Ein Förster als erster Skifahrer:Pionier im Schnee

Maximilian Lizius Tafel

Eine Gedenktafel an der Maxl-Wand in der Jachenau.

Der Forstmeister Maximilian Lizius soll 1885 als einer der ersten in Deutschland Skier angeschnallt haben. Damit streifte er durch sein Revier in der Jachenau - in einer Zeit, als der Wintersport in Mitteleuropa erst populär wurde.

Von Benjamin Engel

Still und abgeschieden, wie vergessen vom trubeligen Massentourismus wirkt die Jachenau manchmal bis heute. Nur schmale Straßen führen ins 15 Kilometer lange Tal im Süden des Landkreises. Für Gäste gibt es nur wenige kleine Hotels und viele private Zimmer- und Ferienwohnungsvermieter. Wintersportler auf zwei Brettern sind, wenn es genügend schneit, allein am einzigen Schlepplift oder auf der langen Loipe durch das Tal zu treffen. Spektakulär klingt davon kaum etwas. Und doch zählt die Jachenau zu den Pionierregionen des Wintersports.

Zeitsprung in die 1880er Jahre: Die Eisenbahn fährt erst bis nach Bad Tölz. In die knapp 30 Kilometer entfernte Jachenau kommen Gäste nur mit der gelben Postkutsche. Im einsamen Tal scheint die Moderne noch kaum angekommen. Doch 1885 macht Maximilian Lizius bis dahin Ungesehenes. Im einsamen Talwinter schnallt sich der damals 40-jährige Jachenauer Forstamtsleiter Skier an die Füße. Ein befreundeter norwegischer Förster hat ihm ein Paar geschenkt. Damit kommt Lizius auf seinen Reviergängen im Schnee viel schneller und weniger mühevoll voran. Damit zählt er zu den Skipionieren im deutschen Alpenraum, wenn auch wohl weniger im touristischen Sinn.

Maximilian Lizius

Maximilian Lizius (1845-1896) war erster Forstamtsleiter in der Jachenau.

(Foto: Hubert Staudt/oh)

Gleichwohl werden sich die Jachenauer über den Anblick des Mannes mit seinen damals üblichen zwei bis 2,80 Meter langen Holzskiern sehr gewundert haben. Wahrscheinlich reagierten sie kaum anders als im österreichischen Arlberg-Gebiet nur wenige Jahre später. Dort hatte der Warther Pfarrer Johann Müller im Spätwinter 1894/95 ein paar Skier aus Norwegen bestellt. Damals schrieb das Vorarlberger Volksblatt: "Vor ein paar Tagen wurden mit der Post ein paar Schneeschuhe (damals auch synonym für Ski verwendet; Anm. d. Red.) vorbeigeführt. Kein Mensch weiß, wie man sich mit diesen über zwei Meter langen Dingern fortbewegen soll." Nachzulesen ist das im Buch "Spuren. Skigeschichte am Arlberg" von Sabine Dettling und Bernhard Tschofen.

Als Fortbewegungsmittel nutzten die Nordeuropäer in Skandinavien Skier zwar schon wesentlich länger. Doch in Mitteleuropa zog es vor allem die städtische Bevölkerung vermehrt seit den 1880er Jahren auf zwei Brettern in die Berge. Priester, Förster, Ärzte, Postboten und Jäger zählten zu den ersten, die Skier nutzten, um besser voranzukommen. Zudem versprach die Bewegung in der Gebirgsnatur Freiheit von den Zwängen zunehmender Urbanisierung und Technisierung.

Diese Lebenserfahrung vor allem der städtischen Bevölkerung klingt ganz modern. Zugleich ist sie beispielhaft für Zeiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels. Denn auch heute zieht es immer mehr Menschen in die Alpen, das Skitourengehen boomt.

Aus der Stadt stammte auch Lizius. Im September 1845, also vor 175 Jahren wurde er als Sohn eines Finanzrechungskommissärs in Augsburg geboren. Er kämpfte im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und wurde mit dem königlich-bayerischen Militärverdienstorden II. Klasse ausgezeichnet. 1877 heiratete er die Weingutsbesitzerstochter Margarethe Anna Mayer aus dem Rheinland. Mit ihr zog Lizius in die Jachenau, wo zwischen 1878 und 1885 die fünf Kinder des Paares auf die Welt kamen.

Maximilian Lizius Forsthaus

Das Forsthaus von Lizius, früher auch Verkehrsbüro und Gemeindeverwaltung.

Bis auf Schützen- und Veteranenbälle bot das von der Land- und Forstwirtschaft geprägte Tal nur wenig gesellschaftliche Zerstreuung und Abwechslung. Darunter scheint besonders die Frau des Forstmeisters gelitten zu haben: "Meine Mutter war Rheinländerin und ich wundere mich heute noch, wie sie sich in der Jachenauer Einsamkeit zurechtfinden konnte. Sie verstand die Sprache der Bauern nicht und die Bauern nicht die ihre", erinnert sich 1949 ihr einziger Sohn Max in seinem Buch "Am Hüttenherd".

Wohl seiner Familie zuliebe verließ Lizius nach zehn Jahren die Jachenau. 1891 zog Maximilian Lizius mit Frau und Kindern nach Aschaffenburg im Norden Bayerns. In der unterfränkischen Stadt leitete er das Forstamt Aschaffenburg Nord. Zudem unterrichtete er an der dortigen Forstschule. Lizius' einzige Schwäche sei sein "maßloses Schwärmen für das Hochgebirge, namentlich die Jachenau" gewesen, konstatierte Thadäus Stahler, Initiator des Katholischen Arbeitervereins (KAB) in Aschaffenburg, in einer späteren Trauerrede auf das KAB-Ehrenmitglied. Lizius, so heißt es weiter, wäre am liebsten Gebirgsförster im oberbayerischen Tal geblieben. Er hätte dieses wohl nie "aus eigenem Antrieb" verlassen, wenn seine Kinder nicht gewesen wären.

Hubert Staudt, der Urenkel von Maximilian Lizius, hat diese Rede sowie weitere Dokumente zur Familiengeschichte gesammelt. Die ist eng mit Aschaffenburg verknüpft. In der unterfränkischen Stadt war seine 1825 geborene Tante Caroline Lizius aufgewachsen. König Ludwig I. soll sie als 16-Jährige in der Stadt kennengelernt haben. Ihr Porträt hängt heute in der sogenannten Schönheitengalerie im Münchner Schloss Nymphenburg. Der Monarch hatte dafür Porträts von 38 der seiner Ansicht nach schönsten Frauen anfertigen lassen.

Bleibende Spuren hat aber auch ihr Neffe Maximilian Lizius in der Jachenau hinterlassen. Mit seiner Familie wohnte er im 1880 neu erbauten Forstamt im Obergeschoss, ein Stockwerk über den Amtsräumen im Erdgeschoss. Das Gebäude ist heute das Gemeindeamt. Zudem hatte Lizius den Bau der Forststraße nach Sachenbach am Walchensee geplant. Drei Jahre dauerte es bis zur Fertigstellung. "Ein Maxl hats erdacht, ein Maxl hats gemacht, drum wird diese Wand, Maxlwand genannt", ist bis heute auf einer Gedenktafel an der Straße zu lesen. Beim zweiten Max ist der Vorarbeiter Max Schöttl gemeint. Er hatte die Bauarbeiten ausgeführt.

Das Skifahren wurde kurz vor der Jahrhundertwende um 1900 in Mitteleuropa zunehmend populär. 1888 hatte der Polarforscher Fridtjof Nansen auf einer Expedition Grönland mit Skiern durchquert. Seine 1891 in Buchform herausgebrachten Schilderungen regten die Vorstellungskraft der Öffentlichkeit an, sich auf Schnee fortbewegen zu können. In demselben Jahr gründete sich in Todtnau im Schwarzwald der erste Skiclub Deutschlands. Im Isarwinkel entwickelte sich das Skifahren in den 1920er Jahren zur Massenbewegung. In dieser Zeit fuhren die Wintersportler mit der Eisenbahn nach Lenggries, um anschließend aufs Brauneck aufzusteigen. Einen Lift gab es damals noch gar nicht.

Von dieser Entwicklung sollte Maximilian Lizius nichts mehr mitbekommen. Der Forstmeister starb 1896 drei Tage vor seinem 51. Geburtstag an den Folgen einer Bakterieninfektion und eines Schlaganfalls. In die Jachenau war er bis zu seinem Tod regelmäßig gereist.

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