Ausstellung:Magische Farbgeschichten

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Der Künstler Tom Kristen lernte zunächst Elektroniker, wurde dann Architekt. Heute gestaltet er Kunst am Bau. Doch seine Neigung zur Malerei hat er nie aufgegeben. In Regensburg sind derzeit seine leuchtenden Werke zu sehen

Von Sabine Reithmaier

Tom Kristens Bilder haben etwas Archaisches, balancieren zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Ein hoher Berg ragt über einem schlafenden Gesicht auf; eine auf wenig Striche reduzierte, geisterhafte Gestalt jongliert Bälle in einem rosaweißfarbenen Wald. "Da stecken keine intellektuellen Ideen dahinter, ich male aus dem Bauch raus", sagt der Künstler. "Nicht analysierend, nicht Abstand nehmend, sondern mittendrin."

Es sind geheimnisvolle poetische Welten, die er gestaltet, nie bedrohlich, eher freundlich, formal manchmal streng: Blumen, Vögel, Engel, Boote, Berge und Wolken, die er gelegentlich auch seriell übereinander schichtet. Dazu Mischwesen und menschenähnliche Figuren, oft stark lasierend aufgetragen, auch in Weiß, so dass sie Geister ähneln. Die Bilder, überwiegend kleinformatig, geben ihr Geheimnis nicht preis, bleiben rätselhaft. "Das mystische Kombinieren von Dingen macht mir einfach Spaß", sagt Kristen. Er reagiere auf Erlebnisse, banne Empfindungen und Eindrücke auf Papier, Karton und Leinwand.

Den Titel für seine Regensburger Ausstellung, "Sänger im Dickicht", hat er sich vom Dorfschullehrer Heinrich Grupe geliehen. Der schrieb in den Fünfzigerjahren vier nach Jahreszeiten geordnete, naturkundliche Wanderbücher für Kinder. Grupe ordnete die Vögel nicht wissenschaftlich nach Gattungen ein, sondern nach den Orten, an denen er sie singen gehört hatte. Bei ihm gibt es Sänger auf dem Hausdach, Sänger auf hohen Bäumen und eben auch Sänger im Dickicht, die wie die Heckenbraunelle zwar zu hören, aber nur selten zu sehen sind.

Das Malen ist für Kristen ein Gegenpol zur Kunst am Bau. "Da trägt man doch deutlich mehr Verantwortung." Vor allem wenn man so viele Projekte im öffentlichen oder sakralen Raum realisiert wie der 1968 in Straubing geborene und in Weil (Landkreis Landsberg) lebende Künstler. 2008 gewann er den ersten Wettbewerb für Kunst am Bau in Burgweinting, ihm folgten viele weitere Siege. "Das ist die Schiene, mit der ich die Familie durchfüttere. Nur mit Malerei wären wir verhungert." Inzwischen hat er zahlreiche Projekte realisiert, hat, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, das Innere der im Februar eingeweihten neuen Hauskapelle der Regensburger Domspatzen gestaltet. Oder für den Neubau der Regensburger Synagoge eine goldfarbene Metallspirale entworfen, die sich aus vier Strophen des Gedichts "Gemeinsam" der jüdischen Schriftstellerin Rose Ausländer zusammensetzt.

Auch der "Lichtbrunnen" vorm Landesamt für Finanzen in Landshut, eine Installation mit 36 Lichtstelen, stammt von ihm oder die "Korngarbe" in Straubing, sechs einander zugeneigte leuchtende Säulen. "Ich frage mich immer, was kann Kunst Zusätzliches leisten, wie kann sie geistigen und ästhetischen Mehrwert schaffen", begründet er seinen Ansatz. Es sei eine gute Übung, sich auf einen Raum einzulassen und zu fragen, was dort bislang fehle. Das gelingt ihm angesichts der langen Liste an verwirklichten Projekten anscheinend sehr überzeugend.

Zeichnen und Malen entdeckte er als Jugendlicher eher zufällig für sich, als er während eines Urlaubs mit den Eltern auf einer Berghütte erkrankte. "Mir war langweilig." Zum Zeitvertreib begann er mit dem Bleistift seine Umgebung abzuzeichnen, einen Pfosten mit Stacheldraht, Ranken am Balkon, einzelne Baumblätter. Nach der Woche wusste er, dass ihn das Zeichnen stärker faszinierte als seine andere große Leidenschaft, das Musikmachen. Von da an malte und zeichnete er regelmäßig, "gern unästhetische Orte wie die Kieswerke in Parkstetten". Aber Kunst beruflich zu machen: "Das war einfach kein Thema bei uns."

Er absolvierte eine Elektronikerlehre. Das Zeichnen ließ sich nicht verdrängen. Er holte das Abitur nach, studierte Architektur - "da bot sich mir viel Gelegenheit zum Zeichnen". 1994 heuerte er im Büro arc Architekten in Bad Birnbach an, lernte dort sechs Jahre, wie wichtig für ein Gebäude auch das allerkleinste Detail ist und wechselte dann nach München zu Otto Steidle. Nach zwei Jahren beschloss er, freischaffend weiterzumachen. "Berühmte Namen saugen aus", sagt er. Außerdem sei es zu diesem Zeitpunkt mit der "Investorenbauerei" losgegangen, "das hat mir nicht gefallen".

Als Künstler hatte er sich zu diesem Zeitpunkt auf Druckgrafik spezialisiert. Daher kam ihm 2006 die Möglichkeit, die Steindruckwerkstatt im Künstlerhaus am Lenbachplatz zu übernehmen, gerade recht. "Das hat mir viel Freiheit für meine anderen Projekte gelassen." Er leitete sie bis 2015. Mit Öl zu malen, hatte er früh schon probiert. Aber es schien nicht die richtige Technik für ihn zu sein. "Ich erzähle Geschichten in meinen Bildern." Während er darauf wartete, bis eine Farbschicht getrocknet war und er weitermachen konnte, riss, so empfand er es, sein emotionaler Erzählfaden. Erst als er begann, seine Farben selbst zu mischen, und er eine schnell trocknende, hochpigmentierte Acrylfarbe entdeckte, kehrte er zum Malen zurück. Seither erzählt er seine magischen Geschichten auch in Farbe, taucht ab in Welten, die jeder Betrachter je nach Lust und Laune mit eigenen Erfahrungen verknüpfen kann.

Tom Kristen: Sänger im Dickicht. Malerei und Grafik 2009-2019 , bis 24. April, Artspace Erdel, Fischmarkt 3, Regensburg

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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