Flüchtlinge:"Das ist erst der Anfang"

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Flüchtlinge warten im Hafen von Lesbos darauf, dass es für sie weitergeht. Die Türkei warnt die EU, sie werde weitere Menschen über die Grenze lassen. (Foto: Getty Images)
  • Die Türkei droht, noch deutlich mehr Flüchtlinge in die EU durchzuwinken.
  • 143 000 Menschen hätten bisher die türkisch-griechische Grenze überwunden, sagte Innenminister Süleyman Soylu. "Das ist erst der Anfang."
  • Griechenland hingegen gibt an, es habe 37 000 illegale Grenzübertritte in den vergangenen sieben Tagen gegeben.

Von Nico Fried, Joachim Käppner und Christiane Schlötzer, Istanbul, Berlin/Istanbul

Die türkische Regierung hat der Europäischen Union kaum verhüllt gedroht, den Streit um die Flüchtlinge weiter eskalieren zu lassen. Innenminister Süleyman Soylu zufolge sollen bereits mehr als 143 000 Menschen die türkische Grenze überwunden und Griechenland erreicht haben - und diese Zahl werde schon bald stark steigen, sagte er am Samstag: "Das ist erst der Anfang. Sie sollten sehen, was als Nächstes passieren wird. Was bislang geschehen ist, ist nichts."

Soylus Angaben wurden von griechischer Seite entschieden bestritten. Hier sprach man von 37 000 illegalen Grenzübertritten in den vergangenen sieben Tagen und 100 Festnahmen. Die allermeisten Flüchtlinge wurden von den griechischen Sicherheitsbehörden zurückgeschickt.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan forderte das Nachbarland am Sonntag auf, die Flüchtlinge ins Land zu lassen und dann einfach weiterzuschicken: "Griechenland, diese Menschen kommen nicht zu dir und bleiben." Sie gingen doch "in andere Länder Europas. Warum störst du dich daran?" Das ist ein Szenario, das die EU-Staaten - zu denen Griechenland gehört, die Türkei aber nicht - unbedingt abwenden wollen.

Auswirkungen auf die deutsche Innenpolitik

Seit Erdoğan vor einer Woche fälschlicherweise erklärt hatte, die Grenze nach Griechenland sei offen, sind viele Flüchtlinge dorthin aufgebrochen - um von Stacheldraht, Tränengas und einem Großaufgebot von Griechenlands Grenzschutz, Polizei und Militär zurückgedrängt zu werden. Die Regierung in Athen sprach von "Erpressung" durch die Türkei. Diese beherbergt etwa 3,6 Millionen Geflüchtete vor allem aus Syrien und hat 2016 ein "Flüchtlingsabkommen" mit der EU geschlossen, das diese Menschen in der Türkei halten soll.

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Der Streit berührt auch die deutsche Innenpolitik. Union und SPD wollten am Sonntagabend im Koalitionsausschuss über das weitere Vorgehen beraten. Konsens bestand schon vor dem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz darüber, Athen bei der Sicherung der EU-Außengrenze und der Versorgung jener Flüchtlinge zu unterstützen, die sich schon länger in Lagern auf den Inseln Samos und Lesbos befinden.

Merkel trifft am Montag den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis in Berlin. In Athen hieß es, er wolle Merkel um Vermittlung in dem Konflikt mit Ankara bitten. Erdoğan reist am Montag überraschend zu Gesprächen mit der EU-Kommission nach Brüssel.

Offen war, ob sich die Koalition auf eine humanitäre Aktion zugunsten von Kindern und Jugendlichen verständigen würde, die in Griechenland gestrandet sind. Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte jüngst angekündigt, europäische Partner für die Verteilung von etwa 5000 Jugendlichen zu suchen, um einen deutschen Alleingang wie 2015 zu vermeiden. In der Union gibt es dagegen Widerstände. Laut Bild am Sonntag soll Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus Seehofer vorgeworfen haben: "Ihr habt nichts gelernt, die Leute wollen keine Flüchtlinge."

© SZ vom 09.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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