Vorschlag-Hammer:Der Knopf des Schweigens

Das Kino gehört heute zum Kulturbetrieb. Früher hat man von Filmen erzählt, die Filme weitererzählen können. Jetzt gehen Filme immer über etwas, über Bruderliebe, Egomanie, Palliativ-Methoden

Kolumne von Fritz Göttler

Der Fisch klatscht Matteo bei einem Bummel durch Rom voll an den Kopf. Eine Möwe hat ihn dem Schnabel entgleiten lassen. Er muss wieder in den Tiber, will Matteos Bruder sagen, aber er bringt immer nur das Wort Biter heraus. Dann fällt er um. Er hat einen Tumor, was Matteo ihm verschweigt, um ihm die letzten Tage seines Lebens gelöster zu gestalten, in Euforia, dem zweiten Film der Schauspielerin Valeria Gorlino. Matteo ist ein Kümmerer, erfolgreicher Start-Upper, tolle Wohnung, ambitionierte Kunst- und humanitäre Projekte. Einmal tanzen die Brüder, in aller Heiterkeit, so wie es ihnen Stan und Ollie auf einem Bildschirm vormachen.

Früher, als Kino noch zum Leben gehörte, nicht Kultur oder gar Event war, hat man von den Filmen erzählt, die Filme weitererzählen können. Heute heißt es: Also, das ist ein Film über absonderliche Bruderliebe, Egomanie, Palliativ-Methoden ... Euforia läuft Mittwoch im Theatiner. Dort ist auch Polanskis Intrige zu sehen, da geht's um die Dreyfus-Affäre, den Antisemitismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich, die Probleme, die Wahrheit hinter dem Fehlurteil offenzulegen, aber der Film hat eine Fülle von aufregenden Momenten zu erzählen, die der abstrakten Botschaft einen vibrierenden Körper geben.

Grubenkino im Filmmuseum, Rudar/Unter Tage, von Hanna Slak: Ein Bergwerk, seit dem Weltkrieg stillgelegt, soll verkauft werden, da gibt es einen grausigen Fund, die Leichen von Tausenden hingerichteter Menschen. Was steckt dahinter? Der Film läuft am Mittwoch, die Filmemacherin ist anwesend. Im Werkstattkino dagegen ist ein Kino der asozialen Sorglosigkeit zu sehen: In My Room, von Ulrich Köhler. Du wachst morgens auf und alle anderen sind verschwunden, verlassene Autos auf der Autobahn, ein stiller Aussichtsdampfer auf dem Fluss, du bist der letzte Mensch auf Erden, kannst/musst dein Leben in aller Unabhängigkeit gestalten. Der Film schert sich überhaupt nicht um die Zukunft, den Neuanfang, die Menschheit. Der einsame Mann war Kameramann beim Fernsehen, er sollte Politiker beim Interview filmen, hat das ganze Getue und Gewese, bis sie sich zurechtgerückt haben, aufgenommen, aber in dem Moment, als sie zum Sprechen ansetzten, versehentlich den Aus-Knopf seiner Kamera gedrückt.

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