Snowboard:Ein paar Lebensträume

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Vierte im Slopestyle bei den Laax Open, vor drei Wochen Silber bei den Youth Olympic Games: Annika Morgan.

Von Thomas Becker

Eddie the eagle ist hier weltberühmt geworden, der legendäre Jamaika-Bob ("Cool Runnings") steht unten im Museum, und der Hackl Schorsch gewann hier bei seinen ersten Olympischen Spielen ausnahmsweise nur Silber. Die Rede ist vom Canada Olympic Park, Hauptstandort der Winterspiele 1988 in Calgary. Kaum zu glauben, dass an diesem gerade mal 120 Meter hohen Hügel vor den Toren der Stadt Sportgeschichte geschrieben wurde. Der Trans-Canada-Highway rauscht in hundert Meter Entfernung vorbei und spuckt eine SUV-Ski-Mum nach der anderen aus, die den Nachwuchs zum Abendessen abholt. Damals war Freestyle-Skiing Demo-Wettbewerb, heute nennen sie das Snow Rodeo, sind die Ski- und Snowboardprofis mit ihrem Weltcup-Stopp Stammgäste. Mittendrin im Konzert der Besten: eine junge Mittenwalderin, am Mittwoch gerade 18 geworden. Ihr großes Ziel: ebenfalls Olympia, allerdings auf der anderen Seite der Erdkugel, in Peking. Aber das hat noch Zeit. Sie sagt: "Olympia ist schon ein Ziel. Ich würde mich freuen, da mitfahren zu können. Aber ich will mich nicht so pushen lassen. Ich mag das nicht. Ich mag einfach nur Spaß haben." Willkommen in der Easy-going-Welt von Annika Morgan, Deutschlands bester Slopestyle- und Big-Air-Snowboarderin.

Snowboard-Freestyle geht so: sich über irre Schanzen katapultieren und dabei ein paar Salti samt Drehungen in die Luft zaubern. Wer so was überlebt, darf sich mit Fug und Recht als Könner bezeichnen, aber das ist nun mal gar nicht die Art der grundbescheidenen Annika Morgan. Auch würde man der zierlichen Person kaum eine solche Harakiri-Sportart zutrauen, zumal beim Snowboarden Männer und Frauen denselben Kurs und dieselben Kicker fahren. Kein Problem für die junge Frau, meint Friedl May, ihr Trainer: "Natürlich darf man vor den großen Kickern keine Angst haben. Hier in Calgary sind die Kicker für Annika eher niedrig. Sie hat gemeint, sie hätte wieder mal Lust auf große Kicker", sagt er und lacht.

Wenn er seinen Schützling beschreiben soll, gerät er ins Schwärmen: "Annika hat die vergangenen Jahre ein unglaubliches Commitment und Leidenschaft gezeigt. Sie hat es sich selbst erarbeitet, so viel Zeit wie möglich beim Training zu verbringen. Dadurch hat sie eine sehr gute Basis und ein gutes Boardgefühl. Trotz ihres jungen Alters ist sie fixer Teil der Freestyle-Szene." Und weder abgehoben noch übermotiviert: "Um neue Tricks zu lernen, braucht man neben technischen Fähigkeiten auch ein gutes Zeitgefühl: Wann bin ich soweit, um einen neuen Trick zu stehen? Annika überschätzt sich selten. Sie hat ein sehr gutes Gespür, was ihr eigenes Timing angeht." Mutige Sprünge sind das Eine, im Slopestyle sind aber auch Railtricks gefragt: "Bei den US Open im letzten Jahr hatte Annika mit Abstand das beste Rail-Game", sagt May, "auch in Laax war sie ganz vorne mit dabei. Das zeichnet sie extrem aus. Auch wenn nicht alles hundertprozentig klappt, ist sie da immer noch vorn mit dabei." Für Calgary habe sie sich "eine sehr anspruchsvolle Rail-Session vorgenommen und ein solides Tricklevel auf den Jumps. Wenn sie sauber durchkommt, steht dem Finale nichts im Weg."

Das geht am Sonntag im Canada Olympic Park über die Bühne, und so wie Morgan in diesem Winter bislang unterwegs ist, sollte das mit dem Finale wohl klappen. Siebte, Neunte und Zwölfte im Big Air, Vierte im Slopestyle bei den Laax Open, dazu vor drei Wochen eine Silbermedaille bei den Youth Olympic Games (YOG) in Lausanne und erneut eine Einladung zu den "Audi Nines", einer Art Klassentreffen der weltbesten Freeskier und -snowboarder im Ötztal: "Ich bin super zufrieden mit dieser Saison", sagt sie, "ich hätte nicht gedacht, dass ich so weit vorne mitfahren kann - und dass ich in Laax ins Finale komme. Noch besser wäre es natürlich gewesen, wenn ich im Finale nicht hingefallen wäre." Eine Schienbeinprellung war die Folge, die ihr den Start bei den X Games in Aspen verdarb, dem Hochamt für jeden Extremsportler. Halb so schlimm, findet sie: "Diese Saison ist Wahnsinn." Es seien "ein paar Lebensträume" in Erfüllung gegangen: "Ich war bei den X Games eingeladen, habe einen Energy Sponsor und kann mit den besten Snowboardern Contest fahren. Ich glaube, nach der Saison brauche ich erst mal ein paar Wochen, dass ich das alles realisiere. Vor drei Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich so weit kommen kann."

Ihre Eltern schienen dagegen schon etwas geahnt zu haben. Annikas elf Jahre jüngeren Bruder Ethan hatten sie mit zehn aufs Brett gestellt - heraus kam einer der besten und kreativsten Boarder mit deutschem Pass. "Der ist ziemlich gut geworden", meint die Schwester, "da haben sich meine Eltern gedacht: Probieren wir es mit der Annika auch mal." Die ist auch ziemlich gut geworden - was die Eltern nicht immer beruhigend finden. "Meine Mama kann manchmal nicht glauben, was für Kicker ich mich da runterschmeiße", erzählt die 18-Jährige.

Am Sportgymnasium in Berchtesgaden baut sie ihr Abitur in Etappen: "Wir sind ständig unterwegs. Am Internat sind zwar viele im Winter oft weg, aber ich bin schon ein Extremfall. Deshalb versuche ich den Stoff unterwegs nachzuholen, dass ich die Klasse abschließen und nächstes Jahr Abitur schreiben kann." Das wäre im Sommer 2021, sozusagen kurz vor Olympia.

Die Wettkämpfe bei den Ringe-Veranstaltungen scheinen ihr zu liegen: dieses Jahr Silber, im Vorjahr beim European Youth Olympic Festival in Sarajewo Gold, an ihrem Geburtstag. "Es war mega nice, alle wieder zu sehen", erzählt sie von Lausanne, "die Erfahrung war heftig. Man wurde behandelt wie eine Prinzessin. Die YOGs waren in der ganzen Stadt präsent, überall hingen Poster. Da fühlt man sich mega geehrt, ein Teil davon zu sein. Ich würde sofort wieder hinfahren." Nur eine Bedingung stellt sie: "Mir ist es wichtig, dass ich so viel Spaß wie möglich habe. Mein Motto: Ohne Spaß geht nichts." Das kann ja noch lustig werden mit dieser Annika Morgan.

© SZ vom 15.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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