Skisprung-Mania vor 20 Jahren:Verrückt nach Mattenspringen

Am 5. März 2000 gewinnt Martin Schmitt zum zweiten Mal den Gesamtweltcup. Die Fans folgen ihm ans Hotel und sogar zum Sommerspringen. Wie eine Nation vor 20 Jahren neue Sport-Helden findet.

Von Lisa Sonnabend

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(Foto: DPA)

Als das neue Jahrtausend beginnt, verliert die deutsche Fußballnationalmannschaft viel zu oft, die Tennislegenden Steffi Graf und Boris Becker haben kurz zuvor ihre Karrieren beendet, Katja Seizinger, die erfolgreichste deutsche Skifahrerin der Geschichte, stürzt sich nicht mehr die Berge hinunter, und Franziska von Almisck schwimmt immer langsamer. Deutschland ist auf der Suche nach neuen Helden - und findet sie. Sie sind jung, dünn, tragen enganliegende Anzüge und können fliegen. Sie heißen Martin Schmitt und Sven Hannawald. Das Land verfällt dem Skisprung, Millionen verbringen ihre Wochenenden im Winter 1999/2000 vor dem Fernseher und sehen vor allem Schmitt weit springen, bis er schließlich am 5. März 2000 - also vor genau 20 Jahren - zum zweiten Mal den Gesamtweltcup gewinnt. Ein Rückblick auf die Skisprung-Mania in Deutschland.

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Im Jahr 1998 betritt der damals 20-jährige Schmitt aus Villingen-Schwenningen die große Bühne, als er bei den Olympischen Spielen in Nagano mit der Mannschaft die Silbermedaille holt. Im Herbst siegt er dann erstmals bei einem Weltcup-Springen, es folgen zahlreiche weitere Erfolge, sodass er im Frühling 1999 den Gesamtweltcup knapp vor Janne Ahonen gewinnt. Zeitgleich wird auch Sven Hannawald (rechts im Bild mit Schmitt) immer besser, er beendet die Saison als Fünfter.

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Der Privatsender RTL sichert sich daraufhin für angeblich 48,5 Millionen D-Mark die Übertragungsrechte, um aus der Sprungserie die "Formel 1 des Winters" zu machen. Moderator Günther Jauch reist fortan von Schanze zu Schanze und analysiert Absprunghocke und V-Stil. In der Jugendzeitschrift Bravo erscheinen Berichte über Schmitt, die Titel tragen wie "Der Überflieger total privat", die Bunte tauft ihn "Air Martin". Fernsehsender begleiten den jungen Sportler in seine ehemalige Schule im Schwarzwald, filmen ihn beim Dartsspielen daheim bei Mutter Waltraud und Vater Hubert.

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300 Briefe Fanpost bekommt Schmitt pro Tag. Teenager belagern die Hotels, in denen Schmitt und Hannawald untergerbacht sind, sie halten ihnen Poster zum Unterschreiben entgegen, wo immer sie entlang gehen. Sogar zum Mattenspringen im Sommer reisen die Fans den Springern nach. Der ruhige, charmante Schmitt wird zum Werbegesicht einer Schokoladen-Firma - und zum Millionär. Das Erstaunliche: Der 1,81 Meter große Athlet springt in der kommenden Saison so gut wie zuvor. Als würde er den Trubel um sich herum nicht mitbekommen.

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In der Saison 1999/2000 gewinnt Schmitt elf Springen. Mit einem weiten Satz auf der Salpausselkä-Schanze in Lahti sichert er sich schließlich am 5. März 2000 zum zweiten Mal hintereinander den Gesamtweltcup - was zuvor nicht einmal Jens Weißflog gelungen ist. In seinem Heimatort wird daraufhin die Südtangente, eine Straße am Fuße eines Berges, in Martin-Schmitt-Straße umbenannt. Sein Freund Hannawald, mit dem er sich oft ein Doppelzimmer teilt, ist wenige Wochen zuvor Skiflugweltmeister geworden. RTL ist mehr als zufrieden.

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Auch in der Saison 2000/2001 springt Schmitt weiter vorne mit, der Hype geht weiter. Den Gesamtweltcup-Sieg muss der Deutsche allerdings diesmal dem Polen Adam Malysz überlassen. Im kommenden Winter siegt Hannawald bei der Vierschanzentournee, indem er alle vier Springen gewinnt. Ein Sieg bei der Tour dagegen bleibt Schmitt in seiner Karriere verwehrt. In Salt Lake City 2002 werden Schmitt und Hannawald gemeinsam mit Stephan Hocke und Michael Uhrmann Olympiasieger im Team.

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(Foto: dpa/dpaweb)

Doch Verletzungen plagen Schmitt fortan und werfen ihn zurück. Ans Aufhören denkt er aber nicht. Er kämpft weiter, auch wenn die großen Erfolge ausbleiben. 2010 holt er noch einmal Olympia-Silber mit dem Team. Als bei ihm ein Erschöpfungssyndrom attestiert wird, pausiert er. Aber auch danach kommt er wieder. Seinen letzten Sprung absolviert er Anfang 2014 in Willingen. Die Fans stehen für Autogramme an, doch längst nicht mehr so viele wie früher. Die Skisprung-Begeisterung in Deutschland hat im Laufe der Jahre nachgelassen.

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(Foto: obs)

Schmitt, der nun als Experte für den Sportsender Eurosport arbeitet und Inhaber einer Vermarktungsagentur ist, sagte einmal: "Es war enorm, wie sich das Skispringen in dieser Zeit entwickelt hat. Als ich 1997 in den Weltcup gekommen bin, war die Vierschanzentournee schon eine Nummer, die Stadien voll. Aber mit den Erfolgen von Sven und mir kam eine neue Stufe. Es war wirklich ein Hype." In dieser Saison hat der deutsche Springer Karl Geiger noch Chancen, den Gesamtweltcup zu gewinnen. RTL hat die Kameras längst abgebaut, Berichte in der Bravo oder Bunten erscheinen nicht über ihn.

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