Atalanta Bergamo:"Der Stolz des italienischen Fußballs"

Atalanta Bergamo: Hört nicht auf zu überraschen: die Mannschaft von Atalanta Bergamo.

Hört nicht auf zu überraschen: die Mannschaft von Atalanta Bergamo.

(Foto: AFP)
  • Atalanta Bergamo schlägt den FC Valencia überraschend deutlich mit 4:1 im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales.
  • "Wir hätten noch mehr Tore erzielen können", sagt Trainer Gasperini, warnt aber auch vor dem Rückspiel.
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Von Sebastian Fischer

Robin Gosens hatte da so eine Ahnung, die sich als richtig herausstellen sollte. Es war Mitte Dezember, in Nyon wurden die Lose fürs Champions-League-Achtelfinale gezogen und Gosens, der Linksverteidiger von Atalanta Bergamo, saß zu Hause mit seiner Freundin vor dem Fernseher. Er war ziemlich nervös, so hat er es danach erzählt. Als seiner Mannschaft, dem Überraschungsteam unter den 16 Besten in Europa, der FC Valencia zugelost wurde, da habe er zwar gedacht, dass er gerne ein anderes Stadion als das Mestalla in Valencia gesehen hätte, denn das kennt er bereits. Wenn schon durch Europa reisen, warum dabei nicht etwas Neues erleben? Andererseits, und dieses Gefühl überwog schließlich, dachte er: Valencia, das ist ein machbarer Gegner.

Gosens, 25, geboren in Emmerich am Niederrhein, der nie für einen Bundesligisten auflief und nie für eine Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nominiert wurde, den in Deutschland wohl immer noch eher wenige Menschen auf der Straße erkennen würden, gewinnt gerade im internationalen Fußball mit Rasanz an Bekanntheit. Wenn er in drei Wochen im Achtelfinal-Rückspiel in Valencia spielt, wird er immerhin gefühlsmäßig etwas Neues erleben: Er wird für den Favoriten auf den Einzug ins Champions-League-Viertelfinale auflaufen. Das Hinspiel am Mittwochabend gewann Bergamo mit 4:1. "Atalanta ist der Stolz des italienischen Fußballs", jubelte die Gazetta dello Sport. Und die Tuttosport schrieb vom "himmlischen Atalanta".

Atalanta, das ist nicht der reichste Klub Italiens; es ist ein Team voller Spieler wie Gosens, die nicht unbedingt weltberühmt sind. Es ist es eine Mannschaft nach der Machart des Trainers Gian Piero Gasperini, 62, der einst 2011 bei Inter Mailand nach fünf Spielen und vier Niederlagen wieder gefeuert und danach in Italien erstmal als ungeeignet für den wirklich großen Fußball abgestempelt wurde. In Bergamo bekam er seit 2016 die Zeit, die er brauchte, um sein durchaus eigenwilliges, vor allem für Italien untypisches System zu entwickeln: Dreier-Abwehr, Pressing auf dem ganzen Feld, Offensive. Kein Team der italienischen Serie A hat in dieser Saison bislang so viele Tore geschossen wie Bergamo: 63 in 24 Spielen. Auch in der vergangenen Spielzeit, mit Rang drei die erfolgreichste der Vereinsgeschichte, war die Offensive aus Bergamo bereits die beste der Liga.

"Wir haben uns gut auf die Partie vorbereitet", sagte Kapitän Papu Gomez nach dem Spiel im Fernseh-Interview salopp. Auf dem Platz sah das so aus, als würde Bergamo die Spanier regelrecht überfallen. 4:0 stand es schon nach rund einer Stunde. Zwei Tore, das erste und das vierte, schoss der rechte Flügelspieler Hans Hateboer, 26. Er ist einer von zwei niederländischen Nationalspielern im Team. Ähnlich wie der andere, der 28-jährige Marten de Roon im zentralen Mittelfeld, fiel Hateboer dem heimischen Verband erst durch seine Leistungen in Bergamo richtig nachhaltig auf. Jedenfalls debütierte Hateboer, 2017 aus Groningen nach Bergamo gewechselt, erst 2018 im Nationalteam. Und auch de Roon spielt erst seit vergangenem Jahr regelmäßig von Beginn an für sein Land.

Atalanta hört nie auf, offensiv zu spielen

Noch ein Beispiel? Das 2:0 erzielte Josip Ilicic, ein 32 Jahre alter slowenischer Nationalspieler, mit 14 Saisontoren Bergamos bester Stürmer in der Liga, neulich traf er bei einem 7:0 gegen den FC Turin dreimal. Doch der Treffer am Mittwoch war der erste seiner Karriere in der Champions League. Zum 3:0, dem schönsten der vier Tore, traf der Schweizer Remo Freuler, 27 Jahre alt und 2016 für rund zwei Millionen Euro vom FC Luzern geholt. Freuler ist zwar auch Nationalspieler, aber bei der WM 2018 kam er keine Minute zum Einsatz. Er zirkelte den Ball in der 57. Minute von halblinks außerhalb des Strafraums in die rechte Ecke. Spätestens dann war klar: Die Chance ist sehr groß, dass Bergamos außergewöhnliche, erste Champions-League-Saison der Vereinsgeschichte, die in der Gruppenphase mit drei Niederlagen begonnen hatte, noch ein paar Wochen länger andauert.

Ein typisches Bergamo-Spiel war der Sieg gegen Valencia auch deshalb, weil die Italiener auch nicht aufhörten mit ihrem bedingungslos offensiven Stil, als es 4:0 stand. "Wir hätten noch mehr Tore erzielen können, wenn wir die Räume genutzt hätten, die sie uns angeboten haben", sagte Trainer Gasperini. Manchmal übertreibe es die Mannschaft etwas mit der Spielfreude, gestand dagegen Kapitän Gomez. Und so kam Valencia, ohne sechs Verletzten stark ersatzgeschwächt angereist, immerhin zum 1:4. Am Ende hatten die Gäste 18 Mal aufs Tor geschossen, sieben Mal häufiger als Bergamo.

Gasperini klagte, man habe den Ball gegen Ende zu oft zu schnell verloren und zu viel gewagt. Das gelte es im Rückspiel zu vermeiden. Und er mahnte, man brauche auch in drei Wochen in Valencia ein Tor, um nicht den ganzen Abend zittern zu müssen. Auch deswegen werde er noch nicht feiern. Aber die rund 44 000 Zuschauer in Mailand sahen das wahrscheinlich anders. Dort, im San Siro, trägt Bergamo in dieser Saison die Champions-League-Spiele aus, das eigene Stadion wird für neue, höhere Ambitionen renoviert. "Wir haben Bergamo nach San Siro gebracht", sagte Gomez deshalb. Und vielleicht wollte er damit andeuten, dass sie Bergamo noch an viele andere Orte tragen wollen.

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