Militär:Europas neue Atomdebatte

Militär: Selbstbewusste Botschaft von unten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an Bord des strategischen Atom-U-Boots Le Terrible, im Juli 2017.

Selbstbewusste Botschaft von unten: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an Bord des strategischen Atom-U-Boots Le Terrible, im Juli 2017.

(Foto: Fred Tanneau/AFP)

Seit dem Brexit ist Frankreich die einzige Nuklearmacht in der EU. Auch in Deutschland werden Forderungen nach einer neuen Abschreckungsstrategie laut.

Von Paul-Anton Krüger

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ließ sich im Juli 2017 von einem Militärhubschrauber vor der Küste der Bretagne auf das U-Boot Le Terrible abseilen. Es ist das modernste der vier strategischen Atom-U-Boote der französischen Marine, die mit Nuklearsprengköpfen bestückte Raketen tragen, das Rückgrat der von der Nato unabhängigen nuklearen Abschreckung der französischen Streitkräfte. Der Besuch auf dem U-Boot, bei dem der Präsident dem simulierten Abschuss einer Atomrakete beiwohnte, war sein klares Bekenntnis zur Rolle der Atomwaffen in der französischen Verteidigungsstrategie.

Seit dem Austritt Großbritanniens ist Frankreich zudem die einzige verbliebene Nuklearmacht in der Europäischen Union. Welche Rolle Paris seinen etwa 300 Atomwaffen im Rahmen einer von Macron angestrebten stärker europäisch ausgerichteten Verteidigung beizumessen bereit ist, wird der Präsident an diesem Freitag vor den Offiziersanwärtern der École de guerre in Paris in einer Rede zur "Verteidigungs- und Abschreckungsstrategie" darlegen - es gilt als denkbar, dass er anbietet, Frankreichs nuklearen Schutzschirm in den Dienst einer von den USA stärker unabhängigen Verteidigung Europas zu stellen.

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) jedenfalls stellte am Mittwoch in Straßburg bei der Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung vorsorglich klar: "Wir stehen unter dem Nuklearschirm der Nato." Das solle auch so bleiben. "Aber die Vorstellung, dass wir in Deutschland - und ich sage das sehr deutlich - in Deutschland beginnen, eine eigene Herstellung von atomaren Waffen - auch in einem europäischen Kontext - anzugehen, erscheint mir nicht sehr realistisch." Sie reagierte damit auf die Forderung von Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul im Tagesspiegel, Deutschland müsse "eine Zusammenarbeit mit Frankreich bei den Nuklearwaffen ins Auge fassen" und "bereit sein, sich mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln an dieser nuklearen Abschreckung zu beteiligen" - was freilich denkbar wäre, ohne dass Deutschland selbst Atomwaffen besitzt oder herstellt. Klar ist: Die Debatte über die Rolle der nuklearen Abschreckung bei der Verteidigung Europas wird an Fahrt gewinnen - in Berlin wie in anderen europäischen Hauptstädten, vor allem in Osteuropa. Dort fühlt man sich besonders bedroht durch Russlands Aufrüstung und die Aufstellung neuer Marschflugkörper, die Atomwaffen tragen können. In der Berliner Koalition könnte das Thema bald zu weiteren Reibereien führen, denn unabhängig von Macrons Rede steht die Bundesregierung vor richtungsweisenden Entscheidungen.

Im Rahmen der nuklearen Teilhabe in der Nato ist Deutschland neben Belgien, Italien, den Niederlanden und der Türkei einer der europäischen Alliierten, die im Ernstfall mit eigenen Kampfjets amerikanische B-61-Atombomben ins Ziel bringen würden. Bislang erfüllen diese Rolle bei der Luftwaffe bereits 1981 in Dienst gestellte Tornado-Jagdbomber. Sie müssen mit großem Aufwand gewartet werden und sollen von 2025 an abgelöst werden. Seit 2017 prüft das Bundesverteidigungsministerium die Optionen. Die Koalition aber hat sich bislang nicht darauf verständigt, wie sie die Widersprüche zwischen bündnispolitischen, militärischen und industriepolitischen Erwägungen lösen will.

Zur Auswahl stehen drei Optionen: Zum einen könnten die Eurofighter der Bundeswehr für eine nukleare Rolle nachgerüstet werden. Sie müssten dafür aber vom US-Militär zertifiziert werden. Alternativ könnte die Bundeswehr US-Kampfjets beschaffen. Das modernste Flugzeug, das bereits als Träger für taktische Atomwaffen zugelassen ist, wäre die Lockheed Martin F-35 . Dritte Option wäre die von Boeing gebaute F-18 Super Hornet, in früheren Versionen ebenfalls für Atomwaffen zertifiziert.

Paris und Berlin wollen bis 2040 gemeinsam das Future Air Combat System entwickeln

Die Luftwaffe favorisierte zunächst eine Beschaffung der F-35, die inzwischen auch sieben europäische Nato-Partner gekauft haben. Alle anderen Staaten, die eigene Kampfjets im Zuge der nuklearen Teilhabe der Nato stellen, verwenden den Tarnkappen-Bomber in dieser Rolle. Die Bundesregierung aber prüft aus politischen Gründen derzeit nur die Aufrüstung der Eurofighter und den Kauf von F-18-Maschinen.

Frankreich und Deutschland wollen bis zum Jahr 2040 gemeinsam das Future Air Combat System entwickeln, ein Kampfflugzeug der sechsten Generation, das im Verbund mit Drohnen und anderen Systemen agieren soll. Das Projekt hatte Frankreich ursprünglich zusammen mit Großbritannien entwickeln wollen. Das Vereinigte Königreich aber sprang ab, nachdem es sich für den Kauf der F-35 in den USA entscheiden hatte. Deswegen macht Frankreich Druck in Berlin und erreichte, dass die F-35 als Option gestrichen wurde.

Paris dringt auf die Weiterentwicklung des Eurofighters für die elektronische Kampfführung und Aufklärung - Rollen, die bislang die Tornados wahrnehmen und die ebenfalls ersetzt werden müssen. Das käme der Industrie zugute, die auch den neuen deutsch-französischen Jet entwickeln soll. Allerdings müsste Deutschland bei diesem auch von Teilen der SPD favorisierten Modell alleine die erheblichen Kosten dafür tragen, die Jets nukleartauglich zu machen und in den USA zertifizieren zu lassen. Fraglich ist, ob dabei der vorgesehene Zeitrahmen zu halten wäre. Die Tornados länger zu betreiben würde die Bundeswehr jährlich Milliarden Euro kosten.

Die F-18 gibt es zumindest in einer Version für die elektronische Kampfführung, die vor allem zur Überwindung gegnerischer Luftabwehr notwendig ist. Der Kauf der Maschine wäre auch ein politisches Bekenntnis zur transatlantischen Partnerschaft - ein Schritt, der bei der Union Befürworter findet, angesichts der Kritik von US-Präsident Donald Trump an den deutschen Verteidigungsausgaben aber kaum bei der SPD. Als denkbar gelten in Berlin daher Mischlösungen, mit denen man es Washington und Paris recht machen könnte - die Bundeswehr aber weder die militärisch beste noch die billigste Lösung bekommen würde

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: