Indien:Wenn der Zwerg den Riesen schlägt

Premierminister Narendra Modi muss bei der Regionalwahl in Delhi eine Niederlage einstecken. Das zeigt: Nicht überall kann der Regierungschef mit seiner spalterischen Politik punkten.

Von Arne Perras, Delhi

Die Partei des indischen Premiers hatte nahezu alle ihre starken Männer in diesen Kampf um die Hauptstadt geworfen. Narendra Modi, der seit 2014 die hindu-nationalistische Regierung auf nationaler Ebene führt, ging auf Tour, um für seine BJP Stimmen zu fangen; ebenso Innenminister Amit Shah. Dazu mehrere nationale Minister und auch der ideologische Scharfmacher Yogi Adityanath aus dem benachbarten Uttar Pradesh. Sie alle sollten sicherstellen, dass Delhis Bürger sich von ihrem amtierenden Ministerpräsidenten Arvind Kejriwal abwenden, einem der populärsten Gegner des Modi-Lagers.

Noch am Morgen beharrten führende BJP-Politiker darauf, dass sie diese Wahl gewinnen würden. "Ich vertraue darauf, dass dies ein guter Tag für die BJP wird. Wir werden heute die Macht über Delhi übernehmen", behauptete Manoj Tiwari. Doch dann wurde im Laufe der Auszählung immer deutlicher, was schon Nachwahlbefragungen am Samstag angedeutet hatten: Es reichte nicht für das Lager von Modi in Delhi.

Wahlsieger Kejriwal ist ein Mann der Basis, die Leute fühlen sich ernstgenommen

Das Rennen, das manche ein "Duell zwischen Zwerg und Riese" nannten, endete mit der Niederlage der BJP, sie verfehlte die nötige Mehrheit von 36 Sitzen. Das ist umso schmerzlicher für die Partei, weil sie nach Wahlverlusten in mehreren Bundesstaaten einen Triumph in der Hauptstadt dringend herbeigesehnt hatte. Zwar sind in Delhi nicht jene indischen Massen zuhause, deren Rückhalt man braucht, um eine Zentralregierung zu führen. Dennoch ist die Stadt wichtig fürs Prestige. Wer hier regiert, zieht nationale Aufmerksamkeit auf sich. Und der Sieger heißt: Arvind Kejriwal.

Supporters of AAP celebrate after learning of the initial poll results outside its party headquarters in New Delhi

Anhänger des Wahlsiegers Arvind Kejriwal feiern in Delhi.

(Foto: Anushree Fadnavis/ Reuters)

Der 51-Jährige ist charismatisch, ein gläubiger Hindu, der allerdings spalterische Rhetorik meidet. Kejriwal ist ein Mann der Basis und hatte seinen Wahlkampf ganz und gar auf die Alltagsnöte der Leute zugeschnitten. Die Wähler erkannten Kejriwals Anstrengungen der vergangenen Jahre an, für die Armen ist es leichter geworden, medizinische Hilfe zu bekommen, sie können sich Strom und Wasser eher leisten. Und sein Team hat viel Arbeit in bessere Schulen gesteckt. Gegen den alltäglichen Verkehrsinfarkt hat der Ministerpräsident zwar kaum etwas ausrichten können. Doch dank zahlreicher Wohlfahrtsprogramme seiner Aam Aadmi Party (AAP) sehen besonders die unteren Schichten Kejriwal als glaubwürdigen Anwalt ihrer Interessen. Und so haben sie auch abgestimmt.

Die BJP hatte erst gar keinen Kandidaten gegen Kejriwal benannt, was sich als Fehler erwies. Sie sprach auffallend wenig über die Mühsal des Alltags, sondern richtete ihren Wahlkampf ideologisch aus. Sie spielte die nationalistische und religiöse Karte, und das mit einer Aggressivität, wie es die Inder zuvor kaum erlebt hatten.

Die Wahlkommission musste einen BJP-Mann nach dem anderen wegen rhetorischer Verfehlungen verwarnen oder ihm Redeverbot erteilen. Doch das brachte die BJP-Maschinerie kaum ins Stocken, sie zielte rastlos auf die muslimische Minderheit. Es hagelte Hetzbotschaften gegen vermeintliche "anti-nationale Kräfte", Muslimen, die Modi und Shah kritisieren, riefen sie zu, sie sollten nach Pakistan verschwinden. Und der nationale Minister Anurag Thakur brachte den Slogan in Umlauf: "Erschießt die Verräter". Wenige Tage vor der Wahl zog ein 17-Jähriger bei einer Demo eine Waffe und schoss auf muslimische Studenten, ein Mann wurde verwundet.

Indien: Arvind Kejriwal winkt seinen Anhängern zu.

Arvind Kejriwal winkt seinen Anhängern zu.

(Foto: Money Sharma/AFP)

Doch wie der prominente Modi-Biograf Nilanjan Mukhupadhyay anmerkte, war die polarisierende Strategie der BJP nicht geeignet, um einen Ort wie Delhi politisch zu erobern. Der Versuch, Hindus und Muslime gegeneinander auszuspielen, erwies sich als weniger erfolgreich, als es die Chefstrategen der BJP erwartet hatten. Das Signal von Delhi steht allerdings auch in starkem Kontrast zum Triumph der hindu-nationalistischen Partei im Sommer 2019. Damals war es Modi gelungen, mit stark nationalistischen Tönen in Richtung Pakistan eine große Mehrheit für seine zweite Amtszeit zu sichern. Doch in der Hauptstadt muss sich die BJP nun wohl mit der Erkenntnis abfinden, dass das Vorhaben, Hindus und Muslime zu spalten, Siege nicht garantiert. Zwar konnte die Modi-Partei, die 2015 gegen Kejriwal noch komplett eingebrochen war, ihr Ergebnis dieses Mal deutlich verbessern. Aber die Wende schaffte sie nicht.

Wäre die BJP mit ihren Hassbotschaften in Delhi siegreich gewesen, so hätte dies sehr wahrscheinlich den Ton für alle weiteren Wahlen gesetzt; doch nun hat die Schlappe der BJP allen in Erinnerung gerufen, wie komplex und schwer berechenbar indische Politik auf den verschiedenen Ebenen und in den unterschiedlichen Regionen doch immer noch ist. Selbst jene Hindus, die Modi als Premier verehren und stützen, entscheiden sich auf regionaler und lokaler Ebene nicht zwingend für ihn. Sie wählen vielmehr jenen Kandidaten, der etwas dafür tut, ihren Alltag zu verbessern.

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