Kurse in Schlehdorf und Bad Tölz:"Eigene Worte für das eigene Erleben"

Kurse in Schlehdorf und Bad Tölz: "Jeder Mensch kann erzählen, also kann auch jeder schreiben": Kursleiterin Andrea Kästle.

"Jeder Mensch kann erzählen, also kann auch jeder schreiben": Kursleiterin Andrea Kästle.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Schäftlarner Journalistin Andrea Kästle gibt Biografie-Workshops. Ihre Erfahrung: Das Ringen um Wahrhaftigkeit dient nicht nur der Erinnerung, es kann auch sehr tröstlich sein

Von Interview Stephanie Schwaderer

Mit Menschen und Geschichten kennt Andrea Kästle sich aus. Vor acht Jahren begann die 55-jährige Historikerin und Journalistin mit dem Schreiben von Auftragsbiografien. Mittlerweile bietet die Schäftlarnerin Laien dazu Seminare und Wochenendkurse an. Die nächsten finden im Kloster Schlehdorf und beim Katholischen Bildungswerk in Bad Tölz statt.

SZ: Frau Kästle, welche Biografie ist es wert, geschrieben zu werden?

Andrea Kästle: Jede. Unbedingt. Es sind nicht die großen Geschichten, die ein Leben ausmachen, sondern viele kleine Begebenheiten. Wie hat sich meine Mutter die Haare aus der Stirn gestrichen? Wie hat sie mir gute Nacht gesagt? Es geht um den Versuch, einen Menschen zu erfassen. Um die Frage: Was weiß ich von ihm?

Ein Menschenleben - das ist schwer greifbar. Wie nähern Sie sich ihm?

Der Trick ist, keinen Roman zu schreiben, sondern ein großes Leben in viele kleine Geschichten aufzubrechen. In meinen Kursen arbeite ich viel mit Erzählrunden. Man beginnt zum Beispiel mit den Eltern und sucht nach der entferntesten Wurzel, von der man noch etwas weiß. Von den Großeltern ist eigentlich überall noch Wissen da. Ich ermuntere die Teilnehmer, vermeintlich langweilige Geschichten aus ihrer Kindheit zu erzählen. Unser Leben besteht ja zu 90 Prozent aus Alltag. Für meine Kurse habe ich ein Arbeitsbuch entwickelt, das sich Kapitel für Kapitel durcharbeiten lässt. Es gibt beispielsweise die Bereiche Kindheit, Jugend und Familie, aber auch Fragen wie: Welche drei Jahre würde ich gerne noch einmal leben? In meinen Seminaren gebe ich Hausaufgaben auf - und bin streng! Nach acht Wochen haben die meisten dann ein vollgeschriebenes Büchlein vor sich.

Sie sind ausgebildete Journalistin. Wie sieht es mit dem Prüfen der Fakten aus? Geht es bei dieser Arbeit überhaupt um Wahrheit?

Es geht um erlebte Wahrheit. Die ist sehr individuell und würde wohl selten einer objektiven Prüfung standhalten. Ich zum Beispiel habe drei Geschwister. Wenn wir unsere Erinnerungen abgleichen, passt vieles nicht zusammen. Deshalb empfehle ich immer zu schreiben: Für mich ist es so gewesen. Oder: So hat es Tante Berta erzählt. Zudem rate ich den Leuten, erst einmal nur für sich selbst zu schreiben. Damit entgeht man der Versuchung, die Dinge zu glätten. Was sie dann in die offizielle Version aufnehmen wollen, können sie später entscheiden.

Haben Sie als Biografin schon Texte geschrieben, an die Sie selbst nicht geglaubt haben?

Nein. Aber ich weiß, dass Menschen manches aussparen. Das muss ich respektieren. Weil es persönliche Lebensrealitäten sind. Was ich meinen Kursteilnehmern zu vermitteln versuche: Es geht nicht darum, ein Hochglanzleben zu basteln. Es geht um die Suche nach Wahrhaftigkeit, eine vorsichtige Annäherung an einen Menschen und seine Geschichte. Je länger man über jemanden spricht, desto menschlicher wird derjenige. Oft steht am Ende die Erkenntnis: Er hat sein Bestes gegeben, mehr war nicht drin. Oder: Das hätte nicht passieren dürfen, aber leider ist es passiert. Das so zu Papier zu bringen kann sehr tröstlich sein. Es schafft Abstand zwischen mir und dem Schmerz.

Das klingt nach Therapie.

Ich bin keine Therapeutin. Und ich bohre auch nicht in Wunden. Das Tolle in diesen Kursen ist, dass sich immer ein ganz besonderes, von Empathie getragenes Klima einstellt.

Nicht allen Leuten dürfte es leicht fallen, sich in einer solchen Runde zu öffnen. Wie schaffen Sie das?

Keiner muss etwas preisgeben, was er nicht möchte. Ich lasse auch nie etwas vorlesen. Das ist ja kein Leistungsschreiben. Es gibt nur ein Ziel: Eigene Worte für das eigene Erleben zu finden. Die Erzählrunden helfen der Erinnerung auf die Sprünge und zeigen etwaige Lücken oder Ungereimtheiten auf. Ich ermuntere die Leute, genauer hinzuschauen. Beim Versuch, der Wahrheit nahe zu kommen, stellt sich sofort Mitgefühl ein. Mitgefühl mit den anderen, aber auch Mitgefühl mit sich selbst. Das kann sehr wohltuend sein.

Sie lassen niemanden etwas vorlesen. Lesen Sie denn für sich die Geschichten?

Um Gottes Willen, nein! Nichts lese ich! Nur, wenn ich ausdrücklich darum gebeten werde. Manche würden ihre Biografien gerne veröffentlichen. Dann gebe ich Tipps.

In Schlehdorf und Tölz bieten Sie Wochenendseminare an. Was lässt sich in solch kurzer Zeit erarbeiten?

Darauf bin ich selbst gespannt. Es wird eine Mischung werden aus Erzählrunden, Meditation und Entspannung, um die Hemmung vor dem Papier zu nehmen. Dazu biete ich ganz konkrete Hilfestellungen an: Wo hakt es? Vielleicht gibt es die Möglichkeit, dass man nach drei Monaten noch einmal zusammenkommt und Bilanz zieht.

Was ist Ihre Erfahrung: Bringt jeder etwas zu Papier?

Ja. Jeder Mensch kann erzählen, also kann auch jeder schreiben. Man muss es nur mal ausprobieren.

Haben Sie schon mit Ihrer Biografie begonnen?

Nicht mit meiner, aber mit der meiner Eltern. Sie sind beide schon tot und haben leider nie viel erzählt. Ich habe ihre alten Fotos gescannt, mich mit ehemaligen Schulfreundinnen und Verwandten getroffen. Eigentlich wollte ich das nur für mich und meine Kinder machen. Aber dann haben meine Geschwister sich auch ein Exemplar gewünscht. So sind es drei große Bücher geworden. Ich bedaure sehr, dass ich so spät damit angefangen habe.

Zwei-Tages-Seminar beim Katholischen Bildungswerk Bad Tölz, Salzstraße 1, 14. und 21. März, 160 Euro plus Materialgeld, Anmeldung unter www.kbw-toelz.de; Wochenend-Workshop im Kloster Schlehdorf, 24. bis 26. April, zwei Übernachtungen, 220 Euro inkl. Material, zzgl. Übernachtung und Essen, Anmeldung unter a.kaestle@gmx.net, Infos unter www.leben-und-schreiben-lassen.de

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