Erding:"Das Internet macht's möglich"

In der katholischen Pfarrkirche St. Vinzenz im Erdinger Stadtteil Klettham wird am Wochenende die restaurierte Staller-Orgel eingeweiht. Damit kann der Kirchenraum wieder mit zwei Orgeln beschallt werden

Von Sara Maria Behbehani, Erding

"Anton Staller war U-Bootfahrer und so hat er diese Orgel auch gebaut", sagt Pfarrer Jan-Christoph Vogler und deutet auf die Orgel über dem Eingang der katholischen Pfarrkirche St. Vinzenz im Erdinger Stadtteil Klettham. Ein Jahr lang wurde die in die Jahre gekommene Orgel restauriert, am Sonntag, 16. Februar, um 11 Uhr wird sie eingeweiht.

Tatsächlich ist die Geschichte von Anton Staller eine bewegte. Als junger Soldat erlebte er als Marinesoldat den Zweiten Weltkrieg auf See - in dem U-Boot U 188. Für Staller begann eine Zeit, die von Todesangst gezeichnet war. Schließlich wurden im Zweiten Weltkrieg rund 780 deutsche U-Boote versenkt. Knapp 27 000 Besatzungsmitglieder starben. Nicht viele berichteten später von ihrer Zeit auf See, doch Anton Staller brach das Schweigen. "Diese grausamen Nächte werde ich nie vergessen", erzählte er dem Autor Klaus Willmann. Dieser fasste Stallers Erinnerungen an die bedrückende Enge, die ständige Bedrohung und das Gefühl, in einen aussichtslosen Kampf gehetzt worden zu sein 2008 in den eindrücklichen Zeitzeugenbericht "Das Boot U 188" zusammen. Im selben Jahr ist Staller gestorben.

Bis dahin aber hat sich Staller etwas ganz anderem gewidmet als dem Krieg: In den 1950er Jahren machte er sich als Orgelbauer in Grafing selbständig. 1966 ist St. Vinzenz eingeweiht worden. Seitdem ist auch die Staller-Orgel da.

Wenn Pfarrer Vogler jetzt sagt, Staller habe seine Orgel einem U-Boot entsprechend gebaut, so meint er damit die Dichte an Registern, die Fülle an Pfeifen, die Staller in den Betonkasten über dem Kircheneingang gepresst hat. Eine Kompaktheit, die eine Sanierung schwer gemacht hat. "Ein Orgelbauer, den wir angefragt haben, hat gleich abgewunken, weil es da drin so eng war", erzählt Vogler. "Der wollte sich seinen Rücken nicht kaputt machen." Und noch aus einem anderen Grund kam eine Rundumsanierung schnell nicht mehr in Frage: "Preislich wären wir bei einer halben Million Euro gelandet. Das hätten wir nicht finanzieren können", stellt Vogler klar. Auch ein kompletter Neubau wäre zu kostspielig gewesen.

Erding: Restauriert und abgespeckt beginnt die Staller-Orgel in der Pfarrkirche St. Vinzenz im Erdinger Stadtteil Klettham am Wochenende wieder zu klingen. Sie ist nach ihrer technischen Überarbeitung und Optimierung nun Teil einer Orgelanlage mit insgesamt 33 Registern und etwa 2200 Pfeifen.

Restauriert und abgespeckt beginnt die Staller-Orgel in der Pfarrkirche St. Vinzenz im Erdinger Stadtteil Klettham am Wochenende wieder zu klingen. Sie ist nach ihrer technischen Überarbeitung und Optimierung nun Teil einer Orgelanlage mit insgesamt 33 Registern und etwa 2200 Pfeifen.

(Foto: Renate Schmidt)

Doch so wie es war, konnte es nicht bleiben, darin waren sich alle einig. Zwei Gutachten machten deutlich, dass die Mängel des alten Werks, vor allem bei der technischen Übertragung der Tastenbefehle auf das Instrument, zunehmend in Erscheinung treten würden.

Also haben Pfarrer Vogler und Robert Grüner, Kirchenmusiker in St. Vinzenz, nach einer praktikableren Lösung gesucht - und eine gefunden: Die Staller-Orgel wurde abgespeckt und hat einige ihrer Register verloren, sie wurde überarbeitet und optimiert und elektronisch mit einer weiteren Orgel zusammen geschlossen: der Rieger-Orgel. Diese steht seit Januar 2019 in der Erdinger Kirche. Allerdings am der Staller-Orgel gegenüberliegenden Ende des Kirchenschiffs.

Wenn Grüner jetzt also auf den beiden Orgeln spielt, dann strahlt eine Art Stereo-Sound durch das Kirchenschiff. Der Klang von vorne und hinten erfüllt den Raum, trifft in der Mitte der Kirche aufeinander und steigt auf.

Dass der Klang in St. Vinzenz von zwei verschiedenen, einander gegenüberstehenden Orgeln kommt, die von vorne, von einem gemeinsamen Tisch aus bespielt werden, ist nicht neu. Bis die Rieger-Orgel erworben wurde, stand dort eine kleinere Chororgel. "Der Spieltisch für die Staller- Orgel stand auch immer schon vorne beim Altar", erzählt Vogler. "Der Ton wurde elektrisch bis nach hinten übertragen." Das Problem sei aber gewesen, dass sich der Organist mit dem Chor stets in der Front der Kirche befand, während der Ton von hinten kam. "Wenn man die Taste drückt, dann hört man noch nicht gleich den Ton", erklärt Vogler. "Und wenn es nur eine halbe Sekunde ist, bis der Ton von hinten vorne ankommt, der Chor hatte dann dennoch den falschen Einsatz."

Erding: Pfarrer Jan-Christoph Vogler freut sich über die Orgel.

Pfarrer Jan-Christoph Vogler freut sich über die Orgel.

(Foto: Renate Schmidt)

Aus diesem Grund hat die Pfarrei 1978 eine Chororgel angeschafft, die ebenfalls mit der Staller-Orgel gekoppelt wurde. Mit der Ankunft der Rieger-Orgel aber hat sie nun ausgedient, ein Käufer aus Italien steht auch schon bereit.

"Die Rieger-Orgel war im Internet im Angebot", erzählt Vogler und es überrascht ihn keineswegs, dass in seiner Kirche nun eine Orgel steht, die er über das Internet erworben hat, schließlich kann man in den Weiten des Netzes heutzutage wohl so ziemlich alles ersteigern. Warum dann nicht auch Kirchenorgeln? "Klar geht das. www.gebrauchtorgeln.de", sagt der Pfarrer, ohne eine Miene zu verziehen.

1973 ist die Rieger-Orgel in Bern eingeweiht worden. Weil das Gemeindehaus aber verkauft werden musste, war die Orgel im März 2018 günstig abzugeben. "Das Internet macht's möglich", sagt Grüner.

Statt einer halben Million haben nun der Kauf der neuen Orgel, die Restaurierung der alten Orgel und ihr Zusammenschluss 200 000 Euro gekostet. "Wir sind die großen Recycler", sagt Grüner als er vom Orgelspieltisch aufsieht. "Geradezu nachhaltig. Was Neues hinzustellen, wäre von den Kosten her undenkbar gewesen. Aber das hier, das geht."

Erding: Kirchenmusiker Robert Grüner bespielt die Orgelanlage von einem gemeinsamen Spieltisch aus, der bei der zweiten Orgel, der Rieger-Orgel, steht.

Kirchenmusiker Robert Grüner bespielt die Orgelanlage von einem gemeinsamen Spieltisch aus, der bei der zweiten Orgel, der Rieger-Orgel, steht.

(Foto: Renate Schmidt)

Seit der Einweihung der Rieger-Orgel ist die Staller-Orgel stillgelegt gewesen. "Seitdem hat sie nicht geklungen", sagt Grüner und drückt gleich ein paar der Tasten. Ja, jetzt klingen die Pfeifen der Staller-Orgel wieder. "Es ist schön, diese zwei Orgeln zu haben, jetzt auch in dieser hohen Qualität", sagt Vogler. "Da kann man musikalisch viel machen." Anspruchsvoll zu spielen ist sie durch den Klang aus zwei verschiedenen Richtungen noch immer, aber daran ist Grüner gewöhnt. Vor sich haben der Pfarrer und der Kirchenmusiker nun eine Orgelanlage mit insgesamt 33 Registern und etwa 2200 Pfeifen. Und es ist Robert Grüners Musik, die erklingt, wenn die Orgel am Sonntag eingeweiht wird, denn er hat die Missa modalis für zwei Chöre und zwei Orgeln geschrieben, die dann zu hören ist. Allerdings wird nicht Grüner selbst die neue Orgel einweihen. Das wird der Orgelsachverständige der Erzdiözese München-Freising, Wolfang Kiechle, tun. Grüner dagegen wird den Singkreis St. Vinzenz und den Organisten dirigieren.

Um 12 Uhr findet dann am Sonntag noch eine halbstündige Orgelmatinee statt. Und wer von so viel musikalischen Genuss Hunger bekommen hat, ist auch noch beim Weißwurstessen im Pfarrsaal willkommen.

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