Rechtsextremismus:"Betroffenheit reicht längst nicht mehr"

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Seltener Gast: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verfolgt auf der Zuschauertribüne des Bundestags die Debatte. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Das Parlament debattiert über Hanau, es gibt Kritik, Selbstkritik und eine Verbrüderung von Union bis Linkspartei. Doch von den deutlichen Worten muss sich nicht nur die AfD angesprochen fühlen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es gibt jetzt ein paar neue Allianzen im Bundestag, und applaudiert wird gern mal Leuten, mit denen man nie etwas am Hut hatte. Ein Redner der Linken bedankt sich da bei der CDU, ein Grüner lobt den Innenminister, Unionisten bejubeln einen SPD-Mann. Horst Seehofer aber wirkt irgendwie verschnupft.

Er hat schon mal mehr Zuspruch bekommen. Donnerstag im Plenarsaal des Bundestags, das Parlament debattiert über Rechtsextremismus und den Anschlag von Hanau. Zehn Menschen wurden von einem Rassisten erschossen, neun weil sie aus Einwandererfamilien stammten. Hanau ist eine weitere rechtsextremistische Gewalttat nach Halle, Kassel, München, den Morden des NSU. Inzwischen fragen sich auch Vertreter der CDU, warum den Terror von rechts eigentlich keiner aufhält.

Es klatschen Unionsabgeordnete, Sozialdemokraten und Grüne. Seehofer klatscht nicht

"Betroffenheit reicht längst nicht mehr", sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU), der kein Hehl daraus macht, dass man sich vertan hat. Hanau fordere "Aufrichtigkeit vom Staat, der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben", sagt er. Quer durchs Land ziehe sich eine lange Spur mörderischer Übergriffe. Man habe es mit Terrorismus zu tun, der erfolgreicher bekämpft werden müsse. Da klatschen die Abgeordneten, es klatscht die Kanzlerin, es klatschen Sozialdemokraten und Grüne. Seehofer klatscht nicht.

Der Bundesinnenminister wird bei dieser Debatte im Bundestag mehrfach daran erinnert, dass er 2018, nach rechten Krawallen in Chemnitz, Migration als "Mutter aller Probleme" bezeichnete. Schäuble erspart ihm diesen Hinweis, betont aber, dass Deutschland bei der Integration nicht da sei, wo es sein müsste. "Die Zukunft unserer offenen Gesellschaft wird sich daran entscheiden, ob es uns gelingt, Verschiedenheit zu akzeptieren", sagt er, "und die eigenen Vorstellungen nicht zum Maß aller Dinge zu erklären".

Es ist dann Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus, der als Erster gegen die AfD austeilt. "Der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts und nirgendwo anders", ruft der CDU-Politiker. Ein paar ältere Herren in der AfD-Fraktion beginnen jetzt zu brüllen. Mit am lautesten brüllt Albrecht Glaser, der 2017 vergebens versuchte, sich zum Vizepräsidenten des Bundestags wählen zu lassen.

Aber auch in den Reihen der Linkspartei wird es laut. Grund ist der AfD-Abgeordnete Roland Hartwig, der seine Gedenkrede mit dem Satz eröffnet: "Es ist doch schön, nicht wahr, wenn man einen gemeinsamen Feind hat und sich einig ist, wo man ihn suchen muss, nämlich rechts." Widerlich, schreit eine Abgeordnete der Linken, da tritt Rolf Mützenich ans Pult.

Der Fraktionschef der SPD erinnert AfD-Fraktionschefin Alice Weidel an ihren Satz, dass "Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" deutschen Wohlstand nicht sichern könnten. Alexander Gauland habe die NS-Zeit als "Vogelschiss" bezeichnet. "Ist das keine Relativierung des Rassenwahns des letzten Jahrhunderts?", fragt Mützenich. Jetzt ist es Gauland, der aus der Haut fährt. Hinten im Plenum klatscht der ehemalige Innenminister Thomas de Maizière so begeistert in die Hände, als sei er immer bei der SPD gewesen.

Zu Wort kommen aber auch Abgeordnete, die jetzt erleben, was sie immer für unmöglich hielten. "Ich spüre zum ersten Mal seit Langem, dass Menschen zu Recht Angst vor der Zukunft haben", sagt der FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai. Äußerungen wie Seehofers "Mutter aller Probleme" gäben Menschen mit Migrationsgeschichte das Gefühl, "ihren Wert, ihren Platz in der Geschichte beweisen, ja rechtfertigen zu müssen", sagt der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour. Immerhin, Seehofer sage inzwischen klar, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie sei. Dafür danke er ihm. Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch bedankt sich bei den CDU-Politikern Brinkhaus und Schäuble, für ihre "neue Akzentsetzung".

Es bleibt dann Horst Seehofer überlassen zurechtzurücken, was schwer zurechtzurücken ist. "Die höchste Bedrohung in unserem Lande geht vom Rechtsextremismus aus", sagt er. Und nein, untätig sei er nicht geblieben. Die Sicherheitsbehörden seien verstärkt worden, man habe das Waffenrecht verschärft, bekämpfe Hasskriminalität, eine Expertenkommission gegen Islamfeindlichkeit sei eingerichtet. Als Seehofer fertig ist, gibt es Beifall aus der Union. Er klingt nicht gerade stürmisch.

© SZ vom 06.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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