Coronavirus:Hongkong ist im Ausnahmezustand

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Luftaufnahme von Hongkong. Das Stadtzentrum ist dicht besiedelt, das Coronavirus könnte sich hier schnell ausbreiten. (Foto: Dale de la Rey/AFP)

Das Coronavirus ist für die Wirtschaft der Stadt ein Desaster: Nirgendwo merkt man die ökonomischen Auswirkungen der Krise stärker als in Hongkong. Am härtesten hat es den Tourismus erwischt.

Von Christoph Giesen, Hongkong

Shenzhen Bay ist eine Grenzübergangsmaschine, ein Gebäude aus Glas und Stahlbeton, groß wie ein Flughafenterminal. Im inneren Dutzende Schalter: erst die Fingerabdrücke und den roten Ausreisestempel aus China, dann der Zoll, wer mag, schließlich die Hongkonger Grenzer. Menschenmassen, wie sie sonst nur in Fußballstadien passen, überqueren hier jeden Tag die Grenze. Und nicht nur in Shenzhen Bay, auch Lo Wu und Lok Ma Chau stehen ähnliche Bürokratiepaläste, mit eigenen U-Bahn-Anschlüssen. Doch das mit den Menschenmassen war einmal.

Seit drei Wochen enden die Züge bereits eine Station vorher, die Grenze ist zum Sperrgebiet erklärt worden. Nur der Übergang in Shenzhen Bay ist noch offen, doch der Vorplatz, auf dem es sonst vor Menschen nur so wimmelt, ist verwaist, wie ein Dorfbahnhof am Sonntagabend, ab und an kommt jemand aus dem Gebäude, eine Maske vor den Mund geschnallt, in der Hand ein brauner Umschlag, darin die neuen Quarantäneregeln. Wer aus China nach Hongkong reist, muss sich nun 14 Tage isolieren. Kein Kontakt zur Außenwelt, keine Geschäftstermine und schon gar kein Tourismus. Für die Wirtschaft in Hongkong ist das ein Desaster.

Die vergangenen Monate waren ohnehin schon schwierig. Die Proteste und Ausschreitungen der vergangenen Monate haben die Stadt tief gespalten. Die einen fordern mehr Demokratie, die anderen wollen es sich auf keinen Fall mit Peking verscherzen, aus Furcht vor einer ökonomischen Krise. Und jetzt das Virus, ausgerechnet in China. Kein Ort der Welt ist so abhängig von diesem Land, wie die ehemalige britische Kronkolonie. Nirgendwo sonst merkt man die ökonomischen Auswirkungen der Corona-Krise stärker als hier. "Im ersten Halbjahr wird die Wirtschaft mindestens um drei, vier Prozent einbrechen", prognostiziert Ho Lok-sang, Ökonom an der Lingnan University. Und damit gehört er zu den Optimisten in der Stadt. "Ich hoffe, dass es danach besser wird. Viel hängt davon ab, wie schnell die Grenzen wieder aufgemacht werden."

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Die Entscheidung Hongkong abzuriegeln, fiel am 22. Januar, einen Tag, bevor in China die Großstadt Wuhan abgesperrt wurde. "Es war der Tag, an dem der erste Patient in Hongkong positiv auf das Coronavirus getestet wurde", erinnert sich Winnie Yu, sie ist die Vorsitzende der Hospital Authority Employees Alliance, der Krankenhausgewerkschaft Hongkongs. Bis vor ein paar Wochen kannte sie fast niemand in der Stadt, das hat sich schlagartig geändert, ihr mit Maske verhülltes Gesicht ist nun oft im Fernsehen zu sehen. "Am 22. Januar war für uns klar, die Grenzen müssen zugemacht werden, sonst hat Hongkong ein Problem", erzählt sie. Die Regierung weigerte sich zunächst. "Wir haben deshalb begonnen, einen Streik zu organisieren." Anfang Februar traten etwa 4000 Krankenhausmitarbeiter für vier Tage in den Ausstand. Mit Erfolg, sie zwangen die Regierung, die Grenzen weitestgehend dicht zu machen. Auch die pekingtreusten Hongkonger unterstützten die Grenzschließungen. Denn: Die Erinnerungen an die Lungenseuche Sars sind in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Vor 17 Jahren starben 299 Hongkonger. Und auch damals kam die Krankheit aus dem Norden. Schulen wurden geschlossen, "auf der Straße gab es keine Autos mehr, keine Busse. Hongkong war eine Geisterstadt", erinnert sich Winnie Yu.

Die Wirtschaft in Hongkong ist recht übersichtlich: Tourismus, Immobilien, Logistik und der Finanzsektor, alles andere fristet ein Nischendasein. Die Logistik liegt am Boden, viele Werke in China produzieren noch nicht, die Immobilienpreise beginnen zu bröckeln, im Geschäftsviertel Central stehen derzeit vier Prozent der Büros leer. Das hat es das letzte Mal vor zehn gegeben. Und auch die Banken bekommen die Krise allmählich zu spüren. Börsengänge werden wohl abgesagt, die Aktienmärkte beginnen zu taumeln.

Am härtesten aber hat es den Tourismus erwischt. 2018 kamen 65 Millionen Gäste nach Hongkong, 51 Millionen davon aus der Volksrepublik. Zum Vergleich: Nach Berlin reisten im selben Jahr 13,5 Millionen Touristen. Viele Restaurants und Hotels haben in den vergangen Tagen dicht gemacht. Jene, die noch geöffnet haben, bieten Zimmer zu Jugendherbergspreisen an: 22 Euro für eine Nacht im Viersternehotel, das ist der neue Satz in einer der teuersten Städte der Welt.

Wer nicht arbeitet, kriegt auch kein Geld. Es gibt keine Arbeitslosenversicherung

Die Grenzen geschlossen, aber die Wirtschaft am Boden: War das wirklich die richtige Entscheidung? Winnie Yu hat sich immer wieder Rat bei Carol Ng geholt, der Chefin des Gewerkschaftsbundes in Hongkong. Sie hat zum Gespräch in ein Café in einem Einkaufszentrum gebeten. Vor ein paar Wochen noch hätte man hier zur Mittagszeit kaum einen Platz gefunden. Auch in den umliegenden Geschäften ist kaum jemand zu sehen. Carol Ng setzt ihre Maske ab und holt ein Notizbuch vor. "Hier eine Übersicht, das sind die letzten 40 Anrufe, die wir erhalten haben", sagt sie. Zwölf davon meldeten sich, weil ihnen Gehaltskürzungen bevorstehen. "Acht Leuten wurde gekündigt", sagt Carol Ng. Und die übrigen 20 Anrufer? "Sollen alle in den Zwangsurlaub geschickt werden, unbezahlt natürlich." Etwa bei Cathay Paficic, der Hongkonger Fluggesellschaft. Wegen des Krise hat das Unternehmen seine Mitarbeiter aufgefordert, drei Wochen unbezahlten Urlaub zu nehmen. Flüge nach Taiwan, Südkorea, vor allem aber China sind gestrichen worden. 75 Prozent der Belegschaft haben sich entschieden, der Bitte des Managements nachzukommen.

"Die Arbeitslosigkeit wird in den kommenden Wochen zunehmen. Vier, vielleicht fünf Prozent", sagt Carol Ng. "Das ist gefährlich hoch, in Hongkong gibt es keine Arbeitslosenversicherung, wie in Europa. Wer nicht arbeitet, verdient kein Geld." Und dennoch sagt Carol Ng, es sei richtig gewesen, die Grenzen zu schließen. Die Gesundheit der Bevölkerung sei im Moment wichtiger als die Wirtschaft. Vergangene Woche hat die Regierung beschlossen, jedem Hongkonger 10 000 Hongkong-Dollar (umgerechnet 1200 Euro) zu zahlen, um die Wirtschaft anzukurbeln. "Ein Tropfen auf den heißen Stein", kritisiert Carol Ng. "Das Geld kann frühestens im August ausgezahlt werden. In fünf Monaten also, viel spät für all jene, die jetzt keine Arbeit mehr haben."

Sie muss weiter, der nächste Termin. Zwei Haltestellen mit der U-Bahn, sie steigt in Mong Kok aus. Die Station liegt direkt an der Nathan Road, die von Norden bis zum Victoria Harbour führt. Juweliergeschäfte reihen sich hier aneinander. "Kein einziger Kunde hier. Die Ringe, Uhren und das Gold ist alles für reiche Chinesen, doch die sind nicht da", sagt Carol Ng.

Die einzigen Geschäfte, die zu profitieren scheinen, sind die Drogerien und Apotheken der Stadt. Bis vor ein paar Wochen stapelten sich in den Schaufenstern noch Milchpulverdosen für Touristen aus China, die den heimischen Babyprodukten nicht trauen. Das Milchpulver ist verschwunden, stattdessen werden nun Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken verkauft. Vor der Krise kostete ein 50er-Pack ein paar Hongkong-Dollar. Heute zahlt man umgerechnet fast 20 Euro.

© SZ vom 02.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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