicht. Kobe Bryant hätte diesem Mantra nicht ferner sein können. Und genau deshalb hat er diese Stadt geprägt.

Er ist vor 41 Jahren in der Arbeiterstadt Philadelphia zur Welt gekommen, er hat als Kind sieben Jahre lang in Italien gelebt, weil sein Vater Joe dort als Basketballprofi gewesen ist - den nun berühmten Vornamen haben die Eltern gewählt, nachdem sie die japanische Stadt als Herkunftsort des berühmten Kobe-Rindes auf einer Speisekarte entdeckt hatten. Als der junge Bryant 1996 als Teenager ohne College-Aufenthalt direkt in die NBA wechselt, sagt er, dass er keine Herzen gewinnen wolle, sondern Titel. Oder: "Es gibt kein ,fast'. Es gibt Gewinnen und Verlieren, dazwischen gibt es nichts." Oder: "Ich mag faule Leute nicht, ich will deren Einstellung nicht kapieren." Oder - noch einmal zur Erinnerung, er ist schließlich in L. A.: "Nachtleben und Partys sind uninteressant."

Vergewaltigungsvorwürfe - der dunkle Fleck in Bryants Vita

Über Tote nur Gutes, heißt es, doch Kobe Bryant würde dem vermutlich widersprechen. Er hätte wohl kein Problem damit, würde man ihn verbissen nennen, gnadenlos sich selbst und auch Kollegen gegenüber. Einer, der alles dem Erfolg unterordnete - und dabei, vor allem für seine eigene Genugtuung, der Hauptverantwortliche für diesen Erfolg sein wollte. Er vergraulte den legendären Center O'Neal, weil der damals mehr Lorbeeren für die drei gemeinsam errungenen Titel bekommen hatte als er. Bryant war erst zufrieden, als er 2009 in den erlesenen Kreis derer aufgenommen wurde, die sowohl zum wertvollsten Spieler einer Saison als auch zum wertvollsten Spieler einer Finalserie gewählt wurden. Danach vergrätzte er Mitspieler wie Dwight Howard, Jeremy Lin und Pau Gasol und pochte trotz nachlassender Leistungen darauf, der bestbezahlte Spieler der Liga zu sein.

Los Angeles ist nur an der Oberfläche die Stadt der Reichen und Schönen und Unfehlbaren. Die meisten Bewohner verbringen einen Großteil ihrer Zeit damit, Fehler zu begehen oder abgelehnt zu werden beim Versuch, etwas aus sich zu machen. Bryant blieb, bei allem Talent, ein Arbeiter, mit dem sich auch Leute auf den billigeren Plätzen unterm Hallendach identifizieren konnten. So gewann er die Herzen, die er nie hatte gewinnen wollen, und er einte eine Stadt, die sich aus Hunderten von Stadtteilen zusammensetzt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der gemeinsame Nenner war der Respekt für Kobe.

Über Tote nur Gutes, heißt es, doch weil Bryant, wie schon erwähnt, dieser Regel vermutlich widersprechen würde, darf nicht unerwähnt bleiben, dass er sich durchaus schlimme Fehltritte geleistet hat: So soll er im Jahr 2003 im US-Bundesstaat Colorado eine Hotel-Angestellte vergewaltigt haben. Es kam zum Prozess, aber nie zu einer Verurteilung. Doch Bryant räumte selbst ein, dass die Frau das, was er für einvernehmlichen Sex gehalten hatte, auch anders hätte empfinden können. Es bleibt ein dunkler Fleck in Bryants Vita; seine Frau Vanessa, mit der er vier Töchter hat, blieb trotz allem immer bei ihm.

Die Leute vor der Arena sprechen am Sonntag auch über diesen Fall und darüber, wie sehr sie der Sturz des Engels damals geschmerzt habe. Sie reden darüber, wie Bryant im Jahr 2011 einen Schiedsrichter während einer Partie mit einem homophoben Schimpfwort beleidigt hatte. Dass er, der Platzhirsch bei den Lakers, andere hochkarätige Zugänge abgeschreckt und dadurch womöglich mehr Titel verhindert habe. Dass der Klub beide Rückennummern, die er trug (er hatte nach den Skandalen von "8" auf "24" gewechselt), nicht mehr vergeben werde, Bryant die Halle nach der Zeremonie jedoch verlassen habe, weil ihn das Spiel der Lakers danach nicht mehr zu interessieren schien.

Einer, der aus seinen Möglichkeiten das Maximale gemacht hat

"Ich sage immer, was ich denke - und ich mag Leute, die ihre Meinung ehrlich mitteilen", sagte er einmal. Er dürfte die offenen Erzählungen der Fans, auch über Verfehlungen, deshalb zu schätzen wissen. Er hat sich durchaus gewandelt, gegen Ende seiner Karriere war Altersmilde zu spüren, während seiner Abschiedstournee wurde er sogar in Hallen gefeiert, in denen er zuvor höchst unbeliebt war. "Es ist verrückt, dass einer wie ich vom Bösewicht zum Helden wird", sagte er nach der letzten Partie in der Umkleidekabine: "Dabei hat doch jeder Mensch beide Seiten in sich." Zu dieser Altersmilde gehört vielleicht auch, dass er, der Überehrgeizige, dem sportlichen Rivalen LeBron James gratulieren konnte, als dieser ihn in einer der prestigeträchtigsten NBA-Statistik überflügelte. Es war eine der letzten Nachrichten, die Bryant verschickte, und man kann es als Ironie des Schicksals sehen, dass er just am Samstag aus den Top Drei der ewigen Scorerliste fiel, am Tag vor seinem Tod.

Was Kobe Bryant bis zuletzt nicht konnte: abschalten, ausruhen, genießen. Auch nach der aktiven Karriere stand er jeden Tag um vier Uhr morgens auf, arbeitete an seiner Fitness und kümmerte sich dann ums Geschäft. Er hatte zum Karriereende das Sonett Dear Basketball verfasst, es handelt von jenem Moment, in dem eine Partie auf diese eine Aktion reduziert wird, die über den Ausgang entscheidet. Er verpflichtete den Regisseur Glenn Keane und den Musiker John Williams, daraus einen Kurzfilm zu machen - und gewann als erster Profisportler einen Oscar.

So wollen sie ihn in Erinnerung behalten in L. A.: als einen, der aus seinen Möglichkeiten das Maximale herausgeholt und das Optimale gemacht hat, in welchem Bereich und auf welche Weise auch immer.

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