Innovation in der Manege:Aus Können soll Kunst werden

Lesezeit: 2 min

Noch balanciert Josef Stiller die Bambusstangen selbst – bald aber werden die Zuschauer zu Mitspielern. An diesem Mittwoch ist zum Abschluss der Tagung noch das Gastspiel „My Body is Your Body“ im HochX zu sehen. (Foto: Jona Harnischmacher)

Vertreter des deutschen zeitgenössischen Zirkus treffen sich erstmals in München. Die Stadt will die neuen Artisten fördern

Von Barbara Hordych

Noch balanciert Josef Stiller die Bambusstangen selbst – bald aber werden die Zuschauer zu Mitspielern. An diesem Mittwoch ist zum Abschluss der Tagung noch das Gastspiel „My Body is Your Body“ im HochX zu sehen. (Foto: Jona Harnischmacher)

Mit drei langen Bambusrohren in der Hand schreitet Josef Stiller den Stuhlkreis auf der Bühne im Theater HochX ab. Plötzlich hält der junge Künstler mit dem blondem Zopfdutt inne, baut eine der Stangen vor einem der rund 25 Zuschauer auf, lässt los - und der Zuschauer fängt sie gerade noch. Ein Spiel zwischen Darsteller und Publikum ist eröffnet, in dem der Künstler die Stäbe auf den Zehen, auf den Fingern, auf Bauch, Kinn und Rücken balanciert - und immer wieder unvermittelt fallen lässt. Wer die Stäbe fängt, ob und wie der Betreffende sie an die Sitznachbarn weitergibt, bleibt eine offene Frage während der knapp halbstündigen Aufführung. Auf verblüffend einfache und intelligente Weise spielt Stiller mit den Reflexen und Reaktionen jedes Einzelnen, manipuliert nicht nur die Bambusstöcke, sondern auch die Aufmerksamkeit des Publikums.

"Die Stäbe alleine können nicht stehen, diese Idee habe ich zum Ausgangspunkt meiner Show gemacht", wird Stiller später dem Fachpublikum beim Netzwerktreffen "4 Tage Zeitgenössischer Zirkus" im Theater HochX erklären. Am eigenen Leib konnten die Besucher erfahren, wie Stiller mit "Responsive Round" die Grenzen zwischen Publikum und Darsteller auflöst. Mit Elementen aus Tanz, Jonglage und Schauspiel ist diese Performance ein charakteristisches Beispiel für die genreübergreifende Kunstform "Zeitgenössischer Zirkus", für deren ästhetische Legitimation sich der "Bundesverband zeitgenössischer Zirkus" (Buzz) seit knapp zehn Jahren einsetzt. Die Bestrebungen führten im Januar dieses Jahres zum Erfolg: Der Dachverband, dem derzeit 137 Einzelkünstler und Kompanien angehören, wurde als Mitglied im Bundesverband der Freien Darstellenden Künste aufgenommen. Ein Grund zu feiern, denn das sei ein Zeichen dafür, dass ihr Dachverband in der Kulturpolitik wahrgenommen werde, verkündet die zweite Vorstandsvorsitzende Cox Ahlers. Mit Buzz-Kollegen aus anderen Städten wie Köln, Leipzig und Hamburg ist sie aus Berlin zum ersten Netzwerktreffen nach München gereist. "Diese Anerkennung ist wichtig, weil wir bis vor kurzem noch von der öffentlichen Förderung ausgeschlossen waren", sagt Ahlers.

Das Kulturreferat hat die Tagung im Schwere Reiter und im HochX mit städtischen Mitteln unterstützt, ebenso wie die umfangreiche Broschüre "Zirkus Heute", in der sich rund 70 Mitglieder des Buzz mit ihrer künstlerischen Arbeit präsentieren. Das sei schon ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Daniela Rippl, die im Kulturreferat der Landeshauptstadt für den Bereich Wissenschafts- und Kunstförderung zuständig ist. Doch nach der Anerkennung gehe es nun um die Etablierung, rät sie den Versammelten. Deswegen sei man derzeit im Kulturreferat nach Kräften bemüht, eine halbe Stelle für den Zeitgenössischen Zirkus einzurichten. Zukunftsweisend sind für sie die Worte von Kulturreferent Anton Biebl, die sie dem Publikum kurzerhand vorliest. "Zeitgenössischer Zirkus ist eine eigene Form der Darstellenden Kunst, der mehr Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Akrobatische, tänzerische und performative Elemente verbinden sich mit einer starken visuellen Kraft. Das ist künstlerisch anspruchsvoll und zugleich sehr attraktiv für das Publikum. Daher fördern wir, was hier in München entsteht, und auch den Austausch mit anderen Städten".

Vielleicht wird damit ein Phänomen gestoppt, das Markus Wörl, der zwölf Jahre lang die Zirkuskompanien für das Tollwood-Festival auswählte, so beschreibt: "Wer was werden will, geht ins Ausland". Die Münchner Kolja Huneck und Lukas Brandl, die noch als Schüler den "Talents"-Wettbewerb im Gop-Varieté-Theater gewannen, gingen etwa zur Ausbildung an die Zirkusschule in Rotterdam. Jetzt sind sie aber nach München zurückgekehrt. Während Huneck gerade eine städtische Debütförderung aus dem "Tanz-Topf" des Kulturreferats erhielt, wie Daniela Rippl erklärt, bewirbt sich Brandl für das 2019 ins Leben gerufene Förderprogramm "Zirkus On" des Buzz. "Mein Stück setzt sich aus Jonglage, Zauberei und Schauspiel zusammen", erklärt Brandl, der nebenbei als Trainer in Doro Auers Schwabinger Zirkusschule "Leopoldini" arbeitet.

Auch der Bambus-Performer Stiller, der aus Halle stammt, verließ seine Heimat, um an der Academy for Circus and Performance Art im niederländischen Tilburg zu studieren. Vor einem Jahr kehrte er nach Deutschland zurück, als einer der ersten drei Künstler, deren Projekt von "Zirkus On" gefördert wurde.

© SZ vom 12.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: