Musiktheater:An den Rändern der Realität

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Diana Damrau als Amalia, Igor Golovatenko als der böse der Brüder, als Francesco. (Foto: Wilfried Hösl)

Johannes Erath inszeniert Giuseppe Verdis eher selten gespielte Oper "I Masnadieri" an der Bayerischen Staatsoper. Die Vertonung von Schillers "Räuber"-Drama läuft dort zum ersten Mal

Von Egbert Tholl

Schillers "Räuber" als Oper, ja geht denn das? Verdi glaubte daran, sein Librettist Andrea Maffei noch viel mehr. Und fragt man Johannes Erath, der Verdis "I Masnadieri" an der Bayerischen Staatsoper inszeniert - Premiere ist diesen Sonntag -, ob er nicht manchmal Schillers natürlich viel tiefer argumentierendes Drama vermisse, dann erzählt der erst einmal eine kleine Geschichte. Er erinnere sich an ein Interview mit Marcel Reich-Ranicki, in welchem dieser zu Schillers "Räubern" befragt wurde, dem Stück irrsinnigen Blödsinn und wahnsinnigen Kitsch attestierte, um darauf seine Meinung damit abzuschließen, dass er dieses Stück liebe.

Aber hier geht es ja um Verdi, nur am Rande um Schiller. Gerade im Vergleich mit seinem fast zeitgleich entstandenen "Macbeth" tut man Verdi nicht allzu viel Unrecht, wenn man "I Masnadieri" nicht für ein absolutes Meisterwerk hält. Auch Erath sieht hierin eine eher hanebüchene Folge von Szenen, aber was heißt das schon? Ein Umstand, über den man sich hier übrigens trefflich amüsieren kann ist jener, dass die titelgebenden Räuber bei ihrem ersten Auftritt als Chor gar nicht da sind, also aus dem Off singen, und auch später keineswegs die Robin Hoods aus den böhmischen Wäldern sind, sondern ein paar Jungs, die draufhauen und rumhuren wollen, dabei aber keine Revolution im Sinn haben, sondern nur schlechte Laune. Aufbegehren heißt hier nicht, dass etwas Neues etabliert wird. Dabei werden ihre Taten längst nicht so detailliert ausgebreitet wie bei Schiller, was den Vorteil hat, dass man ein brennendes Prag ohnehin kaum auf die Bühne bringen könnte.

Oder vielleicht doch. Eraths Bühnenbildner ist Kaspar Glarner. Die beiden arbeiten schon seit längerem immer wieder zusammen, brachten etwa im November 2017 Arnulf Herrmanns Oper "Der Mieter" in Frankfurt zur Uraufführung. Man könnte auch auf andere gemeinsame, sehr gelungene Arbeiten der beiden verweisen, aber die Aufführung damals hat sich mit ihrem ebenso surrealen wie psychologischen Bühnenbild eingebrannt - Roland Topors Geschichte, eingefangen vom Libretto von Händl Klaus, wurde zu einem faszinierenden, soghaften Erlebnis.

Das ist spannend, weil Erath meint, in winzigen Momenten werde man auch bei "I Masnadieri" an jene Inszenierung damals denken können. Außerdem kam er bei der Beschäftigung mit Verdis rauer und roher Oper auf eine Idee: Jede der Hauptfiguren erlebe einen Moment, in welchem sie Stimmen aus dem Off höre, alle träumen irgendwann. Wie real ist also das, was die Stimmen künden? Wie real kann es sein, dass sich Vater und Sohn nicht wiedererkennen? Sind das nicht alles Kopfdämonen? Eine Lösung sind Rück- und Vorblenden, wie es hätte sein oder werden können.

Und eben dieses Wiedersehen von Vater und Carlo (Karl) im Wald. Das ist ja keine flüchtige Begegnung, der Vater hält den verlorenen Sohn für dessen bösen Bruder, aber vielleicht liegt in dieser falschen, väterlichen Umarmung auch eine Erkenntnis: Massimiliano weiß, wen er vor sich hat, aber er kann nicht damit umgehen.

Verdi verbleibt in seiner "Räuber"-Oper weitgehend in der Konvention der Zeit und des Genres. So gibt es etwa - noch so ein seltsames Nichterkennen - ein Aufeinandertreffen von Carlo und Amalia, ebenfalls als reichlich eigenartige Begegnung im Wald. Verdi komponiert hier ein Liebesduett, wie es in diesem Moment den Anforderungen der Gattung entspricht, auch wenn es dramaturgisch völlig falsch an der Stelle ist. Erath: "Aber wenn es da steht, heißt es nicht, dass es so gemeint ist."

Und spätestens an diesem Punkt kann man sich sicher sein, dass Erath die Oper besser machen will als sie ist. Nicht schöner, dass ist sie eh. Aber, auch wenn das nach herkulischer Aufgabe klingt, plausibler vielleicht. Und da kommt man auch wieder ein bisschen zurück zu dem damaligen "Mieter"-Erlebnis in Frankfurt: Da Verdi Übergänge nicht interessierten, der Realismus dadurch an Kanten stoße, könne man damit auch surrealer umgehen. Verdi habe quasi an Filmschnitte gedacht, ohne natürlich eine Ahnung zu haben, was das sein könne. Die Albtraum-Logik entspinne sich bereits von der Ouvertüre her. In dieser gibt es ein betörendes Cello-Solo. Für Erath ein möglicher Hinweis auf die bei Verdi wie Schiller absente Mutter der beiden Brüder, auf den Keim des Konflikts: Die von Neid und dem Fehlen von emotionaler Intelligenz geprägte Beziehung der Beiden, die in einem Männerhaushalt aufwuchsen. Das alles wird übrigens zum ersten Mal an der Staatsoper erzählt; vor zwölf Jahren aber gab es "I Masnadieri" am Gärtnerplatztheater.

I Masnadieri , Premiere: Sonntag, 8. März, 18 Uhr, Nationaltheater, Max-Joseph-Platz 2

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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