Masern:Bekommt man irgendwo noch ein Attest?

Masernschutzgesetz: Das müssen Sie jetzt wissen

Ein kleiner Stich mit großer Wirkung: Fachleute zweifeln nicht am Sinn der Maserimpfung, trotzdem ist die Impfpflicht umstritten.

(Foto: obs)
  • Seit dem 1. März gilt, dass Kinder in Kitas und Schulen gegen Masern geimpft sein müssen. Für Kinder, die schon in den Einrichtungen sind, muss der Impfnachweis bis spätestens 31. Juli 2021 nachgereicht werden.
  • Gerade an Waldorfeinrichtungen brachen die Masern in der Vergangenheit oft aus; laut einer Untersuchung aus Baden-Württemberg waren rund 30 Prozent der Waldorfkinder nicht geimpft, sonst lag die Quote der Nichtgeimpften bei Schuleingangsuntersuchungen bei etwa fünf Prozent.
  • Fachleute bezweifeln, dass Impfverweigerer in nennenswertem Maß über Ausnahmeatteste der Pflicht entgehen können.
  • Eltern haben mit der Unterstützung impfskeptischer Ärzte nun Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Von Bernd Kramer

Die Krankheit ist gefährlich, hochansteckend - und sie schien fast vergessen zu sein, da mehrten sich in Berlin vor gut fünf Jahren die Fälle: Die Masern waren zurück. Auch an einer Waldorfschule im Bezirk Reinickendorf erkrankten Kinder. Doch Hilfe schien dort zunächst nicht sehr willkommen zu sein: Patrick Larscheid, der das Gesundheitsamt im Bezirk leitet, erinnert sich, dass es sogar zu einem Konflikt mit der Schule über die Frage gekommen sei, ob die Behördenmitarbeiter sie betreten dürfen. Am Ende kontrollierten sie zwar doch vor Ort den Impfstatus der Schülerinnen und Schüler. Aber für Larscheid zeigt das Beispiel: "In bestimmten Milieus ist der Kampf gegen die Seuche zumindest sehr schwierig." Die Waldorfschule hat sich auf Anfrage der SZ nicht geäußert - auch nicht dazu, wie sie auf die neuen Impfregeln blickt, die nun gelten.

Seit dem 1. März müssen Kinder in Schulen und Kitas gegen Masern immun sein. Die Einrichtungen müssen den Impfstatus bei der Aufnahme abfragen, so verlangt es das neue Masernschutzgesetz. Ist ein Kleinkind nicht geimpft, darf es die Kita nicht besuchen. Nicht geimpfte Schulkinder müssen den Gesundheitsämtern gemeldet werden. Verweigern sich die Eltern dauerhaft, drohen Bußgelder. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) kritisierte bereits den Aufwand, der den Schulen aufgebürdet werde - und die vielen offenen Fragen. Was passiert, wenn sich Eltern trotz Bußgeld weiter verweigern? Können schulpflichtige Kinder vom Unterricht ausgeschlossen werden? Wie drastisch werden die Behörden durchgreifen?

Niedrige Impfquoten an vielen Waldorfeinrichtungen

Besonders interessant dürfte sein, was an Waldorfschulen passiert. Auffällig oft brachen die Masern an den anthroposophisch geprägten Einrichtungen aus: 2019 etwa an Waldorfschulen in Hildesheim und Freiburg. Eine Waldorfschule in Jena bezeichnete es im Sommer in einem Elternbrief als "geradezu irrationale Hysterie", als Behördenmitarbeiter nach einem Masernfall Impfpässe kontrollierten. Der Bund der Freien Waldorfschulen kritisiert, das neue Gesetz sei ein "nicht hinnehmbarer Eingriff in das Vertrauensverhältnis" zwischen Eltern und Lehrkräften. Man wolle den Familien "grundsätzlich keine Impfempfehlung" geben; sie sollen selbst entscheiden. Nur fällt die Entscheidung im Waldorfmilieu häufig gegen die Immunisierung aus.

Eine Auswertung des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg aus dem vergangenen Jahr etwa beklagt "fortbestehende Impflücken" bei Waldorfkindern. Die Fachleute verglich Zahlen aus Einschulungsuntersuchungen von 2014 bis 2017. Dabei zeigte sich: Rund 30 Prozent der untersuchten Waldorfkinder war nicht geimpft, unter den übrigen nur gut fünf Prozent. "Eltern aus einem impffeindlichen Milieu fühlen sich oft hingezogen zu Waldorfschulen", sagt auch Patrick Larscheid vom Gesundheitsamt in Berlin-Reinickendorf. "Und die Anthroposophie, die Weltanschauung hinter den Schulen, bestärkt diese Haltung oft auch noch." Ihr Begründer Rudolf Steiner sah das Impfen als potenzielle Gefahr für die menschliche Spiritualität.

Unter Verweigerern kursiert die Idee, man könne der Pflicht mit Attesten entgehen. Die Möglichkeit lässt das Gesetz zwar theoretisch. Doch die Impfung gegen Masern gilt als sehr sicher. Impfausnahmen könne es aus medizinischer Sicht daher nur in seltenen Fällen geben, sagt Gesundheitsamtschef Larscheid. "Auch die schärfsten Impfgegner unter den Ärzten werden sich davor hüten, falsche Atteste auszustellen. Dafür bräuchte es ein gehöriges Maß an krimineller Energie."

Das gibt auch die kleine Fraktion der impfskeptischen Mediziner zu. Der Verein "Ärzte für individuelle Impfentscheidung" etwa hat einen Juristen das Gesetz auf Schlupflöcher prüfen lassen - und rät Medizinern dringend davon ab, Eltern falsche Bescheinigungen auszustellen. Lieber unterstützt man nun mehrere Familien, die Verfassungsbeschwerde eingereicht haben. Und ein Zufall dürfte es nicht sein: Der Vorsitzende des Vereins ist Schularzt an einer Waldorfschule.

Die wichtigsten Fragen zur Impfpflicht

Was gilt für Kinder?

Die Impfpflicht gilt für so gut wie alle - ausgenommen sind Kinder unter einem Jahr. Bei Neueintritt in Kita oder Schule müssen die Eltern ab dem 1. März vorweisen, dass der Nachwuchs geimpft ist. In der Regel reicht die Vorlage des Impfausweises. Für die Kontrolle zuständig ist die Schul- oder Kita-Leitung. Für Kinder, die schon in einer Einrichtung oder in der Schule sind, muss der Impfnachweis bis spätestens 31. Juli 2021 nachgereicht werden. Möglich ist auch ein ärztliches Attest, das entweder belegt, dass das Kind die Masern schon hatte und damit immun ist. Oder dass eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen nicht ratsam ist.

Was passiert mit Eltern, die ihr Kind nicht impfen lassen wollen?

Dann wird der Nachwuchs nicht in der Kita aufgenommen, anderenfalls droht der Kita-Leitung ein Bußgeld. In der Schule sieht es anders aus: Da in Deutschland Schulpflicht gilt, können ungeimpfte Kinder nicht ausgeschlossen werden. Es können aber hohe Bußgelder bis zu 2500 Euro gegen die Eltern verhängt werden, wenn sie der Impfpflicht für die Kinder nicht nachkommen. Die Schulen müssen solche Fälle an das örtliche Gesundheitsamt melden, das über das weitere Vorgehen entscheidet.

Für welche Erwachsenen gilt die Impfpflicht?

Für Erzieherinnen und Erzieher in Kitas, für Lehrer, Tagesmütter und für Beschäftigte in medizinischen und sonstigen "Gemeinschaftseinrichtungen". Dazu zählen Ferienlager oder auch Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte. Auch die Bewohner solcher Einrichtungen müssen sich impfen lassen oder nachweisen, dass sie immun sind. Auch hier gilt die Übergangsfrist bis Juli 2021. Ausgenommen von der Impfpflicht sind vor 1970 Geborene, da sie nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) als größtenteils immun gelten, weil sie die Masern höchstwahrscheinlich durchgemacht haben. Eine Impfung wurde erst in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik auf freiwilliger Basis eingeführt, in der DDR bestand seit 1970 Impfpflicht gegen Masern.

Wie lässt sich denn nachweisen, dass man Masern schon hatte? Und was ist, wenn der Impfausweis weg ist?

In beiden Fällen hilft ein ärztliches Attest: Der Arzt hat entweder in der Patientenakte vermerkt, dass ein Patient schon einmal Masern hatte und kann das bescheinigen. Auch über einen Bluttest kann Immunität nachgewiesen und anschließend bescheinigt werden. Sind Antikörper vorhanden, hatte man entweder schon Masern oder ist bereits geimpft.

Was ist, wenn Betroffene wiederholt der Aufforderung zum Impfen nicht nachkommen? Wird dann zwangsgeimpft?

Nein. "Eine Zwangsimpfung kommt in keinem Fall in Betracht", heißt es vom Bundesgesundheitsministerium.

Manche haben Angst, von der Impfung krank zu werden. Was ist da dran?

Eine Masern-Impfung enthält einen Lebendimpfstoff, der eine abgeschwächte Variante des Erregers enthält. Dieser könne sich begrenzt vermehren, die Masern selbst aber nicht mehr auslösen, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Bei der Impfung gegen die Masern zeigten etwa 5 bis 15 Prozent der Geimpften besonders nach der ersten Masern-Immunisierung eine Reaktion mit mäßigem Fieber, flüchtigem Ausschlag und Symptomen im Bereich der Atemwege, gelegentlich begleitet von einem maserntypischen Ausschlag. Meist passiere das in der zweiten Woche nach der Impfung. Diese Reaktion wird als "Impfmasern" bezeichnet. Diese seien aber nicht ansteckend und verursachten nur milde Symptome, die von selbst abklingen.

Wer geimpft wird, wird doch aber nicht nur gegen Masern geimpft?

Das ist richtig. Für die Impfung gegen Masern stehen in Deutschland nach Behördenangaben aktuell nur sogenannte Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung. Es wird also bei der Masernimpfung gleichzeitig immer auch gegen andere Krankheiten geimpft. Es gibt entweder die Dreifachimpfung "Mumps-Masern-Röteln" oder die Vierfachimpfung "Mumps-Masern-Röteln-Varizellen". Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums wird dies von der Ständigen Impfkommission empfohlen, um die Anzahl der Injektionen bei Kindern gering zu halten. Ein Kombinationsimpfstoff gelte insgesamt als nicht schlechter verträglich als ein Einzelimpfstoff.

Warum werden Masern überhaupt als so gefährlich eingestuft?

Bei Infizierten wird das Immunsystem geschwächt, es kann zu Komplikationen wie Mittelohr- und Lungenentzündungen kommen. Selten kommt es auch zu Gehirnentzündungen, die tödlich enden können. Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit, sagt das RKI. Bei 1000 Erkrankten gebe es einen Todesfall. Manchmal führt die Krankheit erst nach Jahren zum Tod, etwa bei der Masern-Gehirnentzündung SSPE - wer im Säuglingsalter an Masern erkrankt, ist besonders gefährdet.

Wie viele Menschen haben sich in Deutschland in diesem Jahr mit Masern infiziert?

Die neusten Zahlen des Robert-Koch-Instituts stammen von Mitte Februar. Demnach zählt das Institut für die ersten fünf Wochen des Jahres 15 neue Fälle. Die meisten davon kommen aus Baden-Württemberg. Im gleichen Zeitraum 2019 waren es noch 102 Infizierte. DPA

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