Verschwendung:Konsum ist menschlich

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Wer hat niemals einen Roman bei Amazon geordert, weil die Zeit fehlte, zum Buchhändler zu fahren? (Foto: Brendan McDermid/REUTERS)

Es ist gerade sehr in Mode, sich darüber zu empören, dass wir in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft leben. Doch das Prinzip Verschwendung heißt nicht Amazon - das sind immer noch wir selbst.

Kommentar von Tanja Rest

Es ist gerade wahnsinnig schick, Konsum böse zu finden. Wer sich darüber empört, dass wir in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft leben, die der Umwelt und dem Klima schadet, ethisch verkommen ist und den Verbraucher am Ende nicht glücklicher macht, sondern nur leerer, hat in diesem Land die Mehrheit der Konsumenten hinter sich. Besonders hell lodert die Empörung, wenn die Masse der Zalando-Shopper, Lieferando-Besteller und Amazon-Wiederholungstäter ausnahmsweise nicht sich selbst anklagen muss, sondern mit ausgestrecktem Finger auf den Händler zeigen darf, bei dem sie ihre vielen Wünsche täglich ablädt.

So wie vor anderthalb Jahren, als ein Politmagazin Bilder aus einer deutschen Retourenabteilung von Amazon ausstrahlte und auf den Päckchen mit fabrikneuer Ware die Anweisung "Destroy" prangte. Skandal! Verschwendung! Wie ekelhaft ist das denn! Fanden die deutschen Konsumenten, die jährlich 13 Millionen Tonnen Lebensmittel und eine Million Tonnen Kleidung in den Müll werfen.

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Ein Glückspilz, wer sich nun hinstellen und einfach den Konsum als solchen verdammen kann. Er befindet sich im Lager der Guten, moralisch Überlegenen, er befindet sich nach allem, was man weiß, sogar auf dem festen Boden der Tatsachen. Nur recht hat er nicht, das Einkaufsverhalten belegt es Jahr für Jahr. Das Einkaufsverhalten ist so, wie es ist, nicht nur, weil die Deutschen mehrheitlich gierige Haben-Woller wären, denen die Konsequenzen ihres Tuns egal sind. Es ist so auch, weil bequemes Einkaufen das Leben tatsächlich angenehmer und, jawohl: punktuell auch froher machen kann.

Konsum ist nicht nur schlecht

Wer hat sich nach einem langen Arbeitstag nicht schon Supermarkt und Küche erspart und für die Familie Pizza bestellt? Wer hat niemals einen Roman bei Amazon geordert, weil die Zeit fehlte, zum Buchhändler zu fahren? Wer hat noch nie mit pochendem Herzen ein Paket geöffnet, in dem sich ein Produkt befand, das einem gerade deshalb gute Laune machte, weil man es eben nicht brauchte?

Konsum ist nicht nur menschengetrieben, er weist auch alle Charakteristika des Menschlichen auf, und das sind glücklicherweise nicht nur schlechte. Es ist die Art des Konsums, über die man reden müsste - wenn es denn helfen würde.

Alles ist ja bis zum Überdruss berichtet und gepredigt worden. Dass man besser beim Einzelhändler einkauft als beim Online-Riesen. Dass es Wahnsinn ist, ein Kleidungsstück in drei Größen zu bestellen und zwei zurückzuschicken. Dass es sich lohnt, mehr Geld für ein hochwertiges Produkt auszugeben, als für das gleiche Geld acht Sachen zu kaufen, die nach einem Jahr schon Abfall sind. Und dass es nicht schaden kann, sich öfter mal die Frage zu stellen: Brauche oder will ich das wirklich?

Das Prinzip Verschwendung heißt nicht Amazon

All das wissen Konsumenten. Abgesehen von ein paar wenigen, die nicht nur Überzeugungen haben, sondern auch die eiserne Konsequenz, sie in den Alltag zu überführen, shoppen sie weiter wie gehabt. Es ist wie beim Tempolimit: Fakten und Vernunft sprechen dafür, doch solange die Verbotsschilder nicht aufgestellt sind, drücken alle lustig aufs Gas.

Dass die Politik den Handel nun verpflichtet, zurückgeschickte Artikel nicht mehr zu vernichten, sondern weiterzuverwenden, ist eine gute Nachricht; vom Verbraucher gibt es dafür sicher Applaus. Vormachen aber sollte man sich nichts: Das Prinzip Verschwendung heißt nicht Amazon. Das sind schon immer noch wir alle.

© SZ vom 13.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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