München:Freiham in concert

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Mosaik eines neuen Stadtteils. (Foto: Robert Haas, Stephan Rumpf, Alessandra Schellnegger, Florian Peljak)

Kann man Stadtplanung hörbar machen? Wie klingt der Soundtrack eines Quartiers, das noch nicht existiert? Horst Konietzny hat dieses Klangexperiment zusammen mit Musikern gewagt. Das Feature gibt es nun live in der Rathausgalerie

Von Jutta Czeguhn

Udo Schindler bremst einen so richtig aus mit diesem Zitat, das dem großen Soundkünstler Frank Zappa in seinen von Schnauzer und Unterlippenbart gerahmten Mund gelegt wird: "Über Musik zu schreiben, ist wie über Architektur zu tanzen." Gerade hatte man ansetzen und in unzulängliche Worte fassen wollen, wie sich Schindlers Komposition anhört im Feature "Klang von Freiham". Als Musiker und Architekt ist der Planegger doppelt ausgewiesener Experte, also bittet man ihn, seinen Beitrag selbst zu beschreiben. Im vollen Bewusstsein des Scheiterns wagt Schindler den Versuch: "Das Ensemble der Groß-Siedlung ist noch nicht harmonisiert, es gibt Reibungen, eine Unwucht, punktuelle Schwerpunkte vom bereits Realisierten mit großen freien Arealen. Der Raum-Klang muss sich (erst) finden. So wird auch ein großes Spektrum von Klangoptionen aufgefächert, die sich entwickeln, korrespondieren, aufeinanderprallen, reflektierende Interferenzen entstehen lassen, wie auch wohlige Klangwolken."

Wem dies als Werkerläuterung zu abstrakt vorkommt, hat sensuelle Möglichkeiten, das alles nachzuvollziehen: Da gibt es zum einen den Podcast mit Schindlers Musik (www.muenchen.de/rathaus/Freiham/Hoererlebnis.htmls) oder aber das Livekonzert an diesem Freitagabend, 14. Februar, in der Rathausgalerie. Dort wird der Multiinstrumentalist zusammen mit seinen Musiker-Kollegen Ardhi Engl und Dine Doneff aus dem Moment heraus agieren und gewiss auch irritieren. Auf Klarinetten, Saxofonen, Flöten, Gitarren - was auch immer. Sie werden versuchen, Klang, Architektur und die Baulandschaft Freiham zusammenzubringen. Denn laut Schindler gibt es da viele Gemeinsamkeiten. "Auch Weichheit, Härte und Haptisches lassen sich bei der Klanggestaltung kreieren. Jeder Raum, auch Stadtraum und jede Architektur, jedes Gebäude hat einen individuellen Klang. Der Raumklang ist ein nicht zu unterschätzender Faktor der sinnlichen Wahrnehmung, für die Aneignung und Akzeptanz des Raumes."

Aneignung und Akzeptanz, darum geht es wohl grundsätzlich bei diesem ungewöhnlichen Projekt, mit dem das städtische Planungsreferat sein komplexes Tun einmal anders vermitteln will als in lähmenden Stadtrats- und Bezirksausschusssitzungen, als in Bürgerversammlungen und Workshops. Nun also Podcasts - dieses Medium der Stunde -, um am aktuell größten Stadtentwicklungsprojekt in München das Ganze griffig aufzudröseln. Eigenwerbung inklusive. Stadtbaurätin Elisabeth Merk wandte sich damit an einen, der das kann. Horst Konietzny, Hörfunkautor, Regisseur, Mediendozent, Audio-Künstler bringt mit seinem interdisziplinären "Signalraum" - früher im Einstein - Klangkunst und neue Medien zusammen. Der Mann ist irrsinnig vernetzt in der Stadtkultur und in den Zirkeln der Neuen Musik. Doch wie Stadtplanung funktioniert, das räumt Konietzny ein, davon habe er bislang keine rechte Vorstellung gehabt.

In der Audioproduktion hört man ihn als Erzähler, der uns die Akteure vorstellt, Stichworte gibt, Fragen stellt. Ist so ein Langzeitprojekt wie Freiham, das einmal 25 000 Menschen Heimat werden soll, das noch im Geburtskanal steckt, nicht "Lebensplanung in großem Maßstab"? In sechs Podcasts - sechs Themenblöcken - à maximal 20 Minuten Länge kommen Vertreter der Stadt- und Landschaftsplanung, Aubinger Lokalpolitiker, Anwohner zu Wort. Und die Musiker, die Horst Konietzny für das Projekt gewonnen hat. Neben Schindler und Ardhi Engl auch Beißpony, Minas Borboudakis, Christoph Reiserer und Jodelfisch. Ihre Kompositionen und Klanginterventionen sind Echokammern zu den O-Tönen der Akteure, sie illustrieren, bespötteln, dekonstruieren. Einmal vergleicht Elisabeth Merk Stadtentwicklung mit Musik, es stelle sich immer die Frage, "wie viel Free Jazz ist da drin und wie viel Klassik brauchen wir". Im Hintergrund, die Fenster ihres Büros waren wohl geöffnet, hört man das mächtige Glockengewitter einer Münchner Kirche, das sich großartig mischt mit glucksenden, knarzenden Tönen, die Udo Schindler seinem Saxofon abringt.

Sehen Bebauungspläne nicht wie Schnittmuster aus? Stephanie Müller vom Klangforschungsduo Beißpony müsste das wissen als Textildesignerin, die hin und wieder auch auf ihrer Nähmaschine musiziert. Sie und ihre Bandkollegin Laura Theis, Ikonen der Münchner Underground-Szene, geben in einer anderen Podcast-Folge den musikalischen Ton an mit dem Song "Homemade Hell". Wohnen als Albtraum, als hausgemachte Hölle? Muss nicht sein. Stephanie Müller hat die Vision eines Ortes, "der nicht ganz so schön ist, aber wo jemand spontan Musik macht. Wo du zufällig immer etwas anderes entdeckst. Wo nicht alles so vorhersehbar ist. Oder so vorgeschrieben. Oder so vorgezeichnet. Oder so gesetzt. So stelle ich mir eigentlich eine Stadt vor. Ein Labyrinth, wo ich mich gerne verlaufe."

Die einen wollen sich verlieren, andere sehnen sich nach Freiräumen, Öffnungen, wie Christoph Reiserer, der die turbulente Clip-Folge "Bürgerbeteiligung" umspielt, in der der Ehrgeiz der Stadt, die Bevölkerung im nahen Aubing via Dialog-Verfahren "mitzunehmen", Szenen à la Gerhard Polt hervorbringt. Aubingerin zu Stadtplaner: "Wenn'S wissen wollen, wia des im Endeffekt dann ausschaut, dann genga'S hinter nach Aubing Mitte, S-Bahnhaltepunkt S 4, da is etwas im Entstehen." Stadtplaner: "Ja, da sind wir ausgestiegen, vorhin." Aubingerin: "Und wie gfallt'S Ihna, der Riegel an der Bahn? Umwerfend, gell. Das is a richtige Begrüßung. Da schaut einer dem andern in d'n Suppentopf nei ..."

Zum akustischen Panorama des Freiham-Features gehört auch eine Stimme, der zuzuhören, sich immer lohnt. Alt-OB Hans-Jochen Vogel, 94, sagt etwas, das nachhallen sollte bei allen, die urbanen Raum in Verantwortung planen und die ihr Leben dort verbringen: "Grund und Boden ist nicht ein beliebiges Produkt, das man je nach Bedarf produzieren kann. Grund und Boden ist eben, so wie Luft und wie Wasser, eine Voraussetzung für das menschliche Leben. Ohne Grund und Boden kann man nicht leben. Und deswegen muss hier dasselbe gelten wie für das Wasser."

Als Gesprächskonzert muss man sich vorstellen, was an diesem Freitagabend in der Rathausgalerie am Marienplatz 8 passiert (Beginn 19 Uhr, Eintritt frei). Musikern und Akteuren aus dem Feature wird man live begegnen, wohl auch der wortgewaltigen Aubingerin, die den Stadtplanern so herrlich über den Mund fährt, weil sie um ihr "gemütliches München" und die Lerchen auf dem Feld fürchtet, das Freiham bislang war. Wem das Feature etwas zu wortlastig vorkommt, wer den Klang dieses neuen Teils der Stadt noch nicht im Ohr hat, sollte dranbleiben. Horst Konietzny will den Städtebau-Prozess weiter mit seinem Mikro begleiten. Die nächste Staffel vom "Klang in Freiham" ist in Planung.

© SZ vom 14.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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