USA:Und dann zerreißt Pelosi seine Rede

US-Präsident Trump macht in seiner Rede zur Lage der Nation nicht mal mehr den Versuch, das Land zu einen. Es ist Wahlkampf. Das beweisen auch die Demokraten.

Von Thorsten Denkler, New York

Nancy Pelosi schnalzt mit der Zunge und zuckt dann nur mit der Schulter, als ihr bewusst wird, was da gerade passiert. Hier im Repräsentantenhaus ist sie die Chefin, ist sie es, die den US-Präsidenten zur jährlichen State of the Union Address eingeladen hat, dazu, die Rede zur Lage der Nation vor beiden Kammern im Kongress zu halten. Wer hier vor sie tritt, der sollte ihr Respekt zollen. Nicht unbedingt ihr persönlich. Aber zumindest dem Amt, das sie repräsentiert.

Sehr langsam betritt Trump das Podium, sonnt sich im Applaus seiner republikanischen Parteifreunde, übergibt dann - wie es das Protokoll verlangt - Mappen mit seiner Rede an den Vizepräsidenten Mike Pence in seiner Rolle als Vorsitzender des Senates. Und auch an Nancy Pelosi. Sie nimmt die Mappe entgegen, reicht ihm die Hand. Trump schaut ihr nur für einen Wimpernschlag in die Augen, er nimmt die Hand nicht.

Er dreht sich einfach zum Plenum und beginnt seine Rede. Pelosi hat ihren Angela-Merkel-Moment mit Trump. Sie wird sich 80 Minuten später rächen. Auf ihre Art.

Mit erkennbarer Wut im Bauch versucht Trump die Frau, die ihn mit einem Impeachment-Verfahren aus dem Amt hebeln will, einfach zu ignorieren. Es ist vermutlich das erste Aufeinandertreffen der beiden seit Oktober, seit Pelosi das Impeachment-Verfahren in ihrer Kammer angeschoben hat. Und Trump nimmt ihr das offenkundig persönlich übel.

Gute Umfragewerte für Trump

Dabei sind die Voraussetzungen für diese State of the Union Address diesmal besser als je zuvor für Trump. Der Wirtschaft geht es relativ gut, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, der Versuch der Demokraten, ihn mit einem Impeachment aus dem Amt zu hebeln, wird an diesem Mittwoch erwartungsgemäß im Senat scheitern. Just am Tag der State of the Union Address veröffentlichte das anerkannte Umfrageinstitut Gallup einen Rekordwert für Trump: Auf 49 Prozent taxierte es die allgemeine Zufriedenheit im Land mit dem Präsidenten. So hoch war der Wert für Trump noch nie.

Dazu haben ihm die Demokraten am Vorabend noch ein schönes Geschenk gemacht. Sie haben die erste Vorwahl in diesem Wahljahr in Iowa technisch derart vergeigt, dass Trump die Frage in den Raum geworfen hat, wie diese Demokraten ein Land wie die USA führen wollen. Zu Beginn seiner Rede ist immer noch nicht klar, welcher Demokrat dort gewonnen hat.

Ansonsten hält sich Trump an die Vorgaben seiner Berater. Das Wort Impeachment kommt in seiner Rede nicht vor. Dazu will er sich erst am Mittwoch äußern, nachdem der Senat ihn freigesprochen hat. Der Kongress ist auch nicht der Ort für eine seiner wilden Wahlkampfreden, in denen er gerne politische Gegner beleidigt und eine Unwahrheit nach der anderen erzählt.

Trump: "großartiges amerikanisches Comeback"

Hier muss er den Staatsmann spielen. Was vor allem bedeutet, die von seinen Mitarbeitern penibel vorbereitete Rede unfallfrei vom Teleprompter abzulesen. Dass er das kann, hat viele Beobachter geradezu überrascht, als er 2018 seine erste Rede zu Lage der Nation hielt. Wer aber damals geglaubt hat, da sei nun ein neuer, ein wahrhaft präsidentieller Trump geboren worden, der sah sich schnell getäuscht.

Trump konzentriert sich auf die starke Wirtschaft. Er feiert seine bisherige Amtszeit als "großartiges amerikanisches Comeback". Zu seiner Amtseinführung hat er den Zustand der USA noch mit einem Blutbad, einem einzigen Gemetzel gleichgesetzt. Jetzt zeichnet er das Land in schönsten Farben.

Niedrigste Arbeitslosenquote seit fast 50 Jahren, höhere Einkommen, allen gehe es besser. Alles dank seiner Steuerreform, seiner Handelspolitik, der Deregulierung. In einem Tempo, das vor drei Jahren noch "unvorstellbar" gewesen sei, gehe es jetzt weiter, sagt er. "Ich habe meine Versprechen gehalten, wir haben unseren Job gemacht." Von der Art sind die Sätze, die ihm aufgeschrieben wurden. Alles deutlich bis maßlos übertrieben. Der Wirtschaftsaufschwung in den USA etwa hat unter Obama begonnen und unter Obama schon größere Sprünge gemacht. Dasselbe gilt für die gute Entwicklung des Arbeitsmarkts. Und ob Trumps Handelskriege der US-Wirtschaft nicht eher geschadet haben, wird sich noch erweisen müssen.

Die State of the Union Address ist eine Polit-Show wie gemacht für einen Präsidenten wie Donald Trump. Niemand wird ihm im Kongress an diesem Abend widersprechen. Die Demokraten dürfen lediglich dasitzen und zuhören. Es gebietet gar der Respekt vor dem Amt, hin und wieder zu applaudieren. Was die Demokraten aber diesmal nur selten und mit ausgesprochenem Widerwillen tun.

Demokraten lachen, als Trump sich als Kämpfer für niedrige Medikamentenpreise gibt

Es bleiben nur sichtbare Zeichen des Protests. Die demokratischen Frauen in dieser gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus tragen etwa alle weiß, in Gedenken daran, dass sich die Frauen vor 100 Jahren das Wahlrecht in den USA erkämpft haben. Das geht nicht direkt gegen Trump. Aber doch irgendwie schon.

In der Mitte seiner Rede aber gibt es doch laustarken Protest. Trump präsentiert sich gerade als der einzig wahre Kämpfer für niedrige Medikamentenpreise. Ein Thema von existentieller Bedeutung. Verschreibungspflichtige Medikamente sind so teuer in den USA, viele US-Amerikaner können sie sich trotz Versicherung nicht mehr leisten.

Auf der Seite der Demokraten lachen viele auf, als sie Trump reden hören. Sie stehen auf und rufen "H.R.3! - H.R.3!" Die Kurzform für einen Gesetzesvorschlag, von dem die Demokraten glauben, dass er die Kosten senken kann. Trump muss unterbrechen und immer wieder neu ansetzen. Vor einem Jahr hat Nancy Pelosi ihre Abgeordneten noch zur Ruhe gemahnt, als sich Protest gegen Trump erhob. Diesmal bleibt sie auf ihrem Platz sitzen und lässt der Empörung freien Lauf.

In der offiziellen Antwort der Demokraten auf Trumps Rede wird Gretchen Whitmer vor allem auf das Thema Gesundheitspolitik eingehen: "Es ist ziemlich einfach. Die Demokraten versuchen, Ihre Gesundheitsversorgung zu verbessern. Die Republikaner in Washington versuchen, sie Ihnen wegzunehmen." Außerdem wird die Gouverneurin von Michigan Trumps Loblied auf die Wirtschaftssituation kritisieren. Was er über den Aktienmarkt sage, sei "nicht von Belang". Wichtiger sei, dass Millionen von Menschen Mühe hätten, über die Runden zu kommen.

Wahlkampfrede statt einender Worte

In den vergangenen Jahren hat Trump noch versucht, ein paar Botschaften zu setzen, die überparteilich auf Zustimmung gestoßen sind. Dieses Jahr nichts davon. Trump rühmt sich für seine strikte Haltung gegenüber Migranten. Listet Beispiel um Beispiel auf, wo Zugewanderte Gewalttaten verübt haben. Es klingt, als sei jeder Migrant ein potenzieller Schwerverbrecher. Trump durchpflügt jeden bekannten republikanischen Acker, wettert gegen Abtreibung, verteidigt das Recht auf Waffenbesitz, und ein Recht auf Gebet in öffentlichen Schulen. Es ist eine Rede für die republikanische Basis. Die Botschaft dürfte angekommen sein.

Und dann wagt er es noch, in Pelosis Kammer, dem Repräsentantenhaus, in ihrem Wohnzimmer quasi, den an Lungenkrebs erkrankten knochenkonservativen Radiomoderator Rush Limbaugh mit der "Presidential Medal of Freedom" zu bedenken, eine der beiden höchsten zivilen Auszeichnungen, die die USA zu vergeben haben. Die Limbaugh prompt oben auf der Tribüne von Trumps Frau Melania um den Hals gehängt wird. Während Limbaugh, bekannt für seine rassistischen Ausfälle, so tut, als sei er völlig überrascht und überwältigt. Auch diese Inszenierung ist eine grobe Missachtung der Gepflogenheiten des Parlamentes. Die Freiheitsmedaille ist eine Auszeichnung des Präsidenten, die im Weißen Haus vergeben wird. Nicht im Kongress. Nicht während einer State of the Union Address.

Nancy Pelosi sitzt hinter Trump, als zähle sie jede Sekunde. Im Voraus sagte sie einer Reporterin der New York Times auf die Frage, was sie von Trumps Rede erwarte: "Es wird einen Anfang, eine Mitte und ein Ende geben - und dann wird es vorbei sein." Jetzt scheint sie nur darauf zu hoffen, dass es endlich vorbei ist. Dass dies Trumps letzte Rede zu Lage der Nation ist. Dass er die Wahl in neun Monaten verliert. Dass er Ende Januar 2021 sein Amt an einen Demokraten abgeben muss.

Trump beendet seine Rede nach 80 Minuten. "Das Beste für unser Land kommt noch", sagt er unter dem Jubel seiner Republikaner. Und Pelosi? Sie zerreißt die Rede, die Trump ihr zu Beginn überreicht hat. Live übertragen im nationalen Fernsehen. Es dürfte ihre einzige Freude in den vergangenen eineinhalb Stunden gewesen sein.

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