Obermenzing:Hartnäckig zuhören

Obermenzing: Bleibt Optimistin, auch wenn sie sich manchmal dazu zwingen muss: Mechthild Schreiber.

Bleibt Optimistin, auch wenn sie sich manchmal dazu zwingen muss: Mechthild Schreiber.

(Foto: Catherina Hess)

Mechthild Schreiber, 89, kämpft als Friedensaktivistin für eine andere Münchner Sicherheitskonferenz

Von Jutta Czeguhn, Obermenzing

Ihr Mann, sagt Mechthild Schreiber, habe Picasso ganz besonders gemocht. Und so hängt über dem Esstisch dieses Bild, Strichmenschen halten sich bei den Händen und umtanzen einen stilisierten Sonnenball, in dessen Mitte eine Friedenstaube fliegt. Dieser Picasso passt ziemlich gut zu Mechthild Schreiber, die ihr Lebensthema, Frieden und Gewaltfreiheit, auch erst mal aus einiger Entfernung umkreiste, ehe sie sich mit aller Kraft und Leidenschaft darauf geworfen hat. Jetzt ist sie bald 90 Jahre alt und Vorstandsmitglied der Projektgruppe "Münchner Sicherheitskonferenz verändern e. V.". Das Verb kann als Imperativ gelesen werden. Ohne schrilles Ausrufezeichen, denn Schreiber, so bekommt man den Eindruck, wenn man ihr gegenübersitzt, ist einer dieser eher ruhigen Menschen, die aber sehr hartnäckig zuhören können.

Zuhören kann man dieser ungewöhnlichen Frau am kommenden Montag, 3. Februar, 19 Uhr, dann wird sie gleich bei sich um die Ecke im "Alten Wirt" an der Dorfstraße in Obermenzing auf Einladung des Kulturforums München-West von ihrem Friedensengagement erzählen. Vermutlich auch von den Begegnungen mit Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz (Siko), zu der sich vom 14. bis zum 16. Februar wieder Regierungsvertreter, Militärs und Rüstungslobbyisten aus aller Welt in der Landeshauptstadt treffen. Schreibers kleiner Verein, er wurde 2006 gegründet und hat gerade mal elf Mitglieder, hat es immerhin geschafft, dass ihm Ischinger regelmäßig zuhört. Und somit nun seine Vision von einer Siko kennt, die ein Forum sein könnte für eine faire globale Zusammenarbeit, anstelle traditioneller Sicherheitspolitik, welche von der Unverzichtbarkeit militärischer Gewalt ausgeht. "Wir setzen auf Dialog", sagt Mechthild Schreiber, und sie weiß auch, dass andere Friedensgruppen den Verein deshalb kritisch sehen, als eine Art "Feigenblatt" für Leute wie Ischinger.

Dabei braucht man der vierfachen Mutter, Großmutter und Urgroßmutter nicht groß erklären, wie ziviler Ungehorsam geht. Anfang der Achtzigerjahre war sie bei den Sitzblockaden in Mutlangen gegen die Stationierung der Pershings dabei, hat sich ein ums andere Mal wegtragen lassen. "Ich kam dann immer derart gelöst nach Hause, dass mein Mann sagte, ich soll wieder hinfahren", sagt sie und blickt zum Foto ihres vor zehn Jahren verstorbenen Mannes. Ulrich Schreiber, ein Ingenieur, hat auch immer brav die Geldstrafen bezahlt, die seiner Frau wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt aufgebrummt wurden.

Wer beinahe 90 ist wie Mechthild Schreiber, hat das Privileg eines geweiteten Blicks auf sein Leben und sieht klarer, wo die Weichenstellungen, Abzweigungen und Irrwege waren. Sie kommt aus einem aufgeschlossenen Berliner Haus, ihre Eltern waren beide Künstler, die viele jüdische Freunde hatten, nicht in der Partei waren. Nach dem Krieg geht Mechthild Schreiber nach London als Au-pair in eine jüdische Familie, dann nach Paris. Sie will die Welt sehen, Sprachen lernen. Beginnt später ein Studium der Romanistik, bricht ab, heiratet, bekommt vier Kinder. In Obermenzing, wohin die Familie nach einigen Stationen zieht, ist sie sehr in der katholischen Kirchengemeinde verankert. Mechthild Schreiber gibt Firmunterricht, bis der Pfarrer ihr vorwirft, "kommunistisches Gedankengut" zu verbreiten. Sie tritt aus der Kirche aus, doch über Gruppen wie Pax Christi und Kirche von Unten führt der Weg in die Politisierung, mit 58 Jahren nimmt sie ein Soziologiestudium auf, das sie nach 16 Semestern abschließt.

Mechthild Schreiber blickt heute auf die Generationen ihrer Enkel und Urenkel, die wie sie einst auf die Straße gehen. Sie würde sich wünschen, dass Friedensbewegung und "Fridays for Future" irgendwie zueinanderfinden können. Vor allem dass alle einander ausreden lassen, sich einfach mal zuhören.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: