Architektur in München:Das recycelte Hochhaus

Atlas-Hochhaus im Münchner Werksviertel, 2020

Das Atlas Hochhaus an der Rosenheimerstrasse 143 wurde entkernt und neu gestaltet.

(Foto: Stephan Rumpf)

Vom Gerippe zum "Atlas"-Haus: Im Münchner Osten zeigen Investoren, wie nachhaltig gebaut werden kann. Sie verwenden die alte Baumasse weiter.

Von Alfred Dürr

Architektur muss nicht immer komplett neu entstehen. Warum gleich mit der Abrissbirne anrücken, wenn man bei einer Modernisierung auch kreativ mit dem Bestand umgehen kann? In München gibt es inzwischen einige bemerkenswerte Beispiele für das "Recycling" von Bausubstanz, die in die Jahre gekommen war. Das BMW-Hochhaus, der Vierzylinder und der Hypo-Turm gehören dazu. Beide prägen seit Jahrzehnten die Stadtsilhouette und stehen unter Denkmalschutz. Beide wurde von innen und von außen runderneuert, ohne dass sich das typische Erscheinungsbild geändert hat. Das Baywa-Hochhaus im Arabellapark hingegen bekam eine neue Fassade und wurde um vier Etagen erhöht - das demonstriert Bestandserhaltung vor Tabula-Rasa-Denken.

Auch bei kleineren Projekten funktioniert die Idee des Wiederaufbereitens von vorhandenen Strukturen. Das rund 60 Meter hohe Bürogebäude an der Rosenheimer Straße, am Rand der Werksviertels, war ein eher unauffälliger Klotz. Und dennoch hatte dieser eine Signalfunktion. Denn auf dem Dach befand sich eine mächtige und weithin sichtbare orangefarbene Kugel, die das Werbesymbol für ein Kreativunternehmen war. Das wirkte und war ein Orientierungspunkt nicht nur für den einstigen Kunstpark und die Kultfabrik, sondern für den ganzen Münchner Osten.

Dieses Hochhaus war jedoch mehr als nur in die Jahre gekommen. Lange Zeit stand es leer, doch dann passierte etwas damit. Ein Beton-Skelett wurde sichtbar - der Hinweis für das Recycling des Baus mit modernen Innenräumen und auch mit einem ganz neuen Erscheinungsbild.

2016 hatte das Immobilienunternehmen Art Invest Real Estate das Objekt mit den 14 Etagen und den 23 000 Quadratmetern Bürofläche gekauft. "Wir haben intensiv überlegt, wie wir mit dem Haus umgehen", berichtet Tobias Wilhelm, der München-Chef des Unternehmens. Es sei eine architektonische und finanzielle Herausforderung gewesen, mit dem Bestand zu arbeiten. Aber man wollte auch ein Zeichen für "nachhaltiges Bauen" setzen. Abriss und Neubau verbrauchten auch viel Energie, weswegen Art Invest im Umbau und mit den Einsatz von umweltschonenden Materialien eine wichtige Option sieht.

Neben dem Hochhaus wurde ein sechsgeschossiges Basisgebäude mit zwei Innenhöfen und begehbaren Dachterrassen neu errichtet. Der Entwurf für das Ensemble stammt von dem Münchner Büro OSA Ochs Schmidhuber Architekten. Diese wollten vor allem mit einer neuen Fassade Akzente setzen. Markant ist die Eckausprägung der Hochhausfront mit rhythmisch vorspringenden, rautenförmigen Glas-Stahl-Konstruktionen. Dieses Stilelement und eben auch die Kugel auf dem Dach sollen dem Haus den besonderen Charakter geben.

Geschickt wurde das einstige Werbesymbol umgedeutet und in die griechische Mythologie versetzt. Dort trägt der Titan Atlas das Himmelsgewölbe, also eine riesige Kugel. "Atlas" heißt nun auch das inzwischen fertiggestellte Gebäude - und an vielen Stellen im Haus scheint das Sagenmotiv auf. Das fängt schon damit an, dass die Aufzüge nicht in A, B oder C unterteilt sind, sondern in Alpha, Beta und Gamma.

Um sich im Gebäude zu bewegen, sollte man allerdings lieber das Treppenhaus nehmen. Dort blieb der ursprüngliche Bodenbelag erhalten, es wurde aber ein elegantes neues Treppengeländer angebracht. An den Wänden - und Stockwerk für Stockwerk - überrascht die künstlerische Darstellung des Atlas-Mythos. Das Berliner Künstlerkollektiv Klebebande hat auf bemerkenswerte Weise mit wirklich viel Hingabe und Liebe zum Detail Bilder und Zeichen angebracht - komponiert aus einer Vielzahl von Klebebändern. Dazu gibt es erläuternde Texttafeln.

Folgerichtig heißt die große begehbare Dachfläche nicht Dachterrasse, sondern "Olymp". Ein Platz eigentlich nur für die Götter, aber in diesem Fall dürfen alle, die im Haus arbeiten, den schönen Ausblick auf die Stadt und das Werksviertel genießen. Und das unter der frisch renovierten Kugel, die gewissermaßen über allem schwebt: 13 Tonnen schwer und mit einem Durchmesser von 7,5 Metern. Für 70 000 Euro wurde eine spezielle Lichttechnik installiert. So sorgt "Atlas" auch in der Nacht für Aufmerksamkeit.

Für die Projektentwickler, die das Haus bereits an die Allianz Real Estate verkauft haben, stand das Gebäude im Hinblick auf die Vermietungssituation unter einem guten Stern. Acht Monate vor Fertigstellung war es ausgebucht. Den Großteil hat das Unternehmen Design Offices belegt. Dort gibt es flexible Büros mit loftähnlichem Charakter, etwa für Teams oder auch Meetingräume und Veranstaltungszonen.

Das Werksviertel hinter dem Ostbahnhof mit seinen vielfältigen Angeboten aus den Bereichen Arbeiten, Freizeit und Kultur hat sich längst zu einem attraktiven Standort für den Mietmarkt entwickelt. Die Lobby des Atlas-Gebäudes ist so konzipiert, dass ein Durchblick von der Rosenheimer Straße in das Zentrum des Werksviertels möglich ist. Unmittelbarer Nachbar ist der Neubau Highrise One mit seinem 17-geschossigen Turm. Die Entwicklung schreitet gleich neben diesen Bauten voran. Auf dem ehemaligen Optimol-Gelände ist bereits die Grube für ein weiteres Großprojekt ausgehoben.

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Neben der Paketposthalle sollen in München zwei 155-Meter-Türme entstehen.

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