Nach Missbrauchsfällen:US-Pfadfinder melden Insolvenz an

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Das Hauptquartier der Boy Scouts in Irving, Texas. (Foto: REUTERS)
  • Bei den amerikanischen Pfadfindern gibt es einen Skandal um sexuellen Missbrauch, der offenbar Tausende ehemalige Mitglieder betrifft.
  • Die Dachorganisation meldet nun Insolvenz an, um liquide zu sein für Entschädigungszahlungen an die Opfer.
  • Knapp 2000 Menschen haben sich als Betroffene gemeldet.

Von Christian Zaschke, New York

Der Dachverband der Boy Scouts of America, der amerikanischen Pfadfinder, hat Konkurs angemeldet. Das liegt nicht daran, dass der Organisation das Geld ausgegangen wäre, sondern daran, dass Tausende ehemalige Mitglieder angeben, in ihrer Zeit bei den Pfadfindern sexuell belästigt worden zu sein. Durch die Konkursanmeldung und das folgende Insolvenzverfahren solle sichergestellt werden, dass die Betroffenen angemessen entschädigt werden könnten, teilte der Verband mit. Ob es die Pfadfinder in den USA anschließend noch in der bisherigen Form geben wird, ist fraglich.

Im Hauptquartier der Organisation in Texas lagern Akten, in denen fast 8000 Übergriffe dokumentiert sind. Opferanwälte gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl höher liegt. Die Selbsthilfegruppe "Abused in Scouting" hat seit dem vergangenen Jahr Betroffene dazu aufgerufen, sich zu melden. Bisher sind fast 2000 Menschen diesem Aufruf gefolgt, sie sind zwischen acht und 93 Jahre alt.

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Durch das Insolvenzverfahren werden alle aktuell laufenden Gerichtsverfahren gestoppt. Es wird eine Frist gesetzt, innerhalb derer sich Betroffene melden können. Diese liegt für gewöhnlich zwischen 90 Tagen und neun Monaten; in diesem Fall plädieren die Anwälte von Opfern dafür, die Frist auf ein Jahr zu verlängern. Jim Turley, Chef der Boy Scouts of America, schrieb in einem offenen Brief, dass man Konkurs angemeldet habe, um einen Fonds einzurichten, aus dem die Opfer entschädigt werden könnten. "Ich will, dass Sie wissen, dass wir Ihnen glauben", schrieb Turley, "und wir glauben daran, Sie zu entschädigen."

Die Boy Scouts sind ebenso Teil der amerikanischen Folklore wie Teil des amerikanischen Lebens. Seit Gründung der Organisation im Jahr 1910 durch den Philanthropen William Boyce haben rund 110 Millionen Amerikaner an den Programmen der Pfadfinder teilgenommen. Sie haben gelernt, in der Natur zu leben, sie haben Teamwork gelernt, und sie haben, wie die Organisation gern von sich selbst sagte, an ihrem Charakter gearbeitet und an ihrer körperlichen und geistigen Fitness. Nach und nach kommt nun eine deutlich dunklere Seite der amerikanischen Pfadfinder ans Licht.

In der New York Times berichtet ein heute 39 Jahre alter Mann, wie er als Kind von einem Gruppenführer unter dem Vorwand einer medizinischen Untersuchung am Genital berührt wurde. Er sagt: "Die Pfadfinder geben Pädophilen Zugang zu Jungen. Das muss aufhören." Entweder müsse man die Boy Scouts ganz abschaffen oder eine neue Form der Kontrolle einführen. Der Dachverband teilt mit, man habe in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht bereits viel getan. Zum Beispiel sei es untersagt, dass ein Erwachsener und ein Kind allein miteinander sind.

Nach eigenen Angaben haben die amerikanischen Pfadfinder rund 2,2 Millionen Mitglieder. In den Siebzigerjahren waren es gut doppelt so viele. Um dem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, hatte sich die Organisation im Laufe der vergangenen Jahre modernisiert. Seit 2013 werden auch Schwule aufgenommen, seit 2017 dürfen Mädchen beitreten. Das anstehende Insolvenzverfahren dürfte eher nicht dazu beitragen, dass die Mitgliederzahl wieder steigt.

© SZ vom 19.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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