Siemens-Hauptversammlung:Nachhaltig verärgert

Klimaaktivisten vor der Halle, laute Kritik drinnen und dann noch schlechte Zahlen - bei der Siemens-Hauptversammlung wird deutlich: Es passt plötzlich eine ganze Menge nicht mehr.

Von Caspar Busse und Thomas Fromm

Siemens AG Reports Steep Earnings Drop

Dass Siemens ins Visier der Klimaaktivisten geraten ist, nannte Chef Joe Kaeser am Mittwoch „fast grotesk“.

(Foto: Michaela Handrek-Rehle/Bloomberg)

Ein paar Demonstranten haben sich weiße Arztkittel angezogen. Sie haben Rollstühle dabei, ihre Patienten sind Weltkugeln. Dazu halten sie Schilder hoch: "Kohle schadet dem Klima und Ihrer Gesundheit." Einige Schritte weiter, gleich neben dem Eingang zur Münchner Olympiahalle, haben sich im Halbkreis knapp 100 junge Leute aufgestellt. "Kohlemine stoppen" und "Klima brennt, Uni brennt" steht auf ihren Plakaten. Dann skandieren sie laut: "Wenn ihr Kohle scheiße findet, dann macht mal Lärm."

Aktionäre, die an diesem Mittwochmorgen zur Hauptversammlung von Siemens kommen, wissen also sofort, worum es hier geht: Klimaschutz gegen Börsenwert.

Eine Menge Polizisten sind da, Sicherheitsleute patrouillieren mit Hunden. Der Halleneingang ist mit Absperrgittern abgeriegelt, nur Aktionäre werden eingelassen. Zwar sind nicht Tausende Demonstranten gekommen, wie manche erwartet haben. Doch die, die da sind, machen sich bemerkbar. Die Klima- und Umweltschützer fordern von Siemens einen vollständigen Rückzug aus dem Geschäft mit Kohle-, Öl- und Gaskraftwerken - und sie kritisieren die Beteiligung von Siemens am Bau einer umstrittenen Kohlemine in Australien.

Natürlich ist es nicht die erste Hauptversammlung von Siemens-Chef Joe Kaeser, er hat im kommenden Monat sein 40-jähriges Jubiläum im Unternehmen. Aber es ist sicher eine, an die er sich noch lange erinnern wird. Ein Aktionärstreffen mit Protesten, lauter Kritik und schlechten Zahlen.

Früh am Morgen geht es los, um halb acht empfängt der Siemens-Chef unten in einem dunklen Raum in den Katakomben des Olympiastadions. Auf einem großen Flachbildschirm zeigt er vier Bilder: Zu sehen sind Donald Trump, Greta Thunberg, Boris Johnson und ein Patient mit Mundschutz - ein Symbolfoto für das Coronavirus. Die Botschaft ist klar: Der Konzern hat gerade ganz schön viele Probleme. "Da kommt in einem Quartal viel zusammen", sagt Kaeser. Denn es ist ja so: Es gibt Momente im Leben eines Managers, da passt mal das eine, mal das andere nicht. Was der 62-Jährige allerdings gerade erlebt, ist besonders: Knapp ein Jahr, bevor sein Vertrag ausläuft, passt plötzlich eine ganze Menge nicht mehr.

Da sind erst einmal die Zahlen. Der operative Gewinn im Industriegeschäft im ersten Quartal: runter um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro. Schwächen im Digitalgeschäft, Schwächen im Geschäft mit Kunden aus der Autoindustrie und dem Maschinenbau. Die Aktie stagniert an diesem Tag. Die passenden Bilder vom Flachbildschirm dazu sind Trump und Johnson, sinnbildlich für die vom US-Präsidenten angezettelten Handelsstreitigkeiten und den Brexit des britischen Premiers. Alles Gift für einen Konzern, der in der ganzen Welt Geschäfte macht und eine Abschwächung der Weltkonjunktur sehr spüren würde. Das allein würde schon reichen, um einen Kaeser-Tag so richtig zu vermiesen.

"Die Adani-Mine in Australien ist nur die Spitze des Eisbergs."

Aber da sind auch noch die Klimaaktivisten: Helena Marschall, eine Schülerin aus Frankfurt, ergreift für "Fridays for Future" das Wort. "Die Adani-Mine in Australien ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt sie. Siemens betreibe eine "unehrliche Inszenierung als Klimaschutz-Konzern". Ein Konzern, der das Paris-Abkommen unterstütze, müsse jede Investition auf dieses Ziel hin ausrichten. "Alles andere", so Marschall, "ist Schönfärberei."

Es gibt aber auch Kritik von Investoren. "Der Fall Adani war ein kommunikatives Desaster für Siemens", sagt Vera Diehl von Union Investment. "Bei einer sorgfältigen Prüfung aller Umwelt- und Reputationsrisiken hätte Siemens diesen Auftrag niemals unterzeichnen dürfen." Winfried Mathes von der Dekabank sagt, es sei "schwer nachvollziehbar", warum der Siemens-Nachhaltigkeitsausschuss den Australien-Auftrag genehmigt habe. Daniela Bergdolt von der Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz schimpft an die Adresse von Kaeser: "Ja, Sie haben gepatzt. Und das war auch noch unnötig." Die ganze Affäre habe der Reputation von Siemens geschadet.

Und Kaeser? Er bezeichnete die Entscheidung für den Auftrag danach als Fehler: "Wären wir noch einmal in der Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicher anders aus."

In jenem "Fall Adani" geht es um die Lieferung von Signaltechnik für eine Bahnstrecke in Australien, über die der indische Energiekonzern Adani Millionen Tonnen Kohle von einem gigantischen neuen Bergwerk zum Hafen transportieren will. Später soll sie dann in indischen Kraftwerken verheizt werden. Schon seit Wochen sind Kaeser und Siemens daher im Visier der Klimaschützer. Und es ist nicht so, dass der Konzernchef über diesen Auftrag nicht schon Bedauern gezeigt hätte: Bereits mehrfach hat er mittlerweile eingestanden, dass er die Unterschrift unter den Vertrag bereue. Aber wie es nun mal so ist: Einmal unterschriebene Verträge wieder aufzulösen, kann teuer werden, besonders wenn - wie hier - die Haftungsgrenze bei einem Ausstieg aus dem Projekt nach oben hin offen ist.

Kurz vor Beginn der Hauptversammlung war Kaeser noch wenig diplomatisch: Es mute "schon fast grotesk an, dass wir durch ein Signaltechnik-Projekt in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind", sagt er. Grotesk? "Grotesk bezieht sich auf die Verhältnismäßigkeit", versucht Kaeser zu erklären. "Vor fünf Jahren gab es noch keine Freitagsdemonstrationen, da haben wir schon gesagt, 2030 werden wir klimaneutral sein".

In der Halle ist vom Wandel die Rede, die Demonstranten bekommen das nicht mit

Jetzt kündigt er an, bis 2025 eine zusätzlich Milliarde Euro in die Verringerung von Emissionen zu investieren. Ausgerechnet in dieser brisanten Lage will Siemens das gesamte Energiegeschäft im Herbst abspalten. Eine außerordentliche Hauptversammlung am 9. Juli werde darüber abstimmen. Zu Siemens Energy gehört auch die spanische Windkraft-Tochter Siemens Gamesa. Für 1,1 Milliarden Euro stockt der Konzern vorher noch seinen Gamesa-Anteil auf 67 Prozent auf. Kaesers designierter Nachfolger Roland Busch sagt: "Nur so bekommen wir die Freiräume, die wir brauchen." Um kurz nach zehn hatte Chefaufseher Jim Hagemann Snabe die Hauptversammlung eröffnet. Der frühere SAP-Chef kommt gleich auf die Proteste und den umstrittenen Australien-Auftrag zu sprechen. Er beklagt, dass die Debatte sich immer mehr von den eigentlichen Kernthemen entferne - nämlich von "der Frage, wie wir Siemens insgesamt nachhaltiger machen". Und wie Siemens den Kunden helfen könne, nachhaltiger zu werden. Da applaudieren die Tausenden Aktionäre. Snabe, der auffällig ruhig die Versammlung führt, fügt an: "Wenn die Diskussion etwas Gutes hat, dann sicher das: Wir sehen uns angespornt, den Wandel von Siemens in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen."

Kaeser wurde am Abend mit 94 Prozent der Stimmen entlastet.

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