Emotionen:Immer schön cool bleiben

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Stolz, Scham, Freude, Ekel: Alle haben ständig Gefühle, aber niemand zeigt sie. Woher es kommt, dass wir unsere Emotionen kontrollieren.

Elke Brüser

Jeder Mensch hat ständig Emotionen und zeigt sie doch nicht immer. Jugendliche beim Bowling zum Beispiel: Läuft die Kugel schlecht, wenden sie sich meist cool ab. Aber auch wenn viele Pins umfallen, behalten die Jugendlichen ihre Gefühle zunächst für sich. Erst wenn sie sich zu ihren Kumpels umgedreht haben, lässt ihre Körperhaltung Freude und Stolz erkennen. Die Faust wird hochgerissenen. Dann erst breitet sich auf dem Gesicht ein Strahlen aus.

Baby-Spaß im Badeeimer: Kleine Kinder zeigen ihre Emotionen noch ungehemmt. (Foto: Foto: dpa)

"Der Ausdruck der Emotion hat hier eine eindeutig soziale Funktion, er ist ein Appell", sagt der Entwicklungspsychologe Manfred Holodynski von der Universität Münster. Die gezeigte Freude ist abgekoppelt vom spontanen Gefühl der Freude über den gelungenen Wurf. Nur, wie geht das? Wie gelingt es dem Menschen, mit seiner Willenskraft seine Emotionen zu regulieren? Und wann im Leben entwickeln sich diese Fähigkeiten? Diese Fragen standen im Zentrum des von der Volkswagenstiftung geförderten Projekts "Animal emotionale".

Selbstgespräche und Kontrolle

Als Baby hat der Mensch noch fünf vage Gefühlslagen. "Vorläufer-Emotionen" nennen Experten die Unzufriedenheit, das Interesse, die Freude, die furchtsame Anspannung und den Ekel, den Babys empfinden. Erst später differenziert sich das Gefühlsleben aus - Stolz und Scham zum Beispiel kommen ins Spiel, und gleichzeitig werden die Empfindungen zunehmend stärker kontrolliert.

Der Gefühlsausdruck verlagere sich im Verlauf der Kindheit von außen nach innen, sagt Holodynski. In den ersten drei Jahren seien die Emotionen vor allem soziale Appelle, um andere zu beeinflussen. Wenn das Baby schreit, kommt jemand. Zwischen drei und sechs Jahren bekommt das Kind dann Gefühlsregungen wie Enttäuschung und Ärger zunehmend selbst in den Griff - zum Beispiel, indem es mit sich selbst spricht. Vom Schulalter an verlagert es seinen Gefühlsausdruck immer stärker nach innen. So sprechen viele Erstklässler bei schwierigen Rechenaufgaben noch mit sich selbst. In der dritten Klasse sind Selbstgespräche die Ausnahme. Die Kinder reden innerlich mit sich, unhörbar.

Anders als ein Sechsjähriger lässt ein Achtjähriger auch kaum noch Freude erkennen, wenn aus einem für die Forschung manipulierten Automaten Süßigkeiten plumpsen - und wenn sie ausbleiben auch keine Enttäuschung. Dann verrät allenfalls eine Andeutung zusammengezogener Augenbrauen, was er fühlt, wie Feinanalysen von Videos belegen.

Gute Gefühle maximieren

So ist es aber nur, wenn ein Kind auf sich gestellt ist. Bleibt ein Betreuer im Raum, drückt es durchaus Freude und Enttäuschung aus - was verblüffend an die Regulationsmöglichkeiten der jugendlicher Bowler erinnert.

Bei diesen Regulationen haben Normen der jeweiligen Kultur einen großen Einfluss. "Amerikanerinnen ermuntern ihre Kinder ganz besonders, über ihre Erfolge zu reden. Mütter aus Taiwan lassen sie viel stärker über Misserfolge sprechen", sagt die Kulturpsychologin Batja Mesquita von der Universität Leuven in Belgien. Nicht in allen Kulturen gehe es wie in den USA primär darum, gute Gefühle zu maximieren und andere zu vermeiden: "Japaner und Chinesen halten negative Emotionen für wichtig und erziehen ihre Kinder entsprechend." Wie mit Emotionen umgegangen wird, hängt also immer auch von den Erwartungen der Anderen ab.

Auf der nächsten Seite: Was bei der Regulation von Emotionen im Gehirn passiert.

Wie beim Zahnarzt

Was dabei genau im Gehirn passiert, hat sich Henrik Walter angeschaut. Der Psychologe von der Universität Bonn blickt mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) unter die Schädeldecke und erkennt so, welche Zentren des Gehirns gerade besonders aktiv sind. Walters Arbeitsgruppe zeigte jungen Frauen (weil sie stärker emotional reagieren) acht Sekunden lang Bilder mit neutralem oder erschreckendem Inhalt. Erwartungsgemäß waren bei den neutralen Bildern die Nervenzellen im Gefühle verarbeitenden Mandelkern weniger aktiv.

Aber was passiert, wenn die Frauen wissen, dass gleich ein unangenehmes Bild erscheinen wird? Schon in der Erwartung von Unangenehmem werden die Mandelkerne aktiv. "Das ist wie beim Zahnarzt, wo man schon im Wartezimmer zittert", erläutert die Medizinpsychologin Susanne Erk aus dem Bonner Team. Wenn die Frauen aber versuchen sollten, die unangenehmen Gefühle zu verdrängen, sprachen ihre Mandelkerne weniger stark an. "Dafür wurden Nervenzellen hinter der Stirn aktiver, wo das bewusste Denken angesiedelt ist", so Erk. Die Angst lasse sich noch besser bewältigen, wenn man sich mit etwas wirklich Interessantem beschäftigt, sagt sie. Statt in diversen Illustrierten zu blättern, sollte man im Wartezimmer lieber komplexe Denkaufgaben lösen. Bei den Frauen im Tomographen feuerten die Mandelkerne dann jedenfalls weniger stark.

Ereignisse immer neu bewerten

Reguliert werden aber nicht nur die Gefühlsintensität und der äußere Eindruck, betont der Psychologe Klaus Scherer von der Universität Genf. Ständig bewertet der Mensch Ereignisse neu. Dabei spielt das Umfeld eine Rolle, aber auch Gelerntes. Auch das Gedächtnis und das Selbstverständnis funken in diesen Abgleichprozess, der nur zum Teil bewusst abläuft. Dennoch beeinflusse er physiologische Reaktionen wie die Hormonausschüttung und verändere auch die Motivation, etwas zu tun oder zu lassen.

Einen Eindruck von der Komplexität der Abläufe vermittelt Klaus Scherer am Beispiel zweier nicht gerade fröhlicher Frauengesichter. Die Frauen warteten an einem leeren Band auf ihr Fluggepäck. Über 100 solcher Fluggäste wurden in Genf - bei einem fingierten Gepäckverlust - gefilmt und danach befragt. Das Erstaunliche: Niemand verspürte einfach nur Ärger. Fast alle erlebten einen Mix aus Gefühlen, die sich im Alltag offenbar überlagern, ablösen und durch die Situation reguliert werden. Stress, Traurigkeit, Indifferenz und Humor - sie alle spielten eine unterschiedlich große Rolle. Diese Vielfalt ist eine weitere Antwort auf die Frage nach der Regulation von Emotionen. Sie ist äußert individuell.

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