Wahl in Hamburg:In doppelter Opposition

Ohne FDP hat die gerupfte CDU schwere Zeiten vor sich. Sie steht sowohl der rot-grünen Zweidrittelmehrheit gegenüber als auch der Linken und der AfD.

Von Ralf Wiegand, Hamburg

Wie ernst es dem CDU-Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg, 52, mit einer politischen Zukunft in seiner Heimatstadt Hamburg war, ist der Tatsache zu entnehmen, dass er sein liebstes Amt in Berlin dafür aufgegeben hat: Er ist nicht mehr Kapitän des FC Bundestag. Die Fußballmannschaft wird jetzt von seinem Berliner Fraktionskollegen Fritz Güntzler geführt, bei ihm wird Weinberg, der als Spitzenkandidat für die CDU in den Hamburger Wahlkampf gegangen war, bald für einen Platz im Team anklopfen müssen. Denn die kuriose Hamburg-Wahl, in der etwa die AfD erst draußen und dann drin, die FDP hingegen lange drin und erst spät draußen war, hielt auch für die Nummer eins auf der CDU-Landesliste eine späte Überraschung parat. Nach der Auszählung aller Stimmen am Montagabend war klar, dass Weinberg der neuen Bürgerschaft gar nicht angehören wird.

Das liegt daran, dass in Hamburg zwei Drittel aller Mandate an die in den Wahlkreisen gewählten Kandidaten vergeben werden. Erst wenn diese Plätze besetzt sind, kommen die Bewerber auf den Landeslisten zum Zug. Die CDU, die mit 11,2 Prozent in der Hansestadt historisch schlecht abgeschnitten hat, hat ohnehin nur 15 Sitze in der Bürgerschaft, allesamt gingen an Wahlkreiskandidaten. Für Weinberg bleibt nur der Weg zurück nach Berlin, er will familienpolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion bleiben.

Auf der einen Seite stehen Rot und Grün mit Zweidrittelmehrheit, auf der anderen Linke und AfD

Zurück bleibt eine geschrumpfte Hamburger Unions-Fraktion in prekärer Lage. Die CDU hat im Wahlkampf keinen Kurs zwischen dem liberalen Großstädter Weinberg und der eher konservativen Partei und Fraktion gefunden. Die Richtung bleibt auch nach der Wahl unbestimmt. Mitten im Selbstfindungsprozess steht der CDU nun nicht nur ein mächtiger rot-grüner Block mit Zweidrittelmehrheit gegenüber, sondern sie ist selbst Teil einer tief gespaltenen Opposition mit der Linken und der AfD. Der allgemeingültige Abgrenzungsbeschluss der Bundes-CDU verhindert die Zusammenarbeit mit beiden. Lediglich eine einsame liberale Stimme, die der über ihren Wahlkreis direkt gewählten FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels-Frowein, stärkt noch das arg gerupfte selbst ernannte bürgerliche Lager.

Auf die derart verzwergte Opposition kommen harte Zeiten zu. Niemand in der CDU erwartet, dass die von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) angebotenen Gespräche mehr sind als reine Höflichkeit. Würde die SPD die Zusammenarbeit mit den stark verbesserten und entsprechend selbstbewussten Grünen aus Bequemlichkeit aufkündigen, käme das einem Koalitionsbruch gleich. Die CDU wird also eine Opposition im doppelten Sinne darstellen müssen, gegen die Regierung und gegen AfD und Linke. "Auf jeden CDU-Abgeordneten kommen fünf von Rot-Grün", hat der bisherige Fraktionschef André Trepoll errechnet und fordert, "die Wahrnehmung der Minderheitenrechte im Parlament" neu zu regeln. Mit den jetzigen Kräfteverhältnissen könnte die Opposition zum Beispiel einen Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre zum Vorwurf verjährter Steuernachforderungen nur mit Zustimmung der Regierung durchsetzen, die diese Untersuchung beträfe.

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