Sterbehilfe:Die Freiheit am Ende des Lebens

Sterbehilfe

Wie weit reicht die Selbstbestimmung des Patienten, der seinem Leben ein Ende setzen will?

(Foto: dpa)
  • Der Bundestag hat 2015 die Sterbehilfe-Regelung verschärft.
  • Das Bundesverfassungsgericht verkündet am Mittwoch, ob diese Verschärfung mit der Verfassung vereinbar ist.
  • Geklagt haben Vereine, die Suizidbeihilfe anbieten, schwer erkrankte Menschen und Ärzte.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Dass das Urteil an diesem Mittwoch wirklich der Schlusspunkt einer langen und schwierigen Debatte sein wird, ist kaum anzunehmen. Zu lange schon währt die Diskussion um Sterbehilfe, und zu oft hat sie sich an immer neuen Fragen entzündet. Aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ein Markstein sein.

Denn das Gericht muss eine Antwort auf eine existenzielle Frage geben, die Frage nach der Freiheit am Ende des Lebens: Wie weit reicht die Selbstbestimmung des Patienten, der seinem Leben ein Ende setzen will? Darf der Staat ihm Hindernisse in den Weg legen, weil es um das höchste Gut unserer Werteordnung geht, um das Leben? Zum Beispiel eine Vorschrift, die Helfern bei "geschäftsmäßiger Förderung der Selbsttötung" bis zu drei Jahre Haft androht, wie dies in dem seit 2015 geltenden Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches der Fall ist? Oder muss der den Patienten im Gegenteil sogar unterstützen? Weil Freiheit auch die Freiheit zum Tod umfasst?

Zwei Tage hat der Zweite Senat im April 2019 über die sechs Verfassungsbeschwerden gegen diesen Paragrafen verhandelt, eingelegt von Ärzten, schwer kranken Patienten und Sterbehilfevereinen. Es war eine Anhörung von seltener Eindringlichkeit. Am Ende überwog der Eindruck, dass die Richter wenig Einwände gegen die Absicht des Gesetzgebers haben dürften, privaten Sterbehilfevereinen das Handwerk zu legen. Denn wenn eines klar wurde in der Verhandlung, dann der Umstand, dass der Wunsch nach Selbsttötung äußerst ambivalent sein kann, manchmal auch zutiefst widersprüchlich: Wann man einen Sterbewilligen wirklich beim Wort nehmen darf, ist schwer zu beantworten.

Schon seit 2017 sind Behörden in der Pflicht, in Ausnahmen ein tödliches Gift bereitzustellen

90 Prozent der Suizidwilligen hätten eine schwere psychische Störung, Depressionen zum Beispiel, da könne man nicht von freiverantwortlichen Entscheidungen sprechen, sagte der Psychiater Clemens Cording. Oft sei der Suizidwunsch temporär, entstanden im inneren emotionalen Chaos, sekundierte sein Kollege Manfred Wolfersdorf. Kaum anzunehmen, dass das Gericht den Umgang mit derart diffizilen Bewusstseinslagen in die Hände eingetragener Vereine legen will, die dafür Geld nehmen.

Aber das ist nur der einfachere Teil des Verfahrens. Man mag zu Sterbehilfevereinen stehen, wie man will, eines jedenfalls hat ihr Auftauchen in aller Deutlichkeit offenbart. Das Grundgesetz verspricht den Menschen zwar Autonomie, eine Autonomie, die sogar die Freiheit umfasst, seinem Leben ein Ende zu setzen. Suizid ist nicht strafbar; wer den Versuch überlebt, der muss nicht mit dem Staatsanwalt rechnen. Aber bisher lässt der Staat die Menschen allein, wenn sie von ihrer Selbstbestimmung wirklich Gebrauch machen wollen - selbst dann, wenn ihre Gründe überaus nachvollziehbar sind. Wenn ein Tumor sich unaufhaltsam ausbreitet, wenn Schmerzen unerträglich werden.

Selten hat die Justiz die Pflicht des Staates, den Menschen die Möglichkeit zur Selbstbestimmung am Lebensende zu verschaffen, deutlicher ausgesprochen als 2017. In einem spektakulären Urteil verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Behörden, leidenden Todkranken in extremen Ausnahmefällen den Zugang zu todbringenden Medikamenten zu gewähren. Das war eine höchstrichterliche Anweisung, an der man eigentlich nichts missverstehen konnte: Das zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte muss Menschen ausnahmsweise den Erwerb des tödlichen Gifts erlauben, "wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen". Und wenn weder die Palliativmedizin noch der Behandlungsabbruch eine Alternative bieten.

Die obersten Verwaltungsrichter begründeten ihr Urteil ausdrücklich mit dem Selbstbestimmungsrecht - und damit, dass eine "würdige und schmerzlose Selbsttötung" möglich sein muss. Aber das Urteil wird nach wie vor ignoriert, Anträge Betroffener werden vom Bundesamt hinausgezögert oder abschlägig beschieden. Der Staat leistet sich einen beispiellosen Akt unterlassener Hilfeleistung. Übrigens auf Geheiß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den manche bereits für den nächsten Kanzler halten.

Jedenfalls wurde auch dies in der Karlsruher Anhörung im April klar: Unter den Suizidwilligen gibt es in der Tat eine Gruppe von Menschen, die mit klarem Bewusstsein und selbstbestimmt aus dem Leben scheiden will. Die nicht ins Hospiz wollen und keine Palliativmedizin wünschen. Die Gruppe mag klein sein. Aber sie existiert.

Seit 2015 hat der Staat diesen leidenden Menschen den letzten Helfer genommen. Weil Paragraf 217 an die "geschäftsmäßige", also auf Wiederholung angelegte Beihilfe anknüpft, trifft er auch Ärzte, die ihren Patienten für den schweren Gang ein todbringendes Medikament bereitstellen wollen. Wer noch gehen kann, der darf sich vor den Zug werfen, dagegen hat der Staat nichts einzuwenden. Aber der Arzt, der wie kein zweiter zum Beistand in solchen Schicksalsfragen befähigt wäre, steht bei der Suizidbeihilfe mit einem Bein im Gefängnis.

Könnte eine Beratungslösung kommen, ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch?

Das Urteil dürfte sich daher vor allem mit der Frage befassen, ob ein Arzt seinen Patienten nur beim Sterben helfen darf - oder auch zum Sterben. Das ist gar nicht so neu, wie man meinen möchte: Ob das Selbstbestimmungsrecht des Patienten nur auf dem Papier steht oder in die Tat umgesetzt werden kann, dafür war stets entscheidend, was Ärzte durften und was nicht. Vor dreieinhalb Jahrzehnten hatte der Bundesgerichtshof eine groteske juristische Konstruktion ersonnen, die es den Medizinern unmöglich machen sollte, ihre Hand zum Suizid zu reichen. Zwar war es nicht strafbar, dem Patienten das tödliche Gift auf den Nachttisch zu stellen. Sobald er aber bewusstlos wurde, musste der Arzt einschreiten, sonst drohte eine Anklage wegen Tötung durch Unterlassen.

Darüber ist die Rechtsgeschichte längst hinweggegangen. Bevor Paragraf 217 ins Gesetz kam, durften Ärzte den tödlichen Becher reichen, wenigstens strafrechtlich gesehen; das Berufsrecht der Mediziner war in dieser Hinsicht früher strenger; Verstöße konnten Ärzte die Approbation kosten. Auch sonst ist der Mediziner die Schlüsselfigur, um die freie Entscheidung des Patienten umzusetzen. Etwa, wenn der Patient verfügt hat, dass er keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünscht. Dann muss der Arzt die Geräte abschalten.

Kommt also der "Facharzt für Sterbebegleitung", wie die für das Verfahren federführende Richterin Sibylle Kessal-Wulf in der Anhörung formulierte? Ihr Kollege Ulrich Maidowski hakte nach: Ließe sich so etwas ins ärztliche Berufsrecht integrieren? Und wer dürfte ärztliche Hilfe für seine Freiheit zum Tod in Anspruch nehmen? Nur der schwer kranke Patient? Der Wunsch zu sterben kann viele Ursachen haben - manche Menschen wollen einfach niemandem zur Last fallen. Aber wenn es wirklich um kranke Menschen geht: Sollten Ärzte da nicht im Einzelfall Hilfe zum Suizid leisten dürfen, fragte Richterin Christine Langenfeld, womöglich nach "prozeduraler Sicherung"?

Das klang nach einer Beratungslösung, wie man sie vom Schwangerschaftsabbruch kennt, vielleicht auch nach einem Vier-Augen-Prinzip - jedenfalls danach, dass das Gericht sehr konkret über solche Möglichkeiten nachdenkt. Sollen also Ärzte, die Helfer zum Leben, im Notfall auch Helfer zum Sterben sein dürfen? Suizidbeihilfe sei keine ärztliche Aufgabe, sagte Ulrich Clever von der Landesärztekammer Baden-Württemberg. "Aber es ist auch nicht ärztliche Aufgabe, sich wegzuducken."

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