Filmland Korea:Paradies für Geschichtensucher

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Entertainment als Nationalsport: Mitglieder des Filmclubs an der Yeonsei University in Seoul jubeln bei der Übertragung der Oscar-Verleihung. (Foto: Ahn Young-joon/AP)

Oscar-Gewinner "Parasite" gehört zur koreanischen Popkulturgeschichte ebenso wie K-Pop und die wohl lebendigste Filmszene Asiens. Wo der gesellschaftliche Druck die Kreativität geradezu herausfordert.

Von Thomas Hahn, Tokio

Bong Joon-ho sagt, die Idee zu seinem Oscar-prämierten Film "Parasite" sei ganz natürlich zu ihm gekommen. Er brauchte dazu nur ein paar Spaziergänge und wache Blicke, keinen Druck, keinen besonderen Ehrgeiz. Regisseur Bong wohnt in Seoul, das sagt im Grunde schon alles. Denn Seoul, die riesige, lebendige Hauptstadt Südkoreas, ist ein Ort voller Brüche. Ein Paradies für Geschichtensucher, vor allem für solche, die selbst Südkoreaner sind und einen Bezug zur tragischen Komik mancher Einheimischer haben. Die Geschichte der armen Familie Kim, die ins Reich der wohlhabenden Familie Park eindringt, bildet anschaulich eine soziale Wirklichkeit im Tigerstaate Südkorea ab.

Es wird Zeit für einen etwas tieferen Blick ins Innere der südkoreanischen Gesellschaft. Den Eindruck muss Bong Joon-ho damals auch gehabt haben, als er anfing, an "Parasite" zu arbeiten. Südkorea hat viel geschafft in den vergangenen Jahrzehnten. Es hat japanische Besetzung, Krieg und autoritäre Machthaber hinter sich gelassen. Hat es mit Hightech zu Geld gebracht und sich zu einer geachteten Wirtschaftswundernation entwickelt. Aber Südkorea wird im Ausland auch oft unterschätzt als Land der leichten Muße und des Kommerzes. Südkoreas wichtigste Botschafter? Wahrscheinlich die K-Pop-Boy-Gruppe BTS und der Elektronikhersteller Samsung. Dabei durchlebt die junge demokratische Marktwirtschaft gerade so etwas wie ihre Pubertät. Laut zankend ringt sie um Selbstfindung und Zukunft.

Hallyu, der chinesische Begriff für koreanische Welle, hat sich als Markenname für alle möglichen südkoreanischen Kulturbeiträge etabliert

Daraus ergeben sich tolle Stoffe für Filmemacher, die originell und zeitkritisch sein wollen. Und die außerdem die Tradition des südkoreanischen Kinos fortführen wollen. Denn dieses ist seit dem Zweiten Weltkrieg eine Konstante in der Geschichte des Landes gewesen und ein Spiegel seiner Zeit. Südkoreanische Filmemacher waren immer produktiv, mal weniger, mal mehr. Sie griffen die Begeisterung über die Befreiung von japanischer Herrschaft auf. Darbten zu Zeiten des Korea-Kriegs. Waren bis in die Achtzigerjahre hinein Zensur und Propaganda ausgesetzt. Und wurden danach zu Botschaftern des neuen demokratischen Zeitgeistes, in die in den Neunzigern auch die Jaebols investierten, Südkoreas mächtige Familienmischkonzerne.

Deren Filmförderung wurde wieder schmaler, als sich 1997 Asiens Finanzkrise auswirkte. Aber da waren die Fundamente schon gelegt für eine neue Blüte des südkoreanischen Kinos, das zunächst Kassenschlager für den heimischen Markt vorlegte, aber bald auch international gelobte Produktionen hervorbrachte, vor allem 2003 die Comic-Adaption "Oldboy" von Regisseur Park Chan-wook.

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Heute ist Entertainment eine Art bejubelter Nationalsport in Südkorea, den einflussreiche Produktionsfirmen organisieren. Hallyu, der chinesische Begriff für koreanische Welle, hat sich als Markenname für alle möglichen südkoreanischen Kulturbeiträge etabliert. Vor allem der unvermeidliche K-Pop prägt dabei das Image einer hochprofessionellen Traumfabrik, die Musik für den Massengeschmack fertigen lässt. Und das Kino? Lebt und liefert, macht längst auch mit amerikanischen Streamingdiensten Geschäfte und wirkt gesund. Das Filmfestival von Busan gilt als das wichtigste in Asien. Die Oscars für Bongs "Parasite" passen ins Bild.

Allerdings erreichen nur wenige Arbeiten eine künstlerische Tiefe wie "Parasite". Gerade Südkoreas Unterhaltungsfirmen scheinen oft lieber ablenken zu wollen von den gesellschaftlichen Problemen hinter den Kulissen. Dabei steht die Branche stellvertretend für den ewigen Kampf um Gefallen und Geld, der Südkoreas jungen Leuten zu schaffen macht. Die Erwartungen sind teilweise unwirklich hoch, sie kommen von Eltern, Chefs, Followern im Internet. "An der Oberfläche sieht Korea heute aus wie ein sehr reiches, glänzendes Land mit K-Pop, High-Speed-Internet und IT-Technologie", hat Bong einmal in einem Interview gesagt, "aber die soziale Schere geht auseinander. Gerade die junge Generation fühlt viel Verzweiflung."

Seoul liefert die Kulisse für diese Kontraste. In den Hochhausvierteln sieht die Stadt makellos und großzügig aus. Kunstwerke, teure Coffeeshops, Einkaufszentren. Nur wenige Straßenzüge weiter aber: verwinkelte Straßen, ärmliche Fassaden. Und anders als in Japan liegen die Konflikte hier nicht unter dem dämpfenden Gehorsam der Kollektivgesellschaft verborgen. Jeden Tag gibt es Demonstrationen für irgendetwas. Liberales Denken greift um sich, was wiederum konservative Leute zu donnerndem Zorn reizt. Mal trifft man leise, feinsinnige Menschen, dann wieder laute, ungeschlachte. Man spürt, wie unausgeglichen Südkoreas junge Vielfaltsgesellschaft noch ist. Ein Filmemacher muss sie im Grunde nur beobachten, um sich inspirieren zu lassen. So ist "Parasite" entstanden. Und so werden noch einige gute Filme mehr entstehen.

© SZ vom 11.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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