Augsteins Welt:Konfuzius' Arbeitsethos

Augsteins Welt: An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

An dieser Stelle schreibt künftig jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper.

(Foto: Bernd Schifferdecker)

Warum Chinesen so schnell und viel arbeiten: Mit den Lehren des Kong Fuzi, wie er auf Chinesisch heißt, hat das wenig zu tun, sondern mit der Selbstaus­beutung der Arbeiter.

Von Franziska Augstein

Vor drei bis vier Wochen, als niemand wusste, wie gefährlich das Coronavirus sein könne, haben einzelne chinesische Städte sich vorsorglich abgeriegelt. Warum? In Wuhan, dem Epizentrum der Epidemie, wurde binnen zehn Tagen ein erstes Krankenhaus für Infizierte errichtet. Das sollte möglicherweise weniger den Erkrankten helfen, sondern vor allem der Welt demonstrieren, dass China der Seuche gewachsen sei. Die Überstunden auf der Baustelle aber hat nicht die Regierung absolviert, das waren die Arbeiter. In China herrscht eine Vorstellung von Pflicht, die das sprichwörtliche preußische Ethos in den Schatten stellt.

Ein Einparteienstaat kann organisieren ohne Rücksicht auf die in pluralistischen Demokratien allfälligen öffentlichen Diskussionen. Außerdem sind Chinesen eingeübt in die Vorstellung, dass mitunter sehr schnell und hart gearbeitet werden muss. Kurz bevor die japanische Regierung 1937 noch mehr chinesisches Territorium erobern wollte (die Mandschurei samt ihren Bodenschätzen hatte sie schon 1931 eingesackt), ließ Chinas Guomindang-Führung nicht bloß Waffenfabriken, sondern auch Behörden und sogar Schulen gen Westen verlagern. Eile war geboten. Wuhan gehörte zu den Städten, in denen man ganze Fabriken zerlegte. Teils per Eisenbahn, guten Teils per Boot wurde die Fracht abtransportiert. Wenn per Boot, ging es in der Regel flussaufwärts: Viele Hunderte Männer zogen die schweren Barkassen von Land her. Der allzu früh verstorbene Historiker Lloyd E. Eastman hat diese Aktion von 1937 taxiert: In Wahrheit, so sein Fazit in "The Cambridge History of China" (der Standard-Edition zur Geschichte Chinas), habe die ganze hastige Operation wenig gebracht: Maschinen im Gewicht von lediglich 120 000 Tonnen seien transportiert worden - im Krieg eine "geringfügige" Masse, schrieb Eastman.

Gleichwohl war das eine große Leistung, die Chinas Führung denn auch propagandistisch ausschlachtete. Einmal mehr lernten die Chinesen, dass sie, wenn angefordert, für das Vaterland schnell und hart arbeiten müssen. Die näheren Umstände dieser Operation von 1937 weiß heute in China kaum ein Mensch, sie hat freilich ihren Abdruck in der allgemeinen Erinnerung hinterlassen. Die meisten Chinesen preisen ihr Riesenreich und tun, was sie als Patrioten beisteuern können.

Mit einem Körnchen Salz darf man sagen: China beeindruckt nicht zuletzt damit, dass die Führung in Peking eifrig daran arbeitet, was der britische Historiker Eric Hobsbawm "Erfindung von Tradition" genannt hat. Genau genommen, handelt es sich nicht um "Erfindung", sondern um den Rückgriff auf eine einst lebendige Tradition. Auch westliche Betrachter wie zum Beispiel Henry Kissinger sind darauf hereingefallen.

Der 96 Jahre alte Kissinger gilt gleichsam als Orakel der Geopolitik. Wenn er den Mund auftut, ergießt sich die Suada seiner Weisheit. 2011 erschien in deutscher Übersetzung sein Buch "China - Zwischen Tradition und Herausforderung". Der verstorbene SPD-Politiker Egon Bahr war nach der Lektüre damals im privaten Gespräch hellauf begeistert: Kissinger habe China erklärt, das Denken in dem Land gehe auf Konfuzius zurück. Leider war Kissingers Betrachtung so oberflächlich, dass darob jeder respektable mythologische chinesische Feuervogel ("Fenghuang") sich sofort in die eigene Asche verkrümeln möchte.

Chinas Führung unter Xi Jinping pflegt den Konfuzius-Kult. Was hat Konfuzius, der 500 Jahre vor der westlichen Zeitrechnung lebte, gelehrt? Hierarchie war für ihn ein zentraler Punkt: Die Lebenden schuldeten den Toten Loyalität, Kinder ihren Eltern, Untergebene den Vorgesetzten. Wer sich dessen bewusst war, konnte frei handeln: Das waren in Konfuzius' Vorstellung die "Edlen".

China betreibt nicht Eroberungskriege, es treibt Handel

Der Historiker Helwig Schmidt-Glintzer hat sich mit den in China eingewurzelten Glaubensrichtungen beschäftigt, mit dem Konfuzianismus, dem Daoismus, dem Buddhismus. Im Besonderen den Konfuzianismus beschreibt er als "innerweltlich". So eine Ansicht auf die Welt, meint er, möge zwar "gegenüber Providenz-Konzeptionen als mangelhaft erscheinen". Sie möge "vielleicht aber dann doch wieder Vorteile" haben. Diese Vorteile liegen auf der Hand: kuschen, gut arbeiten. In der kruden Wirklichkeit, so ist zu vermuten, haben Konfuzius und Buddha in China ebenso viel Einfluss wie die katholischen Heiligen in Europa. Die Wirtschaft profitiert von dem Arbeitsethos der Chinesen, die derzeit auf zahlreichen Baustellen in Afrika und asiatischen Ländern tätig sind: Die neue Seidenstraße, offiziell bekannt als "Belt and Road Initiative", hat mit den Lehren des Konfuzius bloß peripher zu tun, viel mehr indes mit einer geopolitischen chinesischen Tradition: Man betreibt keine Eroberungskriege, man treibt Handel. Das hat China in der frühen Neuzeit so gehalten, und nachdem es das üble 19. Jahrhundert überstanden hatte, als die Briten China den Import von Opium aufzwangen, hat es diese Tradition wieder aufgenommen. Im Zeitalter der Globalisierung und des globalen Freihandels nützt es dem chinesischen Reich, dass es seit jeher nicht auf Krieg, sondern auf Handel gesetzt hat.

China ist dabei, Häfen und Landwege auszubauen, sodass es seine Waren schneller gen Westen bringen kann. Die Länder, die passiert werden, sollen angeblich davon etwas haben, so sagen Xi Jinping und seine Regierung. Aufgewacht ist die Europäische Union, als sich herausstellte: Auf den chinesisch geführten Baustellen in Asien werden vornehmlich Chinesen beschäftigt. Von Teilhabe der Durchgangsstaaten kann kaum die Rede sein. Anzunehmen ist: Die chinesischen Arbeiter auf diesen Baustellen arbeiten schnell und hart, fürs eigene Auskommen, fürs Vaterland.

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