Kommentar:Fehlzündung

Ein eigener Weltraumhafen für kleine Raketen in Deutschland ist keine gute Idee. Sowohl Europa als auch die Raumfahrt des 21. Jahrhunderts sind auf Gemeinschaft aufgebaut, wie die Beispiele Airbus und Galileo zeigen. Europa braucht einen gemeinsamen Startplatz.

Von Dieter Sürig

Man könnte sagen, die deutsche Raumfahrt hat gerade einen Lauf: Die Branche ist mit zahlreichen Start-ups so bunt und jung wie lange nicht mehr. Deutschland ist in den nächsten Jahren mit knapp 3,3 Milliarden Euro größter Beitragszahler der europäischen Raumfahrtagentur Esa, und die Bundesregierung will damit auch kleine Unternehmen fördern. Airbus-Ingenieure in Bremen bauen mit am Nasa-Raumschiff Orion, das demnächst wieder Menschen zum Mond bringen soll. Ein paar Hundert Meter weiter entsteht in der Hansestadt bei der Ariane-Group die Oberstufe der neuen europäischen Ariane 6-Rakete.

Obendrein ist Astronaut Alexander Gerst mit zwei Aufenthalten auf der Internationalen Raumstation zu einem Sympathieträger geworden, wie ihn auch andere Branchen gerne hätten. Kollege Matthias Maurer wartet auf seinen ersten Einsatz im All, wird womöglich in einigen Jahren vom Mond twittern. Und eine Privatinitiative wirbt für eine deutsche Astronautin.

Mitten in dieser Euphorie passiert gerade etwas, das der Branche einen Bärendienst erweisen könnte - auch wenn es von den Akteuren gut gemeint ist. Deutschland brauche einen "Weltraumhafen" für kleine Raketen, hatte BDI-Chef Dieter Kempf gefordert und auf deutsche Start-ups verwiesen, die gerade solche Microlauncher für Nutzlasten bis zu einer Tonne für den niedrigen Erdorbit entwickeln. Der Industrieverband erregte damit großes Aufsehen - so wie es sonst vielleicht nur bei wenigen Raumfahrtmissionen passiert. Dabei wäre ein gemeinsamer europäischer Startplatz irgendwo im einsamen Norden viel sinnvoller.

Befürworter eines deutschen Startplatzes haben nämlich einiges übersehen: Erstens gibt es weltweit bereits an die hundert Start-ups und Teams, die Miniraketen bauen wollen, wovon wohl die wenigsten die nächsten fünf Jahre überstehen werden. Dass alle drei deutschen Anbieter Erfolg haben werden, ist noch nicht ausgemacht. Selbst wenn es, zweitens, genügend Bedarf für einen Startplatz gäbe: Wer deutsche Genehmigungsverfahren inklusive (berechtigter) Anwohner- und Umweltbedenken kennt, ahnt, wie lange es dauert, bis solch ein Projekt realisiert wird - ob es nun Weltraumhafen, Weltraumbahnhof oder Raketenstartplatz heißt.

Drittens gäbe es nämlich nicht nur im dicht besiedelten Deutschland Probleme, weil die Raketen Städte und Dörfer überfliegen müssten. Auch in der Nordsee, so die jüngste Idee für einen Raketenstartplatz, wäre der Bau vom Genehmigungsrecht her wohl eine Herausforderung sondersgleichen, wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt konstatiert. Unabhängig davon wäre ein logistischer Drahtseilakt nötig, wenn es darum geht, bei jedem Start Luftraum und Seewege zu sperren. Von umweltrechtlichen Implikationen wegen giftiger Treibstoffe oder Problemen durch hohe Windgeschwindigkeiten ist hier noch gar nicht die Rede.

Viertens sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass es bereits Startplätze in Schweden und Norwegen gibt, weitere sind in Nordeuropa und auf den Azoren geplant. Und die kleine Nebensächlichkeit, dass zwei der drei deutschen Raketenbauer genau deshalb gar kein Interesse an einem Startplatz im eigenen Lande haben, sollte mögliche Investoren letztlich ebenfalls zum Nachdenken anregen. Unter diesen Vorzeichen einen deutschen Startplatz zu bauen, ist, gelinde ausgedrückt, betriebswirtschaftlich gewagt, wenn er privat finanziert würde - und fahrlässig, wenn Steuergelder im Spiel wären.

Es gibt gute Gründe dafür, dass sich Raketenstartplätze eher in abgelegenen Gebieten der Erde befinden - so wie im südamerikanischen Kourou, wo Europa seine großen Ariane-Raketen startet. Der europäische Startplatz könnte vielleicht ein Vorbild für ein kleineres Pendant werden - gerne in Skandinavien. Es wäre angebracht, sich darauf zu besinnen, dass sowohl Europa als auch die Raumfahrt des 21. Jahrhunderts auf Gemeinschaft aufgebaut sind: Gute Beispiele dafür sind neben Ariane das Passagierflugzeug Airbus und das Satellitennavigationssystem Galileo. Da passt es gut, dass auch die Ära der Einzelkämpfer in der Raumfahrt vorbei ist - zu teuer sind Missionen zu Mond, Mars, Asteroiden oder auch der Unterhalt der Internationalen Raumstation.

Gerade in Zeiten, in denen die Kosten für Raumfahrt mehr denn je mit notwendigen Ausgaben für Bildung und Soziales konkurrieren, wäre der Verzicht auf einen deutschen Startplatz ein wichtiges Signal - auch wenn (zunächst) kein Steuergeld ausgegeben wird. Die Raumfahrt sollte nicht ohne Not mühsam erarbeitete Sympathien verspielen.

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