Digitalisierung:Wenn der Schul-Rechner von Apple kommt

Modellversuch "Digitale Schule 2020" an Grundschule in München, 2017

Tablets ermöglichen es etwa, interaktiv zu lernen. Viele Schulen haben aber zu wenig Geld für Geräte.

(Foto: Florian Peljak)

In Schulen fehlt es an Geräten, Software und IT-Kenntnissen. Tech-Konzerne liefern genau das. Doch Experten warnen: Der Unterricht wird von ihren Produkten abhängig - und der Staat sieht zu.

Von Lara Janssen

Was die Oberschule Gehrden besonders macht, ist der virtuelle Raum, eine Art erweitertes Klassenzimmer. Statt Büchern und Regalen nutzen Lehrer und Schüler iPads und raumlose Clouds. Dank Wlan landen die Hausaufgaben direkt auf der elektronischen Tafel im Klassenzimmer. Wohin die Daten am Ende fließen, wissen auch die Lehrkräfte nicht. Doch die potenzielle Reichweite ist groß: Die niedersächsische Schule ist weltweit vernetzt mit etwa 470 Schulen. Den Überblick über dieses Netz behält eines der größten Digitalunternehmen der Welt: Apple.

Alle Schulen in Deutschland stehen vor der Herausforderung der Digitalisierung und brauchen Unterstützung. Kommt diese nicht von staatlicher Seite, greifen die Schulen auf privatwirtschaftliche Angebote zurück. Neben Apple drängen etwa Microsoft, Google oder Samsung in den Unterricht. Sie bilden Lehrer fort, zertifizieren ganze Schulen oder verschenken Software und Geräte - offiziell ohne jedes wirtschaftliche Interesse. Warum sollte eine Schule Nein sagen, wenn Tech-Unternehmen die ganze Institution ausstatten wollen? Bildungsexperten sehen das kritisch: "Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Bildung in Schulen zur Ware wird", sagt René Scheppler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, "sonst verschwindet das Vertrauen in unser Bildungssystem."

"Bildung ist unterfinanziert", sagt der Schulleiter. Er wolle aber den digitalen Wandel mitgestalten

Die Oberschule in der Nähe von Hannover war 2017 die erste staatliche Schule in Deutschland mit Apple-Zertifikat: Bis dahin erlangten nur private Institutionen die Auszeichnung. Bereits vor elf Jahren habe sich das Kollegium für mehr IT im Unterricht starkgemacht, sagt Schulleiter Carsten Huge. "Wir wollen den digitalen Wandel mitgestalten." Um das Zertifikat zu bekommen, musste seine Schule strikte Vorgaben des Konzerns einhalten: Die Schulen müssen mindestens 75 Prozent ihres Kollegiums zu Apple-Lehrern fortbilden, die dann besondere Kenntnisse von Geräten und Software haben. Alle Lehrer und Schüler nutzen mindestens seit zwei Jahren iPads oder Mac-Laptops, Apps werden in den Unterricht eingebunden. Das Geld aus der IT-Branche können die Schulen gut gebrauchen: "Bildung ist unterfinanziert", sagt Schulleiter Huge.

Bereits sieben Apple-Schulen gibt es in Deutschland, "Apple Distinguished Schools" nennt der Konzern sie. Vier davon, darunter die Oberschule Gehrden, sind staatlich. Wie viele Apple-Lehrer es in Deutschland gibt, sagt das Unternehmen auf Anfrage nicht. Ähnlich wie Apple agiert der Konkurrent Microsoft und zertifiziert in Deutschland sogenannte Microsoft-Vorzeigeschulen: Von derzeit zwölf sind acht staatlich. Microsoft schulte 2018 bundesweit etwa 6000 Lehrkräfte. "Indem die Unternehmen ganze Schulen zertifizieren, verbreiten sie ihre Marke und ihren Einfluss", sagt Scheppler.

Dass Schulen ihren Unterricht zunehmend digital gestalten, ist auch vom Staat gewünscht. Mit dem im Mai 2019 in Kraft getretenem Digitalpakt Schule stellt die Bundesregierung innerhalb von fünf Jahren fünf Milliarden Euro bereit. Vor allem sind Investitionen in die digitale Infrastruktur wie Wlan, Vernetzung in den Gebäuden oder interaktive Tafeln vorgesehen, darüber hinaus Geld für mobile Endgeräte. Für die IT-Unternehmen erweitert sich damit ein lukrativer Markt. "Doch sie wollen nicht nur Produkte liefern", sagt Scheppler. "Die Tech-Konzerne wollen die Schulen abhängig machen und langfristig beeinflussen." Schulen würden unbeabsichtigt ihre Pädagogik auf das ausrichten, was Unternehmen wie Apple sich ausgedacht haben.

Die Politik gibt sich ahnungslos. Die Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär, erklärt auf Anfrage, dass ihr Fortbildungen zu sogenannten Apple- oder Microsoft-Lehrern nichts sagen. Ähnlich erlebt es auch Scheppler. Auf der Online-Plattform "Frag den Staat" hat er Anfragen an 13 Schulministerien gestellt - etwa danach, wie viele Apple- oder Google-Lehrer es im Bundesland gebe. Die häufigste Antwort: Man wisse nichts von Zertifizierungen. Fortbildungen im privaten Bereich fielen nicht in ihre Zuständigkeit. Die Ministerien sehen offenbar kein Problem der Einflussnahme. Solange Schulen im rechtlichen Rahmen handeln, sei es ihnen freigestellt, mit wem sie kooperieren, heißt es etwa vom Kultusministerium Baden-Württemberg. Schulen dürfen zwar ein Apple-Zertifikat erwerben, damit aber keine Werbung auf ihrer Webseite machen. Auch der Kultusminister von Niedersachsen sagt, es gäbe keinen wachsenden Einfluss von Unternehmen.

Wer davon was hat

Konzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine, in erster Linie wollen die Anteilseigner Geld verdienen. Doch in der heutigen Zeit gewinnt das Bild, das die Öffentlichkeit und damit auch die Kunden von einem Unternehmen haben, immer mehr an Bedeutung. Auch Mitarbeiter fühlen sich in Firmen wohler, die sich zusätzlich gesellschaftlich engagieren. Das US-Software-Unternehmen Salesforce etwa, ein Konkurrent von SAP, gewährt seinen Mitarbeitern sechs bezahlte Arbeitstage pro Jahr, an denen sie freiwillige Dienste leisten können. Bisher haben die Salesforce-Mitarbeiter in mehr als 70 Ländern bereits mehr als eine Million Stunden an ehrenamtlicher Arbeit bei mehr als 11.000 gemeinnützigen Organisationen geleistet. Auch bei Microsoft engagieren sich viele Mitarbeiter in verschiedenen gemeinnützigen Projekten. Zusammen mit dem Automobilhersteller Volkswagen hat Microsoft Deutschland auch eine langfristig angelegte Zusammenarbeit bei Nachhaltigkeits- und sozialen Zukunftsinitiativen in Deutschland vereinbart. Man wolle, ließ sich die Deutschlandchefin von Microsoft, Sabine Bendiek, zitieren, "den Einsatz digitaler Technologien und künstlicher Intelligenz zum Wohl von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft fördern". Geplant sind dazu Schüler-Workshops zu Themen wie Programmieren und Künstliche Intelligenz. Konzerne wie Intel oder Salesforce unterstützen Universitäten - natürlich auch in der Hoffnung, damit für den eigenen Mitarbeiternachwuchs zu sorgen. ma

Nicht immer ist es leicht, den Einfluss der Digitalunternehmen zu erkennen. Finanzierungen laufen oft indirekt über Stiftungen oder andere Kooperationspartner. So hat Samsung 2013 die Initiative "Digitale Bildung neu denken" gestartet und bis 2017 über Partner etwa 600 Lehrkräfte fortgebildet. Ähnlich geht Google vor: Der US-Konzern fasst seine bundesweiten Angebote unter dem Begriff Zukunftswerkstatt zusammen. Google geht nicht selbst an die Schulen, sondern arbeitet mit renommierten Partnern zusammen: Zu ihnen zählt das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS), das die webbasierte Programmiersoftware Open Roberta anbietet.

Das Institut erhielt zwischen 2012 und 2018 für Bildungsprojekte in Deutschland etwa 5,8 Millionen Euro vom US-Unternehmen. Ein weiteres Beispiel ist das Berliner Start-up Calliope, das Google seit der Gründung 2016 mit mehr als einer Million Euro finanzierte. Es stellt einen Minicomputer her, vor allem Grundschüler sollen damit ein erstes Verständnis fürs Programmieren entwickeln.

Seit der Rechner 2017 auf den Markt kam, hat Calliope mehr als 25 000 Exemplare an Schulen verschenkt. Dies beurteilt die Initiative Lobbycontrol als kritisch: "So werden Lehrpläne umgangen, denn Programmieren ist in der Grundschule nicht vorgesehen", sagt Felix Duffy. Ob das rechtens ist, lässt sich laut Duffy schwer bewerten - nicht nur weil die 16 Schulgesetze der Länder unterschiedliche Rahmenbedingungen setzen. Vieles bleibt vage.

Die Vorschriften von Mecklenburg-Vorpommern etwa gehen von einer Gefährdung des Bildungsauftrages aus, wenn "mit einer Zuwendung versucht wird, Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung von Unterricht und Erziehung zu nehmen". In Nordrhein-Westfalen wiederum ist Sponsoring erlaubt, wenn die Schulinteressen größer sind als die der Sponsoren. Jede Schule und ihre Träger wägen selbst ab. "Ein Einzelfall mag okay sein", sagt Duffy, "aber wenn etwas an vielen Schulen gleichzeitig geschieht, ist das Sponsoring oft größer als auf den ersten Blick erkennbar."

Gibt es eine Alternative? Warum nicht unabhängige Systeme nutzen?

Die IT-Unternehmen weisen die Vorwürfe von sich. Märkte zu erschließen, Konsumenten im jungen Alter zu binden und deren Daten zu sammeln, sei nicht das Ziel. Sie wollten die Schulen nur unterstützen. Samsung etwa schreibt, man messe sich "an höchsten ethischen und moralischen Standards. Entsprechend steht bei allen Aktivitäten der schulische beziehungsweise pädagogische Nutzen im Vordergrund". Die Projekthoheit werde dem Partner überlassen und kein Einfluss auf Inhalte genommen.

Bildungsstätten, die ihre Schüler mit Geräten und Software ausstatten, liefern den IT-Anbietern auch Zugang zu den Daten der jungen Menschen. Besonders kritisch sei das, wenn US-amerikanische Unternehmen beteiligt seien, sagt Dirk Thiede. Er ist Datenschutzbeauftragter der Schulen im Kreis Olpe in Nordrhein-Westfalen. Selbst wenn die Konzerne zustimmten, die Daten nicht weiter zu nutzen, hätten US-amerikanische Ermittlungsbehörden dank eines Gesetzes namens Cloud Act jederzeit Zugang zu Servern von heimischen Unternehmen - egal wo in der Welt. Das sei nicht konform mit dem europäischem Datenrecht.

Umso wichtiger ist es nach Ansicht von Experten, die Unabhängigkeit der Schulen zu stärken und Alternativen zu den Angeboten der IT-Riesen zu schaffen. Es müsse von staatlicher Seite bessere Angebote geben. Auch Eigeninitiative kann helfen: Um Schulen zu unterstützen, schlossen sich in Bayern einige Kommunen zusammen und schalteten einen kommunalen Betrieb zwischen, der nötige Anschaffungen herstellerneutral vergleicht und gebündelt einkauft.

Das Katharineum zu Lübeck wiederum, ein städtisches Gymnasium in Schleswig-Holstein, setzt fast ausschließlich Open Source ein, frei verfügbare Software - als nicht kommerzielle und transparente Alternative zu Apple, Microsoft & Co. "Open-Source-Programme werden in den Schulen bisher weniger genutzt, auch weil keine Lobbyabteilung und keine Markenstrategie dahintersteht", sagt Datenschutzexperte Thiede. Er plädiert für eine europäische Behörde, die zertifiziert, was datenschutzkonform ist.

Denn bestimmt wollten nicht alle Schulen auf Angebote der Tech-Unternehmen verzichten. "Wir können die Unternehmen nicht völlig aus der Digitalisierung der Schulen raushalten", sagt auch Gewerkschafter Scheppler, "aber es bedarf anständiger Schranken, ehe ihr Einfluss schleichend überhandnimmt und den staatlichen Bildungsauftrag aushöhlt."

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