Szenische Lesung in Grafing:Poesie, die rockt und bewegt

HannaH Rau

"Bizarre Begegnungen, liebevolle Beobachtungen und wüste Beschimpfungen" liefert Hannah Rau.

(Foto: Pat Scheidemann/oh)

"Wortwerkerin" Hannah Rau aus Lübeck ist mit Slam und Lyrik zu Gast in der Stadtbücherei Grafing

Von Michaela Pelz, Grafing

Dichterwettstreit war gestern - heute geht man zum Poetry Slam. Wer dort seine Texte vorträgt, ist überwiegend jung, ein eher ausgeflippter Typ oder von Beruf schon mal Lehrer. Soweit das Klischee. All das trifft zwar irgendwie auch auf Hannah Rau zu - aber dann doch wieder absolut gar nicht. "Wie so eine Klassenstreberin kam ich daher, mit meinem schönen Mäppchen", gluckst es durchs Telefon, als die 51-jährige von ihren Anfängen in der Poetry-Slam-Szene vor gut zehn Jahren berichtet, als sie gleich beim ersten Auftritt zur Gewinnerin gekürt wurde.

Dem vorausgegangen waren "normale" Bühnenprogramme mit eigenen, kurzen Texten, in denen das ewige "Revoluzzer-Kind" damals schon wagte, das auszusprechen, was andere nur denken. Statt sich auf den Lorbeeren auszuruhen ("es gab eine kurze Hype-Zeit"), entwickelte die Lübeckerin ihr neu entdecktes Talent weiter und erfand das "Slam-Recording" für Kongresse, Fachtagungen oder Events von Verbänden und Unternehmen. Dabei fasst Rau, die im einen Moment brüllend komisch und kurz darauf ungemein tiefsinnig sein kann, in einem kurzen Vortrag den Ablauf oder die Ergebnisse einer Veranstaltung zusammen, in der es auch schon mal um "Sucht im Alter" oder "Traumata" gehen kann. Aber gerade bei solch sperrigen oder auf den ersten Blick deprimierenden Themen kommt der ehrenamtlichen (Telefon-)Seelsorgerin ein wesentlicher Wesenszug ("Ich glaube, ich bin ein Sunshine!") und das dazugehörige Motto zugute, das sie von Kindheit an geprägt hat: "Lass uns was finden, wofür es sich zu leben lohnt!"

Dieses Gespür für das Positive und ihre eigene unbändige Lust am Leben lassen die Inhaberin der "Wort-Werft" (einem Ort für den "Stapellauf kreativer Gedanken") auch zur Inspiration für andere werden. Die "Kreativen Interventionen" der Slampoetin kommen bei Fortbildungen und Veranstaltungen von Firmen und Behörden, wie etwa dem Bildungsministerium, zum Einsatz. Ihr jeweils zehn- bis 15-minütiges Spiel mit der Sprache basiert dann beispielsweise auf 20 Seiten trockener Fachliteratur und - ganz wichtig: Authentizität.

Diese erwächst bei jedem Slammer aus der persönlichen Erfahrung. Über die verfügt Rau gerade bei Bildungsthemen zuhauf. Denn nicht nur hat die Dozentin für Kreatives Schreiben und frühere Studentin der Skandinavistik, Germanistik und Literaturwissenschaften in den Neunzigern zusätzlich die Pädagogische Hochschule besucht - "damals hieß das Sonderschulpädagogik" - weshalb sie auch inklusive Schreib- und Theaterprojekte ohne Berührungsängste leitet. Sondern ist seit 2016 außerdem als zertifizierte Kulturvermittlerin für das Land Schleswig-Holstein laufend in literarische Schulprojekte involviert, oft in Zusammenarbeit mit Theaterpädagogen, Musikern oder bildenden Künstlern.

Doch damit ist das Repertoire der Mutter von drei Töchtern noch längst nicht erschöpft: Im Rahmen des Projekts "Leseweisung" der Jugendgerichts- und Resohilfe Lübeck arbeitet sie mit jugendlichen Straftätern. Wer im Kaufhaus ein Kleidungsstück entwendet oder ein Gebäude per Graffiti "verschönert" hat, erhält dann statt Sozialstunden die Auflage, fünf bis sieben Termine mit Rau zu absolvieren. Während dieser Zeit müssen die Jugendlichen ein zum Delikt passendes Buch lesen und zwischen den Sitzungen Aufgaben erledigen. Mal wird ein kleiner Aufsatz mit ungewöhnlichem Thema ("Schreib einen Brief an den geklauten Pulli") verlangt, mal soll ein Rap entstehen oder ein Comic-Strip. Diese Arbeit sei auch für die teilnehmenden Jungen und Mädchen durchaus "umfangreich und anstrengend", betont die Pädagogin, trüge aber gleichzeitig dazu bei, sie zu fördern.

Sollten während der Kreativaufgaben psychologische Hürden auftauchen, weiß Hannah Rau als qualifizierte Poesietherapeutin auch damit umzugehen. Das gilt ebenso, wenn sie Autorinnen und Autoren dabei coacht, Schreibblockaden zu überwinden oder Menschen berät, die ihre Lebensgeschichte nebst Verhältnis zur Familie nicht nur zu Papier bringen, sondern schreibend aufarbeiten wollen.

Ihre eigene Jugend verbrachte die dank großer und höchst lebhafter Familie alles andere als wortkarge und zurückhaltende Norddeutsche im Übrigen in Franken. Darauf führt die selbsternannte "Wortwerkerin" auch ihr Geschick beim Suchen und Finden von neuen Wörtern und beim Ausloten der Grenzen des Sagbaren zurück: "Ich hatte immer das Gefühl, ich sei mehrsprachig" aufgewachsen." Besonders am Herzen liegt ihr außerdem die lyrische Arbeit: Für "Ich les dir vor, was du nicht siehst" schrieb die Autorin Texte zu Bildern, von denen sie vorher nicht wusste, wo die beteiligte Fotografin sie überhaupt aufgenommen hatte; nämlich im KZ Buchenwald, in Prora, Ahrensbök und an anderen NS-belasteten Orten.

Man darf also sehr gespannt sein, was Rau am Montag, 9. März, zu ihrem "Best of Lyrik und Slamtexte" nach Grafing mitbringt. Laut Ankündigung enthalten die Texte "Bizarre Begegnungen, liebevolle Beobachtungen und wüste Beschimpfungen". Sicher ist aber schon, dass sich die Künstlerin im Anschluss an die szenische Lesung gerne in Austausch mit ihrem Publikum begeben wird. Und keinen Zweifel gibt es an der Form der Präsentation: "Kladde ist uncool, echte Slammer haben immer eine zerknitterte Zettelsammlung in der Hosentasche!"

Spätestens, wenn Rau daraus einen an ihre zehnjährige Verkaufstätigkeit im Bioladen angelehnten Text zu Tage fördert - "Die Käsefrau packt aus" -, wird ultimativ bewiesen sein, dass die Frau mit dem ansteckenden Lachen eine würdige Vertreterin der Szene ist.

"Best of Lyrik und Slamtexte" von Hannah Rau in der Stadtbücherei Grafing, am Montag, 9. März, um 19 Uhr. Eintritt frei, Spenden erwünscht.

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