Ringen:Ausgezeichnetes Abkochen

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Bronze-Moment: Der Weißrusse Stanislaw Schafarenka versuchte noch einmal alles - aber da wusste Hannes Wagner schon, dass es für eine Medaille reichen würde bei der Europameisterschaft in Rom. (Foto: Kadir Caliskan / imago)

Nach EM-Bronze würde Hannes Wagner bei Olympia starten. Doch in seiner Klasse ist jemand anders gesetzt.

Von David Luding

Dieses Abkochen am Abend ist immer eine intensive Prozedur. Hannes Wagner ist 1,82 Meter groß, er hat ein Normalgewicht von 87 Kilogramm. Aber auch für diesen Wettkampf musste Wagner deutlich an Gewicht verlieren, am Abend vorher noch einmal ganze 1,5 Kilo. Also ging er in die Sauna, um ordentlich zu schwitzen. Am nächsten Morgen, um 9 Uhr beim Termin zum offiziellen Wiegen, zeigte die Waage: 81,8 Kilogramm. Es war der Auftakt seines bisher größten sportlichen Erfolges.

Wagner, 24, ist Ringer im griechisch-römischen Stil. Seit vergangenem Jahr ringt er bei internationalen Wettkämpfen im Seniorenbereich. Für seinen Heimatverein AC Lichtenfels gewann er in der abgelaufenen Bundesligasaison neun seiner elf Kämpfe - und für die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Rom Mitte Februar Bronze.

Er hätte sich das Leben dort leichter machen können und nicht abends zum Abkochen, wie es im Ringen heißt, in die Sauna gemusst. Bei der EM wurde ja auch in der Klasse bis 87 Kilogramm gerungen, doch Wagner kochte lieber ab. Gegen etwas leichtere Gegner rechnete sich der Oberfranke bessere Chancen aus, sein fest anvisiertes Ziel nach Gold bei der Junioren-Europameisterschaft 2015 war schließlich auch bei den Senioren der Gewinn einer Medaille. Also trat Wagner in der Klasse bis 82 Kilogramm an.

Im Achtelfinale triumphierte Wagner über den Kroaten Filip Sacic vorzeitig. Ungefährdet war sein Sieg gegen den Ukrainer Andrii Antoniuk im Viertelfinale. Und auch im Halbfinale hatte Wagner eine Chance, den Einzug ins Finale verpasste er aber gegen den Bulgaren Daniel Aleksandrow. "Nachdem ich am Anfang in Rückstand geraten bin, habe ich einen kleinen taktischen Fehler gemacht und wollte zu überhastet punkten", sagt Wagner ein paar Tage später am Telefon. Mit mehr Geduld hätte er nach der Pause womöglich noch rankommen können, er unterlag aber 3:7.

Trotz dieser Niederlage stand für Wagner fest: Am nächsten Tag wird nochmals gerungen, im kleinen Finale. Sein großes Ziel war immer noch möglich. Das bedeutete aber auch, dass er am nächsten Morgen nochmals auf die Waage musste. "Am Abend nach dem Halbfinale habe ich circa 83 Kilogramm gewogen", sagt Wagner. Ein langer Tag mit drei anstrengenden Kämpfen war geschafft - doch statt sich am Abend mit einer großen Essensportion belohnen zu können, ging es für den Ringer wieder in die Sauna. Nach dem Wiegen dann die gleiche Prozedur wie sonst auch: Trinken und die Speicher auffüllen vor dem letzten Kampf.

Bei der EM 2019 in Bukarest hatte Wagner bereits einmal um Bronze gerungen, unterlag jedoch knapp. "Das hat mich den Tag über beschäftigt. Es hängt von sechs Minuten ab, ob du dein Ziel erreichst oder leer ausgehst", sagt Wagner. In Rom dann aber besiegte er den Weißrussen Stanislaw Schafarenka - und sicherte sich die Bronzemedaille: "Das ist bisher der größte Erfolg meiner Karriere. Es war mein Ringertraum, bei den Männern eine Medaille zu gewinnen." Für das Nationalteam war es die medaillenreichste EM seit 24 Jahren. 1996 holten die deutschen Sportler neun Medaillen, in Rom waren es nun sieben. Frank Stäbler gewann Gold, Jello Krahmer wie Wagner und der Freistil-Ringer Horst Lehr Bronze. Maria Selmaier holte bei ihrem letzten EM-Einsatz Silber, Annika Wendle sowie Aline Rotter-Focken Bronze.

Auch wenn die Europameisterschaft in einigen Gewichtsklassen im Schatten von vorolympischen Qualifikationsturnieren stand, schätzt Bundestrainer Michael Carl den Erfolg von Wagner hoch ein: "Hannes hat in jedem Kampf stark gerungen. Da er in einer nicht-olympischen Gewichtsklasse teilgenommen hat, waren die Spitzenathleten mit von der Partie." Für die Zukunft formulieren Trainer und Athlet ähnliche Ziele. Carl wünscht sich, dass Wagner auch bei kommenden Großereignissen wieder um Medaillen mitkämpft. Der Ringer selbst ist dabei etwas präziser: "Es wäre toll, auch mal bei einer Weltmeisterschaft eine Medaille zu gewinnen." Die nächste Gelegenheit dazu hat er 2021 in Oslo.

Dass Wagner so ehrgeizige Ziele formulieren kann, liegt auch an seinem Beruf. Er ist Sportpolizist, dadurch kann er sieben bis zehn Mal in der Woche trainieren. "Das ist nur durch die Förderung der Polizei möglich. Für mich sind das optimale Bedingungen", sagt er. Von seiner Arbeit als Beamter ist Wagner zehn Monate im Jahr freigestellt und kann so Leistungssport auf internationalem Topniveau ausüben. Im März tritt er seinen Dienst bei der Polizei an, im April beginnt die Vorbereitung auf die deutschen Meisterschaften im Mai und den Start der nächsten Bundesligasaison.

Die Olympischen Spiele in Tokio sind für den 24-Jährigen dieses Jahr noch kein Thema - was aber weniger an seinem Können liegt. In der Klasse bis 82 Kilogramm wird nicht gerungen, in der bis 87 Kilo ist Denis Kudla (Olympia-Bronze 2016) aus Rheinland-Pfalz gesetzt. "Er ist ein Weltklasseringer, einer der besten, die wir in den letzten zehn Jahren in Deutschland hatten", sagt Wagner. Für die Klasse bis 77 Kilogramm kommt er aus anderen Gründen nicht in Frage. Mit seinem Körperbau ist schon das Abkochen auf 82 Kilo "grenzwertig", wie er selbst sagt. Das Limit von 77 Kilogramm wäre zwar machbar. Dann aber sei er "zu geschwächt, um eine wirklich gute Leistung im Ring abzurufen". Der Gang in die Sauna macht zwar einiges möglich für Ringer - hat aber eben auch seine Grenzen.

© SZ vom 20.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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