TV-Runde bei "Anne Will":Söders Plädoyer gegen Merz

Anne Will: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als Gast

Bei Anne Will: CSU-Chef Markus Söder.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Überraschend deutlich sät der CSU-Vorsitzende Zweifel an der Eignung von Friedrich Merz für den Chefposten der CDU. Auch bei der Kanzlerkandidatur der Union will Söder mitreden.

Nachtkritik von Thomas Hummel

Markus Söder sagt ehrlich, dass er auf diesen Moment gewartet hat. Der Ministerpräsident aus Bayern bereitet sich auf Fernsehauftritte in der Regel gut vor und es war wirklich nicht schwer, diese Frage zu erahnen. Als Vorsitzender der CSU nimmt Söder quasi als Stargast an der derzeitigen Abriss-Party der Schwesterpartei CDU teil. Und nun fragt Moderatorin Anne Will, wer diese CDU künftig mit sich selbst versöhnen könne von den drei heiß gehandelten Chef-Kandidaten Jens Spahn, Armin Laschet und Friedrich Merz. "Was für eine überraschende Frage", charmiert Söder mit Ironie in Richtung Will, die sich auf das Spielchen einlässt: "Da habe ich lange darüber nachgedacht."

Söder macht das gerne: eine wichtige Stellungnahme mit einem lockeren Spruch einleiten. Was danach kommt, ist äußerst klar und lässt kaum mehr Raum für Spekulationen. Es ist ein Plädoyer gegen Friedrich Merz.

Neben der Abgrenzung gegen die Rechten von der AfD fordert Söder ein Politikprogramm von der CDU. Dabei reiche es nicht zu sagen: "Wir machen es jetzt einfach mal so wie vor 20 Jahren." Eine deutliche Anspielung auf Merz, dessen einzig hohes politisches Amt bislang der Fraktionsvorsitz der Union im Bundestag zwischen 2000 und 2002 war. Stattdessen sei ein progressiver Ansatz für die Herausforderungen dieser Zeit nötig, sagt Söder. Anne Will fragt hier bereits dazwischen: "Also wird es Herr Merz nicht." Ohne darauf einzugehen, fährt Söder fort. Wie gesagt, er ist in der Regel gut vorbereitet in einer Talkshow.

Söder: CDU-Vorsitzender nicht automatisch Kanzlerkandidat

"Ich glaube, dass ein Bruch mit der Bundeskanzlerin nicht das Richtige ist. Wir haben schon eine große, eine starke Kanzlerin", sagt er. Wohlwissend, dass Merz von Angela Merkel vor Jahren aus der Führungsebene der CDU gedrängt wurde, die beiden alles andere als beste Freunde sind. Anne Will fasst nach: "Dann haben Sie sich jetzt klar gegen Herrn Merz ausgesprochen."

Söder fährt fort mit der Feststellung, dass der Parteivorsitzende der CDU keineswegs, wie hier und da suggeriert, automatisch Kanzlerkandidat der Union sei. Sondern dass er, Söder, und seine CSU da ein Wort mitreden werden. Man müsse die Kandidaten fragen, "ob sie bereit sind, Parteivorsitzender zu machen, selbst wenn sie nicht Kanzler werden. Vielleicht lichtet das schon das Kandidatenfeld", sagt Söder listig. Erstens macht Merz den Eindruck, dass er diesmal die volle Machtfülle anstrebt. Zweitens erinnert Söder die CDU daran, dass es tatsächlich nur zusammen mit der CSU geht und er seinen Einfluss auf die Berliner Politik beansprucht.

Die Analyse Söders hält noch eine weitere Pointe vor. Der nächste Kanzlerkandidat der Union müsse kompatibel sein für neue Bündnisse. Da die SPD wohl keine Lust mehr auf eine neue große Koalition habe (deren Vorsitzende Saskia Esken kommentiert das gegenüber mit unverständlichem Gemurmel), werde die nächste Regierung neu zu bilden sein. Die neben ihm sitzende Annalena Baerbock von den Grünen darf sich angesprochen fühlen, auch wenn Söder sie nicht anspricht. Doch der erzkonservative Merz und die Grünen? Noch so ein Seitenhieb.

Dass der CSU-Chef so offen agiert am Sonntagabend im Fernsehen vor einem Millionenpublikum ist dann doch überraschend. Auch wenn die Skepsis gegenüber Merz schon hier und da durchgedrungen ist in den vergangenen Tagen. Dabei scheint Merz für viele Bürger und CDU-Mitglieder ein Hoffnungsträger zu sein, auch was das Motto der Anne-Will-Sendung betrifft: "Politik im Krisenmodus - wer hält das Land noch zusammen?" Die Redaktion blendet Umfrageergebnisse ein, in denen Merz in der Beliebtheitsskala gegenüber seinen Partei-Mitbewerbern vorne liegt. Auch vor Söder.

Di Lorenzo attestiert Merz fehlendes "prozessuales Geschick"

Der einzige Nicht-Politiker in der Runde, Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, wirkt ob dieser Klarheit Söders überrumpelt. Auch er äußert danach Zweifel daran, ob Friedrich Merz der Richtige für die Union ist. Sein jahrelanges Wirken beim mächtigen Vermögensverwalter Blackrock sei ein Risiko, außerdem zeige er "kein prozessuales Geschick". Di Lorenzo will wohl sagen, dass Merz hier und da das Falsche zum falschen Zeitpunkt mache. Und deshalb bisweilen Wahlen zum Parteivorsitz wie die gegen Annegret Kramp-Karrenbauer 2018 knapp verliert. Dann spricht Di Lorenzo von Klaus Spahn und Helmut Laschet, so dass auch Markus Söder um seinen Vornamen bangt.

Man kann sich verlieren in diesem riesigen Thema, das Anne Will hier besprechen will. CDU-Vorsitz, Thüringen-Wahl, AfD, Krise der Volksparteien, Zusammenhalt der Gesellschaft - größer geht's kaum. In Erinnerung bleibt von diesem Abend die eindringliche Warnung von Gerhart Baum, 87 Jahre alt, seit 66 Jahren Mitglied der FDP und Zeitzeuge der Bombennacht von Dresden im Februar 1945. "In meiner Lebenszeit ist der Rechtsextremismus noch nie so stark und einflussreich gewesen als jetzt", sagt er. Baum meint seine Lebenszeit nach dem Krieg.

Die AfD sitze jetzt in allen Parlamenten und so erinnere er sich an eine Aussage des Nazi-Propagandaleiters Joseph Goebbels. Der habe 1928, als die NSDAP mit 2,6 Prozent ins Parlament einzog, gesagt: "Jetzt gehen wir in den Reichstag und holen uns dort aus dem Arsenal die Waffen der Demokratie, mit denen wir die Demokratie bekämpfen." Er bitte, das nicht zu leicht zu nehmen. Auch heute sehe er im Bürgertum wieder Leute, "die mit Sympathie oder Gleichgültigkeit diese Angriffe auf die Demokratie sehen."

Baerbock präsentiert sich als Staatsfrau

Baum hat auch eine Idee, was nun nach der Unglücks-Wahl in Thüringen geschehen soll: "Es muss dieser Ramelow gewählt werden." Jener Bodo Ramelow hat mit der Linkspartei die meisten Stimmen errungen, ist populär im Land, verfügt aber mit SPD und Grünen über keine parlamentarische Mehrheit mehr. Deshalb versucht er gerade, die örtliche CDU dazu zu bewegen, mit ihm kurzfristig gemeinsame Politik zu machen, um 2021 Neuwahlen anzusetzen. Was Söder davon hält?

"Wenn CDU mit der Linkspartei zusammenarbeitet, dann gibt's kaum mehr ein Halten nach ganz Rechts. Dann sagen die Leute: 'Ihr arbeitet jetzt mit Vertretern einer Partei zusammen, die für diese Dinge wie Mauer und Stacheldraht steht.'" Der Vergleich der Linkspartei im Jahr 2020 mit der SED vor 1989 geht Gerhart Baum zu weit, er bringt aber nur einen Seufzer hervor: "Aber Herr Söder!"

Weil sich die anderen auf Parteipolitik und Thüringen fokussieren, nutzt Annalena Baerbock den Abend, um einen Hauch Staatsfrau zu versprühen. Sie wehrt sich gegen den Begriff "Systemkrise", weil diese Wortwahl von Rechts käme. Sie gibt Kramp-Karrenbauer Nachhilfe, was man als Parteivorsitzende machen müsse, um den Laden zusammenzuhalten (Kommunikation und Haltung).

Und sie war am Wochenende bei der Sicherheitskonferenz in München und bringt den Appell mit, dass Deutschland in diesen unruhigen Zeiten nicht wegen eines Führungsstreits in der CDU ausfallen dürfe. Gerade, weil das Land im Juli die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr übernimmt. Neuwahlen im Herbst? Wie in so einigen Dingen ist Baerbock hier der gleichen Meinung wie Markus Söder: "Ich rate dringend davon ab!"

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